MMS-"Erfinder" Jim Humble, Quelle: rbb

- Ätzende Alternativmedizin - Angebliche Wundermittel gefährden Patienten

Das Mittel "Miracle Mineral Supplement", kurz MMS, soll wahre Wunder bewirken. Dabei ist es nur Chlordioxid oder Chlorbleiche, die zur Desinfektion von Schwimmbädern eingesetzt wird. Aber der "Erfinder" von MMS, Jim Humble, und seine Anhänger behaupten, es könne fast alle Krankheiten heilen - von Malaria bis hin zu Autismus bei Kindern. Doch Humble und seine Anhänger gehen noch weiter - und propagieren bei Haut- und Brustkrebs eine "Schwarze Salbe", die den Chirurgen ersetze. Ein Rat mit fatalen Folgen. Obwohl beide Mittel in Deutschland verboten sind, floriert das Geschäft mit der falschen Hoffnung auf Heilung.

 

Sanfte Medizin liegt voll im Trend. Doch ein Mittel, das zurzeit angepriesen wird und illegal kursiert, ist das Gegenteil von sanft: MMS, eine scharfe Chemikalie. Tausende vertrauen diesem Mann und seinen Wundermitteln – die angeblich gegen fast jede Krankheit helfen sollen. Monatelang haben meine Kollegen Caroline Walter und Christoph Rosenthal verdeckt in dieser sehr speziellen Alternativszene recherchiert. Was sie entdeckt haben, ist schockierend: Hier wird mit dem Leben von Schwerkranken gespielt.

Intensivstation der Berliner Tropenmedizin: Hier endete die Afrika-Reise von Nico R. Diagnose: Malaria Tropica.

Der junge Mann stand kurz vorm Nierenversagen. Schuld daran ist das alternative Wundermittel „MMS“, mit dem er die Malaria behandelt hat. Trotz Heilversprechen wirkte es überhaupt nicht.

Nico will nicht erkannt werden. Die Anhänger von „MMS“ reagieren aggressiv auf jede Kritik.

Nico R.
„Ich hab dem vertraut, dem MMS, und hab halt auch darauf vertraut, dass es wirkt. Und hab dadurch gar nicht mitgekriegt, wie brenzlig meine Situation war tatsächlich.“

Die Ärzte konnten Nicos Leben gerade noch retten. Und er ist nicht der Einzige, der uns von dieser Erfahrung mit MMS berichtet.

Das angebliche Wundermittel „MMS“ – man mischt es aus den Chemikalien Natriumchlorit und Salzsäure. Dabei entsteht Chlordioxid, ein aggressives Desinfektionsmittel. Das soll man dann trinken.

Der Amerikaner Jim Humble propagiert „MMS“ seit Jahren als Medizin.

Erst vor kurzem kamen Hunderte Interessierte zu einem Kongress nach Hannover, um ihn zu erleben. Dort verbreitet er die immer gleiche Geschichte.

Jim Humble
„Wir haben Tausende Fälle von Malaria behandelt und wir hatten 100 Prozent Erfolg damit.“

Humble behauptet, mit MMS könne man fast alle Krankheiten heilen – von Asthma, über Aids bis hin zu Krebs.

Was das Mittel im Körper anrichtet – das erfahren wir beim Giftnotruf in Mainz. Hier melden sich immer wieder MMS-Geschädigte, berichten von starken Durchfällen und Übelkeit.

Dr. Andreas Stürer
Giftinformationszentrum Mainz

„Wir würden das aufgrund der Chemikalien, die hier dem Körper zugeführt werden, als Verätzung bezeichnen. Das ist einfach eine Schädigung der Schleimhäute und gegen die sich der Körper wehrt, indem er einfach versucht, es dann durch Erbrechen heraus zu befördern oder eben durch den Durchfall.“

Zum Test haben wir eine Bluse mit einer normalen MMS-Dosis beträufelt – nach wenigen Minuten ist die Farbe weggeätzt.

