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Seit Jahren terrorisiert eine rechte Jugendszene im sächsischen Wurzen Andersdenkende. Die Stadt ist eine Hochburg der NPD. Der Bericht gibt Einblicke in die rechtsradikale Szene, ihre neue Strategie und ihre Opfer. Erst jetzt entwickelt die Polizei Gegenstrategien.
Guten Abend, meine Damen und Herren. Willkommen bei Kontraste.
Heute abend im türkischen Pop-Sender Kral-TV eine Premiere: eine neue Sendung mit einem neuen Star.
Mehmet, der türkische Münchner, im November, nach über 60 Straftaten in Bayern, abgeschoben nach Istanbul. Ein Vierzehnjähriger wird vermarktet und mancher nennt das eine Karriere. Mehmet in der Türkei: dazu gleich mehr.
Zunächst aber nach Wurzen, ein Städtchen in Sachsen, 17000 Einwohner, nahe Leipzig. Zu DDR-Zeiten war Wurzen ein Begriff. Dank der dort fabrizierten, volkseigenen Kekse. Die Kekse, jetzt kapitalistische, gibt es noch immer, sie halten auch die Arbeitslosigkeit in engen Grenzen, aber nicht deshalb ist Wurzen heute ein Begriff. Die Stadt ist zusammen mit den sächsischen Landen eine Hochburg der rechtsradikalen NPD in Deutschland, die systematisch und mit großem Erfolg vor allem junge Leute in ihr Netzwerk zieht.
Was Sie jetzt in dem Bericht von Kontraste-Autor Reinhard Borgmann sehen, ist unglaublich, aber es ist wahr.
Parteitag der NPD
"Raus aus dem Privatgelände bitte."
Letzten Samstag in Sachsen. Parteitag der rechtsextremen NPD.
"Bitte Kamera ausmachen und vor's Tor gehen. Wir brauchen keene...."
Abgeschirmt durch den parteieigenen Ordnungsdienst soll die Öffentlichkeit von dem Parteitag ausgeschlossen werden.
Doch schließlich tritt der bekannte Rechtsextremist Manfred Roeder doch noch vor die Kamera.
Manfred Roeder:
"Deutschland ist seit urewigen Zeiten das Land der Deutschen, und wir haben keinen Platz für andere. Deutschland war immer, seit Jahrtausenden, seit den Kimbern und Teutonen Auwanderungsland, weil dieser Boden nicht genug her gibt zur Ernährung der eigenen Bevölkerung. Es ist Völkermord, Fremde hierher zu bringen, weil kein Platz ist."
Wenige Kilometer entfernt zur gleichen Zeit die sächsische Kleinstadt Wurzen in der Nähe von Leipzig. Hier in diesem festungsartig ausgebauten Zentrum der rechten Bewegung sollte der Parteitag der NPD ursprünglich stattfinden.
Doch genau das verhinderte die Polizei. Wurzen sollte nicht noch einmal wie schon in den vergangenen Jahren durch Gewaltaktionen für Schlagzeilen sorgen.
Die NPD mußte einen anderen Versammlungsort wählen, eine Schlappe für die Partei.
Wurzen in den letzten Jahren: eine Hochburg der Rechtsextremisten, Überfälle auf Flüchtlingsheime, Gewalttaten gegen Ausländer, gegen Obdachlose, gegen politische Gegner und unbeteiligte bis hin zu schweren Verletzungen. Auch ein Kamerateam der Deutschen Welle wurde nicht verschont.
Mit ihrem Gewalt-Image will die NPD in Wurzen jetzt Schluß machen. Die Partei will zu den Kommunal- und Landtagswahlen im nächsten Jahr antreten und sich als Saubermann präsentieren.
Jürgen Schön, Landesgeschäftsführer NPD Sachsen
"Wir sind ja national, also national bedeutet ja, daß man sich für die Interessen seines Volkes eintritt. Vor und muß keiner Angst haben. Angst muß man vor den Linksradikalen haben, denn die sind gewaltbereit, wir nicht."
Statt auf Gewalt setzt die NPD jetzt vermehrt auf ideologische Arbeit: Wurzen gilt für die parteinahe Presse als Modell einer gelungenen lokalen Kulturrevolution und das vor allem durch Jugendarbeit.
