Interview | Radrennfahrer Roger Kluge - "Wir warten alle sehnsüchtig auf Rennen"

Fr 08.05.20 | 11:10 Uhr
Radrennfahrer Roger Kluge (Quelle: imago images / Hartenfelser)
Video: rbb UM6 | 10.05.2020 | Simon Wenzel | Bild: imago images / Hartenfelser

Der internationale Radsportverband hält für Fahrer wie Roger Kluge ab Herbst einen vollen Rennkalender bereit. Im Interview spricht der Cottbuser über das Mammutprogramm, Rennen ohne Zuschauer und die positiven Seiten der wettkampffreien Zeit.

rbb|24: Roger Kluge, wie sieht aktuell Ihr Alltag in Berlin aus?

Roger Kluge: Es hat sich gar nicht so viel verändert. Ich bin halt mehr zu Hause. Das hat die Familie gefreut - und auch für mich war es schöner, mal ein bisschen länger da zu sein. Aber mein Arbeitsalltag sieht - dem Glück geschuldet, dass wir draußen trainieren können -  eigentlich noch ähnlich aus. Es war ganz normal: Aufstehen, frühstücken, Fahrrad fahren. Nachmittags haben wir mit unserer Tochter sehr viel Indoor gemacht, waren mal eine kleine Runde radfahren oder klettern auf dem Baum im Park - halt ein bisschen eingeschränkter. Sie ist viereinhalb Jahre alt. Sie würde sich gerne mit Freundinnen treffen oder auf den Spielplatz gehen.

Normalerweise sind um diese Jahreszeit schon viele Rennen. Jetzt sind Sie - anders als sonst - viel in Berlin. Wie können Sie sich hier fit halten? 

Das stimmt schon. Normalerweise wären wir jetzt gerade in Italien beim Giro d'Italia unterwegs - hätten schon die Klassiker-Saison in den Beinen gehabt. Aber es geht trotzdem ganz gut. Das Wetter ist ein wichtiger Faktor. Wenn wir jetzt einen schlechten April mit sehr viel Regen gehabt hätten, wäre es für uns sicherlich nicht so schön. Wir hatten über Ostern schönes und warmes Wetter - da macht das Fahrradfahren dann natürlich auch Spaß. Vielleicht ist es für uns auch ein bisschen Urlaub vom Reisestress. Wir müssen natürlich trotzdem arbeiten, wenn aber die ganze Fliegerei und das ständige Übernachten an anderen Orten wegfällt, ist das schon ein Unterschied. Das ist für uns dann schon erholender, einfach ein bisschen ruhiger. Man hat Zeit zu Hause. Das ist schön.

Die große Rennen, wie zum Beispiel der schon angesprochene Giro d'Italia, sind nicht abgesagt, sondern erstmal verschoben. Der neue offizielle Rennkalender ab August sieht schon sehr voll aus. Was halten Sie davon?

Erstmal ist es gut, dass wir eine Perspektive haben. Ein Ziel, auf das wir hinarbeiten können. Wir wussten, dass sehr wahrscheinlich im August wieder Rennen sind. Die Tour de France war dabei immer das große Thema. Dafür gibt es jetzt einen neuen Termin - ob der eingehalten werden kann, ist eine andere Frage. In Frankreich sind eigentlich erst ab dem 1. September wieder Großveranstaltungen erlaubt. Wir haben also einen groben Kalender, nach dem wir unser Training richten können. Ob die Rennen dann am Ende auch wirklich stattfinden werden, wissen wir immer noch nicht. Das kommt darauf an, wie gut sich die Situation in den jeweiligen Ländern bis dahin entwickelt. Ich will nicht alles schlecht reden. Es ist schön, dass wir eine Perspektive haben, aber warten wir einfach ab, ob wir im August wieder fahren können. Schön wäre es. Wir warten alle sehnsüchtig und wollen den Sport wieder im Fernsehen präsentieren. Auch für die Sponsoren ist es bitternötig, wieder präsent zu sein. Wenn es wirklich zu diesem vollen Kalender kommt, werden wir Fahrer die Rennen auf die vielen Fahrer in unserem Team aufteilen können. In den nächsten Wochen werden wir sicherlich besprechen, wer wo seinen Einsatz bekommt. Mein Start bei der Tour de France wird aber sicherlich bleiben.