Doch auf dem MMS-Kongress boomt das Geschäft mit der Hoffnung auf Heilung, die Bücher finden reißenden Absatz.

Wir sind undercover dort, und geben uns als Anhänger des Wundermittels aus.

Wir haben ein persönliches Beratungsgespräch bei Jim Humble. Und erzählen, dass einer von uns an Leukämie erkrankt sei und wollen wissen, was jetzt zu tun ist.

Jim Humble
„Alle Leute, die mit Leukämie zum Arzt gehen, sterben letztlich.“

Er rät uns stattdessen:

Jim Humble
„Steigere dich auf drei Tropfen MMS jede Stunde.“

KONTRASTE

„Aber wie weiß ich, dass MMS funktioniert?“

Jim Humble

„Weil du dich besser fühlst!“

Für die 20 Minuten Beratung mussten wir 100 Euro bezahlen.

Auf seinen Auftritt haben viele gewartet – Andreas Kalcker, führender Kopf der deutschen MMS-Szene. Er lamentiert gern über die große Verschwörung gegen MMS.

Auch bei Kalcker haben wir ein teures Beratungsgespräch. Unser Vater habe Darmkrebs und die Ärzte raten dringend zur Operation. Er empfiehlt uns dagegen eine Hinhaltetaktik, um die OP hinauszuzögern.

Andreas Kalcker
„Sagt zu den Ärzten: Ja, ja nächstes Jahr. Die Operation – nach dem Urlaub, dem Sommerurlaub, dem Winterurlaub. Dann – ach machen Sie noch mal eine Untersuchung, ist schon so lange her. Ich kann erfahrungsgemäß sagen, dass Darmkrebs sich sehr gut behandeln lässt mit MMS…“

Bei Darmkrebs keine Operation zu machen – diesen Ratschlag hält der Berliner Krebsspezialist Dr. Peters für absolut fahrlässig.

Dr. Uwe Peters
Onkologe

„MMS ist gefährlich, denn man behandelt Patienten mit einer Substanz, für die es keine wissenschaftlichen Nachweise für die Wirksamkeit gibt. Die Patienten verpassen die Zeit, in der man die Erkrankung heilen könnte – und diese Zeit kann man nachher unter Umständen nicht mehr aufholen, sie können an der Erkrankung versterben.“

Der Verkauf von MMS als Arzneimittel ist in Deutschland verboten – trotzdem können wir es getarnt als Desinfektionsmittel über das Internet bestellen.

Auf dem Alternativ-Kongress ist dieses Buch der Bestseller: Autismus heilen mit MMS. Als wir undercover unterwegs sind, lernen wir Mütter kennen, die ihre Kinder nach dem Buch behandeln und ihnen Chlordioxid verabreichen: Wie diese Frau ihrem 12-jährigen.

Mutter
„Vor drei Tagen, da hat er sich davon fast übergeben und ihm ist immer schlechter geworden. Und da hat er solche Ränder unter den Augen gehabt.“

Doch sie will ihrem Sohn weiter MMS geben, denn er sei ein Zappelphilipp.

Autistische Kinder wie dieser Junge leben in ihrer eigenen Welt, manche sprechen kein Wort. Heilung versprechen sich diese Mütter dabei von einer speziellen MMS-Therapie.

Mutter
„Ich habe meinem Sohn jetzt vier Monate viermal am Tag einen Einlauf mit MMS gemacht. Zuerst war er schon irgendwie so ein bisschen durcheinander und überrascht.“

Und diese Mutter führt schon bei ihrer 4-jährigen Tochter Einläufe mit Chlordioxid durch.