Jürgen Schön, Landesgeschäftsführer NPD Sachsen
"In Wurzen gibt es ein ziemlich breites Umfeld von national gesinnten Jugendlichen, ja. Und die haben ja vor vier, fünf Jahren dort mehr oder weniger auf der Straße 'rumgelungert. Und wir haben dann die Jugendlichen erfaßt für unsere Partei der Schulung haben wir sie für unsere Partei überzeugt. Und haben sie erst mal dort in diesem Zentrum praktisch konzentriert, haben ihnen dort eine Heimstätte gegeben, eine Freizeitgestaltung."
Was es mit der Jugendarbeit der NPD auf sich hat, haben diese beiden Sozialpädagoginnen im Rahmen einer Forschungsarbeit über Rechtsextremismus untersucht. Ergebnis: Die NPD ist in Wurzen erfolgreich, weil sie genau auf die Bedürfnisse der Jugendlichen eingeht. Sie bietet ihnen ein geschlossenes Weltbild:
Ilona Weber, Rechtsextremismusexpertin
"Es gibt schwarz und weiß, es gibt links und rechts. Und es gibt immer jemanden, der mir, das heißt, dem einzelnen Jugendlichen, sagt, was er tun soll. Es gibt eine Sicherheit, es gibt eine relative Geborgenheit in dieser Gruppe. Es hat auch so nen Hauch von Verbotenem, was für Jugendliche natürlich faszinierend ist. Es verspricht sehr viel auf dem Gebiet, sag' ich mal einfach, der Erlebnispädagogik. Und da ist Gewalt für viele Jugendliche etwas Faszinierendes."
Band
"Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, laßt die Messer flutschen in den Judenleib, Blut muß fließen knüppelhageldick,
wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik, Blut muß fließen knüppelhageldick,
wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik.
"Deutschland den Deutschen, Deutschland den Deutschen."
Aufstachelung zu Gewalttaten und Rassenhaß im von der NPD-finanzierten Wurzener Freizeitzentrum. Kulturrevolution von rechts.
Mit dabei: Der Kreisvorsitzende der NPD.
Ilona Weber, Rechtsextremismusexpertin
"Gewalt ist auf der einen Seite ein Ablaßventil, das heißt zum Beispiel ein Ablaßventil für selbst erfahrene Gewalt, endlich nicht mehr der oder die zu sein, die einstecken muß, sondern die, die austeilt oder der, der austeilt. Das zweite ist, daß Gewalt ein ungeheueres Gruppenerlebnis ist. Es ist verboten, es schweißt die Gruppe nach innen zusammen und ist eines der stärksten kollektiven Erlebnisse, das eine Gruppe haben kann."
Doch im Jugendtreff der Rechten ging es nicht nur um Gewalt. Im Nebenraum lief normale "unpolitische" Disco-Musik. Auch das ist Teil des Konzeptes.
Grit Jilek, Rechtsextremismusexpertin
"Dann geht man eben zwei drei mal zur Disco, guckt sich das an, hat vielleicht anfangs noch ein paar Berührungsängste, weil man eben weiß, na ja, da sind eben auch Rechte und so, findet die Disco ganz nett und guckt immer mal in den Saal, was da so in Konzerten stattfindet. Und ich glaube, daß der Übergang einfach ganz leicht ist. Die Musik ist eingängig und wesentlich leichter und wesentlich verständlicher und macht wesentlich mehr Spaß als Parteiveranstaltungen der NPD."
Ergebnis der Jugendarbeit der NPD: Jugendliche mit "rechtem" Outfit dominieren das Stadtbild. In dieser Wurzener Berufsschule sind rechtsorientierte Schüler nach Auskunft von Lehrern in der Mehrheit.
O-Ton 1
"Meine Forderung: Arbeit zuerst für Deutsche. Und nicht für irgendwelche, die da daher kommen, für irgendwelche Kanaillen."
O-Ton 2
"Kommen her, leben auf unsere Kosten vom Staat. Die sind ja so dumm und bezahlen alles. Ganze Versicherung und so, die kriegen ja alles in den Arsch geschoben unsereiner muß ja arbeiten gehen und kriegt nichts davon."
O-Ton 3
"Die Scheiß-Kinderficker die Drogen einschleppen, Scheiße ist das. Das die da ein Kind anfixen, das bringt nichts."