Die Leistungshöhepunkte bei Sportlern werden genau ausgerechnet, teilweise sogar auf bestimmte Wochen. Wie leicht kann man den verschieben, wenn es im März heißt, es gibt erstmal keine Rennen mehr?

Für uns ist es vielleicht einfacher als für andere Sportarten, die wirklich nur dieses eine Highlight haben und sich darauf ein ganzes Jahr vorbereiten. Wir haben ja alle zwei Monate einen Höhepunkt, das heißt, wir sind im Idealfall ganzjährig auf einem sehr guten Niveau. Nach der Absage aller Rennen ging es erstmal darum, die Form zu halten. Das ist mir aufgrund der guten Bedingungen sehr gut gelungen. Ich würde behaupten, dass ich auf einem wettkampffähigen Level bin. Jetzt wo man ein festes Ziel hat, kann man die Intensität vielleicht nochmal ein bisschen zurücknehmen und eine ruhigere Woche einschieben, bevor man sich gezielt wieder steigert. In ein bis zwei Monaten bekommt man relativ schnell eine gute Form hin. Und die muss ja nur drei Monate halten, denn länger ist die Saison ja nicht mehr.

Nochmal zurück zur Tour de France: Glauben Sie schon fest daran, dass sie zum angesetzten Zeitpunkt stattfinden wird oder ist da innerlich auch ein Zweifel?

Ja, nach den Aussagen aus Frankreich bleibt da irgendwo noch ein Zweifel. Die Regierung sagt, es gibt keine Großveranstaltungen vor dem 1. September. Der Tour-Start ist für den 29. August geplant. Der Veranstalter will aber keine Rennen ohne Publikum. Ich fände es nicht so schlimm, wenn drei Tage später das Publikum da ist. Die "Grand Depart" fällt dann ein bisschen in ein Geisterloch. Aber ich fände es besser, überhaupt einen Tourstart zu haben am 29. August und ab September dann auch wieder Zuschauer an der Strecke zu haben, als gar keinen Start zu haben oder ihn wieder zu verschieben. Oder sie lassen die ersten drei Etappen ausfallen und wir starten mit der vierten Etappe ins Rennen, wenn es dann wieder erlaubt ist, Großveranstaltungen auszurichten.

Man hört immer wieder von vielen Sportlern, dass die Tour de France, selbst wenn man sie schon öfter gefahren ist, ein ganz besonderes Erlebnis ist. Ist die Sehnsucht danach vielleicht in diesem Jahr besonders groß, weil Sie so wenig unterwegs waren?

Ich glaube, die Sehnsucht nach Rennen ist allgemein sehr groß. Wir halten uns fit, sind bereit und haben das Ziel, eine ganze Saison lang Rennen zu bestreiten. Eigentlich trainieren wir nur in den Wintermonaten und fahren dann von Rennen zu Rennen. Insofern fehlen die uns einfach, egal in welcher Form. Vielleicht haben wir auch schon das Glück, dass wir unterhalb der World Tour Kategorie schon im Juli Rennen fahren können. Das wäre schön, wenn das in irgendwelchen Ländern möglich ist. Aber egal wo und wie: Wir wollen wieder Rennen fahren, uns präsentieren und mit anderen messen. Da spielt es erstmal keine Rolle, was für ein Rennen das ist. Aber die Tour bleibt die Tour. Das ist das Rennen mit der größten Aufmerksamkeit. Das ist das wichtigste für die Sponsoren, um den Sport und die Teams am Leben zu halten. Deswegen wäre es sehr wichtig, wenn die Tour stattfindet.

Merkt man denn bei der Ansprache innerhalb der Teams schon etwas von möglichen finanziellen Schwierigkeiten, wenn es nicht bald wieder losgeht?

Ja, wir aus dem Team haben eine Kürzung bekommen für die Monate, in denen wir keine Rennen fahren. Da sind wir aber nicht das einzige Team. Bei anderen Teams gibt es ähnliche Kürzungen. Es gibt auch Teams, die drohen wirklich schon fast mit dem Aus, da der Sponsor die Zeit nicht überbrücken kann. Es haben sich zwar auch in der Vergangenheit immer mal Teams aufgelöst, aber man kann nur hoffen, dass das nicht wegen der Corona-Krise passiert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Simon Wenzel, rbb Sport. Es handelt sich um eine gekürzte und redigierte Version.

Sendung: rbb UM6, 10.05.2020, 18 Uhr

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