Mutter
„...alle zwei Tage Einlauf. Ich müsste noch öfter Einlauf machen.“
KONTRASTE
„Wie kriegst du deine Tochter zum Einlauf?“
Mutter

„Wenn der Wille stark genug ist und du strahlst ja aus, es gibt jetzt keine Alternative, dann wehren die sich auch nicht.“

Die Mütter halten sich streng an die Regeln von Andreas Kalcker und der Amerikanerin Kerri Rivera. Das Duo verbreitet die These: Autismus sei eine Folge von Impfschäden und Parasiten im Darm der Kinder. In ihren Vorträgen zeigen sie Bilder von angeblichen Würmern, die nach den Einläufen aus den Kindern herauskommen.

Dieses Schulungsvideo aus dem Internet zeigt, wie die Chlordioxid-Einläufe gemacht werden – so traktieren Eltern ihre Kinder monatelang.

Der renommierte Kinderpsychiater Prof. Schulte-Markwort ist entsetzt über diese Therapie. Denn es gäbe keinen einzigen Hinweis, dass Parasiten die Ursache von Autismus seien.

Prof. Michael Schulte-Markwort
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

„Solche Prozeduren sind Kindesmisshandlung. Sie sind nicht nur eine überflüssige Behandlungsmaßnahme, sondern sie sind Kindesmisshandlung. Kinder werden körperlich misshandelt durch die Einläufe, und sie werden psychisch misshandelt, dadurch dass die Eltern immer wieder Grenzüberschreitungen vornehmen müssen. Anders funktioniert es ja nicht.“

In der deutschen Facebook-Gruppe präsentieren Eltern – was sie nach dem Stuhlgang an vermeintlichen Würmern finden.

Wir legen die Fotos Dr. Stürer vom Giftnotruf Mainz vor. Er erkennt darauf die Folgen einer ständigen Darmverätzung.

Dr. Andreas Stürer
Giftinformationszentrum Mainz

„Das ist die Schleimhaut, die sich abgelöst hat, mit dem entsprechenden Schleim. Und auf dem einen Bild sind sicherlich auch Blutanteile. Das ist eine massive Schädigung des Darms.“

Die Mütter erzählen uns überzeugt, dass sich ihre Kinder anders verhalten würden – nach den Einläufen.

Mutter
„Früher ist mein Sohn los gerannt und du musstest ihm hinterher rennen. Jetzt gehe ich raus und der bleibt neben mir stehen und wartet auf mein Kommando.“

Prof. Michael Schulte-Markwort
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

„Wenn ein Kind danach, nach diesen Torturen und nach diesen Maßnahmen aufmerksamer erscheint, dann ist das nach meiner Einschätzung nur die Folge einer Strafaktion. Anders kann ein Kind das gar nicht auffassen.“

Je tiefer wir in die MMS-Szene vordringen, desto gefährlichere Abgründe tun sich auf. Auf der Seite vom Jim Humble-Verlag stoßen wir auf die sogenannte „Schwarze Salbe“. In Deutschland ist sie genau wie MMS verboten. Trotzdem findet sie viele Anwender.

Wir filmen verdeckt bei einem Vortrag zur „Schwarzen Salbe“. Die Heilpraktikerin Heike O. zieht viele Zuhörer an. Mitorganisator ist ein führender Kopf der MMS-Szene.

Die Heilpraktikerin behauptet: man könne Haut- und Brustkrebs mit der Schwarzen Salbe heilen. Sie zeigt Fotos von einer Brustkrebspatientin, deren Knoten mit der Salbe herausgeätzt wurde.

Heike O.
Heilpraktikerin

„Nach 27 Tagen sieht man, der Tumor kommt heraus. Ich finde, so sauber kriegt es kein Chirurg hin. Wenn man die schwarze Salbe anwendet, kann man die Operation vermeiden.“

Später erfahren wir, dass die Salbe höllische Schmerzen verursacht.

Im Vortrag schwärmt die Heilpraktikerin: die „Schwarze Salbe“ sei sogar ein Diagnose-Werkzeug. Schmiert man sie drauf – reagiert sie nur auf Krebs.