Gegenüber der Dominanz der "rechten" an der Schule sind die Lehrer hilflos. Sie setzen trotzdem immer wieder auf Aufklärung und Erziehung zur Toleranz:
Eckhard Harnisch, Schulleiter Berufliches Schulzentrum Wurzen
"Das ist sicherlich nur ein kleiner Beitrag, weil die Schüler aufgrund ihrer Altersstruktur, die ... Der Großteil der Schüler bewegt sich zwischen 16tem und 22tem Lebensjahr. Und sie sind im Schnitt 65 Tage im Jahr, wenn ich an eine Klasse im Blockunterricht denke, 65 Tage im Jahr hier in der Schule. Da ist nicht zu erwarten, daß wir, sage ich mal, 'ne innere Einstellung grundlegend umstellen können."
Schüler, die sich offen gegen rechtes Gedankengut wenden, haben es an der Schule schwer. Einige wurden schon auf dem Nachhauseweg von Mitschülern bedroht.
Eckhard Harnisch, Schulleiter Berufliches Schulzentrum Wurzen
"Wenn 'nem Schüler, jetzt sag' ich's mal so, auf dem Weg zwischen hier und zu Hause unterwegs aufgelauert wird, da hab' ich, da sehe ich keine Möglichkeit, wie ich dort was unternehmen könnte. Muß allerdings auch dazu sagen, es kommt eigentlich kaum vor. Mir sind nur sehr wenig Fälle bekannt, was mal 'nen Schüler zusammengeschlagen worden ist."
Chor
Auch das ist Wurzen: Der Chor der JG, der Jungen Gemeinde.
Junge Christen proben eine Weihnachtsaufführung. Die meisten fühlen sich wohl in ihrer Stadt, sie wollen den Ruf von Wurzen nicht beschädigen. Doch die Welle rechter Gewalt hat auch sie erreicht.
O-Ton 1
"Ich habe auch schon die Erfahrung gemacht, daß ich angepöbelt wurde von relativ großen Gruppen von meistens jungen Männern. Und ich hab immer den Frauenbonos, daß ich deswegen nicht verprügelt wurde, aber ich denk schon, daß man einfach wenn man anders aussieht schon ein Ziel von Angriffen wird."
O-Ton 2
"Ich hatte da mal vor ein paar Jahren ein Erlebnis, daß ich mit ein paar Freunden in der Disco war hier in der Nähe. Eine größere Gruppe von rechtsextremen Jugendlichen, also weitaus mehr als wir waren, uns dann angriff, und das hat uns sehr, die haben uns zusammengeschlagen, auf uns herumgetreten."
O-Ton 1
"Ich denke nicht, daß das abgenommen hat hier. Ich denke, momantan ist das so, daß sich die Situation äußerlich beruhigt hat, weil einfach jetzt die Parteiarbeit relativ groß ist und daß gezielt Leute rekrutiert werden und das deswegen irgendwie diese Prügeleien irgendwie gebrenst werden. Ich denke, daß ist ganz gezielt, daß halt auch gerad so die breite Masse an Bürgern denkt, daß alles jetzt ruhig ist und alles ist brav und nichts passiert mehr und keiner wird verprügelt. Aber an sich denk ich ist das Problem noch genauso aktuell, wie vor zwei Jahren."
O-Ton 2
"Man hat wirklich keine Freunde, wenn man da nicht mitmacht, da bei den rechten und so. Und in unser Gymnasium sind selbst schon Rechte gekommen und haben dann Schüler zusammengeschlagen. Aufsichtslehrer mußten dazwischengehen, also ich find' es schon sehr extrem."
O-Ton 3
"Bei jedem, den ich jetzt auf der Straße sehe, werde ich dumm angepöbelt oder so. Mir gefällt's selber nicht. Ich geh dem dann meistens aus dem Weg. Oder tu auch mal zurück was sagen. Überall wo man hinkommt, man kennt die Leute, die wissen wie ich drüber denke und dann geht's dann schon los in der Truppe und die tuscheln, der Typ ist hier. Meistens verziehe ich mich dann."
O-Ton 4
"Ich habe mich auch nicht angepaßt. Ich bin meinen eigenen Weg gegangen. Ich hatte Freunde am Gymnasium und in der JG weil ich auch schon von Grund auf christlich erzogen worden bin und ich habe das auch nie abgelegt, dadurch. Ich war eigentlich immer ganz froh, die JG zu haben, die junge Gemeinde, wo ich hingehen konnte und Kirche. Weil das ist wirklich eine wichtige Erfahrung gewesen, hier aufgenommen zu sein."