Heike O.
Heilpraktikerin

„Wenn sich die Stelle entzündet, kann man davon ausgehen, dass Tumorgewebe vorhanden ist. Passiert nichts, dann war da auch nichts. Die Salbe trennt zwischen gesunden und kranken Zellen. Phantastisch.“

Wir fragen die Heilpraktikerin, ob sie noch weitere Patienten mit Haut- und Brustkrebs mit der Salbe behandelt hat. Sie bestätigt das.

Wir lassen die „Schwarze Salbe“ von Dr. Heuermann prüfen, er leitet die Arzneimitteluntersuchungsstelle in Nordrhein-Westfalen.

Dr. Matthias Heuermann
Landeszentrum Gesundheit NRW
„In der schwarzen Salbe enthalten ist Zinkchlorid. Zinkchlorid ist eine aggressive Chemikalie, die zu Hautschäden führt, ganz unspezifisch und zum Absterben der Haut bei wiederholter Anwendung. Ferner ist enthalten ein Pflanzeninhaltsstoff, der selber krebserregend ist. Von daher halte ich das Ganze für eine bedenkliche Zubereitung, die würde ich bei mir selber nicht anwenden.“

Doch viele Patienten vertrauen den falschen Versprechen – die Folgen sind Löcher und schlimme Narben.

Dass es sogar tödlich enden kann – berichtet uns Krebsspezialist Dr. Herzog. Schon mehrmals suchten Geschädigte der „Schwarzen Salbe“ bei ihm Hilfe. In seiner Klinik verbindet er Schulmedizin mit Naturheilverfahren. Ihn regt es auf, wenn Quacksalber mit Menschenleben spielen.

Auf diesem Video sieht man ein großes Loch im Kopf eines Patienten, das Hirn pulsiert.

Dr. Alexander Herzog
Fachklinik Bad Salzhausen

„Ein Fall auf dem Video ist mit einem Hautkrebspatienten, der leicht hätte operiert werden können. Er hat von seiner Frau über ein halbes Jahr klang diese Salbe aufgetragen bekommen. Die Salbe hat sich ins Gehirn hinein gefressen uns letztendlich zum Tod des Patienten geführt. Hier sieht man eine Patientin mit Brustkrebs, wo die Salbe auch aufgetragen wurde, mit der Behauptung, jetzt kommt der Krebs heraus. Die Patientin kam zu mir mit einem riesigen Tumor, eiternd und blutend, sehr schmerzhaft. Und wie dieses Ding so groß geworden ist, das war immerhin ein Zeitraum von eineinhalb Jahren. In dieser Zeit sind auch Metastasen gewachsen, das heißt, die Patientin hat hier ihre Heilungschance vertan.“

Wir suchen die Praxis der Heilpraktikerin auf und wollen mit ihr über die Vorträge zur „Schwarzen Salbe“ reden. Heike O. gibt sich ahnungslos, tut so, als hätte sie nie irgendwas über die Salbe behauptet.

KONTRASTE
„Warum gefährden Sie Patienten mit einer Salbe, die nachweislich bei Krebs nicht wirksam ist?“

Heike O.
Heilpraktikerin

„Wissen Sie eigentlich, worüber Sie reden? Ich möchte mit Ihnen nicht darüber reden, weil wir konträre Meinungen haben.“

KONTRASTE

„Sie gefährden Patienten.“

Die Behörden prüfen jetzt den Fall.

Bundesweit gibt es zahllose Heilpraktiker, die diese gefährlichen Therapien ebenfalls praktizieren – seit Jahren unbehelligt.

 

Dass man dieser Szene nicht Herr wird, ist auch kein Wunder. In jedem Bundesland sind andere Behörden für die Kontrolle solcher gefährlichen Wundermittel zuständig. Und selbst, wenn wir die Behörden, wie etwa in Berlin, auf das Problem aufmerksam machen, bleiben sie tatenlos. Vielleicht wachen sie jetzt ja mal auf!

 

Beitrag von Caroline Walter und Christoph Rosenthal