Auf die Stadtverwaltung von Wurzen können die bedrohten Jugendlichen dagegen nicht bauen. Hier im Rathaus wird das Problem rechtsextremistisch motivierter Gewalt ignoriert. "Bei uns gibt es keine Rechten", behauptete Bürgermeister Anton Pausch, CDU, schon vor Jahren. Die Rechtsextremisten wurden dadurch nur zum Weitermachen ermutigt. Ein Interview mit KONTRASTE lehnt er ab.
Die Polizei dagegen hat auf die gefährliche Lage in Wurzen reagiert:
An der Spitze der Polizeidirektion steht seit kurzem der vorherige Leiter der sächsischen Sonderkommission gegen Rechtsextremismus. Die Schließung des Freizeitzentrums der NPD und die jetzt verbesserte Zusammenarbeit mit der Kommune gehen maßgeblich auf sein Konto. Er will aufräumen mit der Gewalt, reagiert schnell und wirksam auf jede Rechtsverletzung in der Stadt und will den Bürgern wieder mehr Sicherheit geben:
Bernd Merbitz, Polizeidirektor
"Wir wollen auch das Selbstvertrauen der Bevölkerung stärken, daß sie sieht: Polizei ist da. Polizei ist da, daß Gewalt nicht ausbrechen kann. Und wenn Gewaltansätze zum Ausbrechen vorhanden sind, daß die Polizei auch sofort handelt. Das Vertrauensverhältnis Polizei/Bevölkerung noch weiter zu erhöhen."
Die erhöhte Polizeipräsenz in Wurzen ist ein wichtiger Schritt zur Befriedung der Stadt. Doch damit allein ist die Kulturrevolution von rechts nicht aufzuhalten.
Die NDP gibt nicht auf, die Stadt droht ihre Jugend an die Feinde der Demokratie zu verlieren.
Wer meint, dieses rechts-radikale Potential sei eben eine Folge der Wirren nach der deutschen Einheit, der irrt. Kontraste hat schon lange vor der Wende 1989, also zu DDR-Zeiten, über Gewalttaten Rechtsradikaler in Sachsen berichtet.
Ist es ein Zufall, daß heute auch ehemalige SED-Funktionäre in Reih und Glied bei der NPD stehen, zu propagieren einen "völkischen Sozialismus"?
Heute abend im türkischen Pop-Sender Kral-TV eine Premiere: eine neue Sendung mit einem neuen Star.
Mehmet, der türkische Münchner, im November, nach über 60 Straftaten in Bayern, abgeschoben nach Istanbul. Ein Vierzehnjähriger wird vermarktet und mancher nennt das eine Karriere. Mehmet in der Türkei: dazu gleich mehr.
Zunächst aber nach Wurzen, ein Städtchen in Sachsen, 17000 Einwohner, nahe Leipzig. Zu DDR-Zeiten war Wurzen ein Begriff. Dank der dort fabrizierten, volkseigenen Kekse. Die Kekse, jetzt kapitalistische, gibt es noch immer, sie halten auch die Arbeitslosigkeit in engen Grenzen, aber nicht deshalb ist Wurzen heute ein Begriff. Die Stadt ist zusammen mit den sächsischen Landen eine Hochburg der rechtsradikalen NPD in Deutschland, die systematisch und mit großem Erfolg vor allem junge Leute in ihr Netzwerk zieht.
Was Sie jetzt in dem Bericht von Kontraste-Autor Reinhard Borgmann sehen, ist unglaublich, aber es ist wahr.
Parteitag der NPD
"Raus aus dem Privatgelände bitte."
Letzten Samstag in Sachsen. Parteitag der rechtsextremen NPD.
"Bitte Kamera ausmachen und vor's Tor gehen. Wir brauchen keene...."
Abgeschirmt durch den parteieigenen Ordnungsdienst soll die Öffentlichkeit von dem Parteitag ausgeschlossen werden.
Doch schließlich tritt der bekannte Rechtsextremist Manfred Roeder doch noch vor die Kamera.
Manfred Roeder:
"Deutschland ist seit urewigen Zeiten das Land der Deutschen, und wir haben keinen Platz für andere. Deutschland war immer, seit Jahrtausenden, seit den Kimbern und Teutonen Auwanderungsland, weil dieser Boden nicht genug her gibt zur Ernährung der eigenen Bevölkerung. Es ist Völkermord, Fremde hierher zu bringen, weil kein Platz ist."
Wenige Kilometer entfernt zur gleichen Zeit die sächsische Kleinstadt Wurzen in der Nähe von Leipzig. Hier in diesem festungsartig ausgebauten Zentrum der rechten Bewegung sollte der Parteitag der NPD ursprünglich stattfinden.
Doch genau das verhinderte die Polizei. Wurzen sollte nicht noch einmal wie schon in den vergangenen Jahren durch Gewaltaktionen für Schlagzeilen sorgen.
Die NPD mußte einen anderen Versammlungsort wählen, eine Schlappe für die Partei.
Wurzen in den letzten Jahren: eine Hochburg der Rechtsextremisten, Überfälle auf Flüchtlingsheime, Gewalttaten gegen Ausländer, gegen Obdachlose, gegen politische Gegner und unbeteiligte bis hin zu schweren Verletzungen. Auch ein Kamerateam der Deutschen Welle wurde nicht verschont.
Mit ihrem Gewalt-Image will die NPD in Wurzen jetzt Schluß machen. Die Partei will zu den Kommunal- und Landtagswahlen im nächsten Jahr antreten und sich als Saubermann präsentieren.
Jürgen Schön, Landesgeschäftsführer NPD Sachsen
"Wir sind ja national, also national bedeutet ja, daß man sich für die Interessen seines Volkes eintritt. Vor und muß keiner Angst haben. Angst muß man vor den Linksradikalen haben, denn die sind gewaltbereit, wir nicht."
Statt auf Gewalt setzt die NPD jetzt vermehrt auf ideologische Arbeit: Wurzen gilt für die parteinahe Presse als Modell einer gelungenen lokalen Kulturrevolution und das vor allem durch Jugendarbeit.
Jürgen Schön, Landesgeschäftsführer NPD Sachsen
"In Wurzen gibt es ein ziemlich breites Umfeld von national gesinnten Jugendlichen, ja. Und die haben ja vor vier, fünf Jahren dort mehr oder weniger auf der Straße 'rumgelungert. Und wir haben dann die Jugendlichen erfaßt für unsere Partei der Schulung haben wir sie für unsere Partei überzeugt. Und haben sie erst mal dort in diesem Zentrum praktisch konzentriert, haben ihnen dort eine Heimstätte gegeben, eine Freizeitgestaltung."
Was es mit der Jugendarbeit der NPD auf sich hat, haben diese beiden Sozialpädagoginnen im Rahmen einer Forschungsarbeit über Rechtsextremismus untersucht. Ergebnis: Die NPD ist in Wurzen erfolgreich, weil sie genau auf die Bedürfnisse der Jugendlichen eingeht. Sie bietet ihnen ein geschlossenes Weltbild:
Ilona Weber, Rechtsextremismusexpertin
"Es gibt schwarz und weiß, es gibt links und rechts. Und es gibt immer jemanden, der mir, das heißt, dem einzelnen Jugendlichen, sagt, was er tun soll. Es gibt eine Sicherheit, es gibt eine relative Geborgenheit in dieser Gruppe. Es hat auch so nen Hauch von Verbotenem, was für Jugendliche natürlich faszinierend ist. Es verspricht sehr viel auf dem Gebiet, sag' ich mal einfach, der Erlebnispädagogik. Und da ist Gewalt für viele Jugendliche etwas Faszinierendes."
Band
"Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, laßt die Messer flutschen in den Judenleib, Blut muß fließen knüppelhageldick,
wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik, Blut muß fließen knüppelhageldick,
wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik.
"Deutschland den Deutschen, Deutschland den Deutschen."
Aufstachelung zu Gewalttaten und Rassenhaß im von der NPD-finanzierten Wurzener Freizeitzentrum. Kulturrevolution von rechts.
Mit dabei: Der Kreisvorsitzende der NPD.
Ilona Weber, Rechtsextremismusexpertin
"Gewalt ist auf der einen Seite ein Ablaßventil, das heißt zum Beispiel ein Ablaßventil für selbst erfahrene Gewalt, endlich nicht mehr der oder die zu sein, die einstecken muß, sondern die, die austeilt oder der, der austeilt. Das zweite ist, daß Gewalt ein ungeheueres Gruppenerlebnis ist. Es ist verboten, es schweißt die Gruppe nach innen zusammen und ist eines der stärksten kollektiven Erlebnisse, das eine Gruppe haben kann."
Doch im Jugendtreff der Rechten ging es nicht nur um Gewalt. Im Nebenraum lief normale "unpolitische" Disco-Musik. Auch das ist Teil des Konzeptes.
Grit Jilek, Rechtsextremismusexpertin
"Dann geht man eben zwei drei mal zur Disco, guckt sich das an, hat vielleicht anfangs noch ein paar Berührungsängste, weil man eben weiß, na ja, da sind eben auch Rechte und so, findet die Disco ganz nett und guckt immer mal in den Saal, was da so in Konzerten stattfindet. Und ich glaube, daß der Übergang einfach ganz leicht ist. Die Musik ist eingängig und wesentlich leichter und wesentlich verständlicher und macht wesentlich mehr Spaß als Parteiveranstaltungen der NPD."
Ergebnis der Jugendarbeit der NPD: Jugendliche mit "rechtem" Outfit dominieren das Stadtbild. In dieser Wurzener Berufsschule sind rechtsorientierte Schüler nach Auskunft von Lehrern in der Mehrheit.
O-Ton 1
"Meine Forderung: Arbeit zuerst für Deutsche. Und nicht für irgendwelche, die da daher kommen, für irgendwelche Kanaillen."
O-Ton 2
"Kommen her, leben auf unsere Kosten vom Staat. Die sind ja so dumm und bezahlen alles. Ganze Versicherung und so, die kriegen ja alles in den Arsch geschoben unsereiner muß ja arbeiten gehen und kriegt nichts davon."
O-Ton 3
"Die Scheiß-Kinderficker die Drogen einschleppen, Scheiße ist das. Das die da ein Kind anfixen, das bringt nichts."
Gegenüber der Dominanz der "rechten" an der Schule sind die Lehrer hilflos. Sie setzen trotzdem immer wieder auf Aufklärung und Erziehung zur Toleranz:
Eckhard Harnisch, Schulleiter Berufliches Schulzentrum Wurzen
"Das ist sicherlich nur ein kleiner Beitrag, weil die Schüler aufgrund ihrer Altersstruktur, die ... Der Großteil der Schüler bewegt sich zwischen 16tem und 22tem Lebensjahr. Und sie sind im Schnitt 65 Tage im Jahr, wenn ich an eine Klasse im Blockunterricht denke, 65 Tage im Jahr hier in der Schule. Da ist nicht zu erwarten, daß wir, sage ich mal, 'ne innere Einstellung grundlegend umstellen können."
Schüler, die sich offen gegen rechtes Gedankengut wenden, haben es an der Schule schwer. Einige wurden schon auf dem Nachhauseweg von Mitschülern bedroht.
Eckhard Harnisch, Schulleiter Berufliches Schulzentrum Wurzen
"Wenn 'nem Schüler, jetzt sag' ich's mal so, auf dem Weg zwischen hier und zu Hause unterwegs aufgelauert wird, da hab' ich, da sehe ich keine Möglichkeit, wie ich dort was unternehmen könnte. Muß allerdings auch dazu sagen, es kommt eigentlich kaum vor. Mir sind nur sehr wenig Fälle bekannt, was mal 'nen Schüler zusammengeschlagen worden ist."
Chor
Auch das ist Wurzen: Der Chor der JG, der Jungen Gemeinde.
Junge Christen proben eine Weihnachtsaufführung. Die meisten fühlen sich wohl in ihrer Stadt, sie wollen den Ruf von Wurzen nicht beschädigen. Doch die Welle rechter Gewalt hat auch sie erreicht.
O-Ton 1
"Ich habe auch schon die Erfahrung gemacht, daß ich angepöbelt wurde von relativ großen Gruppen von meistens jungen Männern. Und ich hab immer den Frauenbonos, daß ich deswegen nicht verprügelt wurde, aber ich denk schon, daß man einfach wenn man anders aussieht schon ein Ziel von Angriffen wird."
O-Ton 2
"Ich hatte da mal vor ein paar Jahren ein Erlebnis, daß ich mit ein paar Freunden in der Disco war hier in der Nähe. Eine größere Gruppe von rechtsextremen Jugendlichen, also weitaus mehr als wir waren, uns dann angriff, und das hat uns sehr, die haben uns zusammengeschlagen, auf uns herumgetreten."
O-Ton 1
"Ich denke nicht, daß das abgenommen hat hier. Ich denke, momantan ist das so, daß sich die Situation äußerlich beruhigt hat, weil einfach jetzt die Parteiarbeit relativ groß ist und daß gezielt Leute rekrutiert werden und das deswegen irgendwie diese Prügeleien irgendwie gebrenst werden. Ich denke, daß ist ganz gezielt, daß halt auch gerad so die breite Masse an Bürgern denkt, daß alles jetzt ruhig ist und alles ist brav und nichts passiert mehr und keiner wird verprügelt. Aber an sich denk ich ist das Problem noch genauso aktuell, wie vor zwei Jahren."
O-Ton 2
"Man hat wirklich keine Freunde, wenn man da nicht mitmacht, da bei den rechten und so. Und in unser Gymnasium sind selbst schon Rechte gekommen und haben dann Schüler zusammengeschlagen. Aufsichtslehrer mußten dazwischengehen, also ich find' es schon sehr extrem."
O-Ton 3
"Bei jedem, den ich jetzt auf der Straße sehe, werde ich dumm angepöbelt oder so. Mir gefällt's selber nicht. Ich geh dem dann meistens aus dem Weg. Oder tu auch mal zurück was sagen. Überall wo man hinkommt, man kennt die Leute, die wissen wie ich drüber denke und dann geht's dann schon los in der Truppe und die tuscheln, der Typ ist hier. Meistens verziehe ich mich dann."
O-Ton 4
"Ich habe mich auch nicht angepaßt. Ich bin meinen eigenen Weg gegangen. Ich hatte Freunde am Gymnasium und in der JG weil ich auch schon von Grund auf christlich erzogen worden bin und ich habe das auch nie abgelegt, dadurch. Ich war eigentlich immer ganz froh, die JG zu haben, die junge Gemeinde, wo ich hingehen konnte und Kirche. Weil das ist wirklich eine wichtige Erfahrung gewesen, hier aufgenommen zu sein."
Auf die Stadtverwaltung von Wurzen können die bedrohten Jugendlichen dagegen nicht bauen. Hier im Rathaus wird das Problem rechtsextremistisch motivierter Gewalt ignoriert. "Bei uns gibt es keine Rechten", behauptete Bürgermeister Anton Pausch, CDU, schon vor Jahren. Die Rechtsextremisten wurden dadurch nur zum Weitermachen ermutigt. Ein Interview mit KONTRASTE lehnt er ab.
Die Polizei dagegen hat auf die gefährliche Lage in Wurzen reagiert:
An der Spitze der Polizeidirektion steht seit kurzem der vorherige Leiter der sächsischen Sonderkommission gegen Rechtsextremismus. Die Schließung des Freizeitzentrums der NPD und die jetzt verbesserte Zusammenarbeit mit der Kommune gehen maßgeblich auf sein Konto. Er will aufräumen mit der Gewalt, reagiert schnell und wirksam auf jede Rechtsverletzung in der Stadt und will den Bürgern wieder mehr Sicherheit geben:
Bernd Merbitz, Polizeidirektor
"Wir wollen auch das Selbstvertrauen der Bevölkerung stärken, daß sie sieht: Polizei ist da. Polizei ist da, daß Gewalt nicht ausbrechen kann. Und wenn Gewaltansätze zum Ausbrechen vorhanden sind, daß die Polizei auch sofort handelt. Das Vertrauensverhältnis Polizei/Bevölkerung noch weiter zu erhöhen."
Die erhöhte Polizeipräsenz in Wurzen ist ein wichtiger Schritt zur Befriedung der Stadt. Doch damit allein ist die Kulturrevolution von rechts nicht aufzuhalten.
Die NDP gibt nicht auf, die Stadt droht ihre Jugend an die Feinde der Demokratie zu verlieren.
Wer meint, dieses rechts-radikale Potential sei eben eine Folge der Wirren nach der deutschen Einheit, der irrt. Kontraste hat schon lange vor der Wende 1989, also zu DDR-Zeiten, über Gewalttaten Rechtsradikaler in Sachsen berichtet.
Ist es ein Zufall, daß heute auch ehemalige SED-Funktionäre in Reih und Glied bei der NPD stehen, zu propagieren einen "völkischen Sozialismus"?