Sendung vom 25.11.1964 - Abs, Hermann Josef

Günter Gaus im Gespräch mit Hermann Josef Abs

Wer keine Feinde hat, hat auch keine Freunde

Josef Hermann Abs, geboren am 15. Oktober 1901 in Bonn, gestorben am 5. Februar 1994 in Bad Soden.
Nach dem Abitur in Bonn Studium der Rechtswissenschaften und der Volkswirtschaft, nach einem Semester Abbruch, Banklehre in Köln. Auslandstätigkeit in London, Amsterdam, Paris und in den USA. 1935 wurde er Teilhaber des Bankhauses Delbrück, Schickler & Co. in Berlin, ab 1937 im Aufsichtsrat des Konzerns IG Farben, der später in die Auschwitz-Vernichtungsmaschinerie verstrickt war. Die Berufsbezeichnung Bankier behielt Abs auch bei, als er 1938 Mitglied des Vorstands und Direktor der Auslandsabteilung der Deutschen Bank in Berlin wurde. 1948 Aufbau der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Frankfurt/M., deren stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender er im Mai 1951 wurde. 1951 bis 1953 Leiter der deutschen Delegation bei der Schuldenkonferenz in London. 1957 Vorstandssprecher der Deutschen Bank, ab 1967 im Aufsichtsrat, dessen Vorsitz er bis 1976 innehatte. 1968 bis 1970 Vorsitzender der Krupp GmbH. Vorsitzender bzw. Mitglied in zahlreichen Aufsichtsräten führender deutscher Industriekonzerne.
Zeitweise kontrollierte er als Aufsichtsratsvorsitzender bis zu 30 Aktiengesellschaften.



Gaus: Herr Dr. Abs, als das führende Vorstandsmitglied der Deutschen Bank gehören Sie ohne Zweifel zu den führendsten Männern der Bundesrepublik, manchmal sagt man sogar, daß Sie dank Ihrer Funktion als Sprecher der größten Bank Westdeutschlands der größte Einflußnehmer der westdeutschen Industriegesellschaft überhaupt seien. Vielleicht können wir zunächst einmal versuchen, den äußeren Rahmen Ihrer Tätigkeit abzugrenzen. In wie vielen Aufsichtsräten und Verwaltungsräten haben Sie ein Mandat zur Zeit?

Abs: Die Haupttätigkeit, wie Sie schon sagten, ist meine Tätigkeit als Sprecher und Vorstandsmitglied der Deutschen Bank. Daneben habe ich in einer Reihe von Gesellschaften Aufsichtsratsmandate, oft den Vorsitz. Die Gesamtzahl, einschließlich gewisser ausländischer Gesellschaften, die nach dem deutschen Aktienrecht in der Höchstzahl nicht mitzählen – es dürften einige dreißig sein.

Gaus: Gibt es viele Wirtschafter in der Bundesrepublik, die eine so große Zahl von Mandaten auf sich versammeln?

Abs: Wenn ich es so verstehe, ob sie zugleich den Vorsitz der Gesellschaften innehaben, so möchte ich glauben, es gibt keine Parallele.

Gaus: Sie sind singulär in dieser Erscheinung?

Abs: Ja, vielleicht am Beginn des Alphabets und insofern einer von den Namen, die einem bei einer Berufung als erste einfallen.

Gaus: Sie glauben, das liegt am Alphabet?

Abs: In erster Linie.

Gaus: Ich erlaube mir, daran zu zweifeln. Wir werden vielleicht auf andere Gründe kommen, im Verlauf unserer Unterhaltung. Können Sie einige der größeren Firmen nennen, die auch in der breiten Öffentlichkeit bekannt sind?

Abs: Ja, ich möchte nennen Badisch Anilin und Soda, Siemens, Daimler-Benz, die Lufthansa, die Deutsche Bundesbahn, Dortmund Hörde Hüttenunion, RWE (Rheinisch-westfälisches Elektrizitätswerk) und manche andere.

Gaus: Das ist eine ganze Menge, und nun gelten Sie nach eigenem Eingeständnis als ein Mann, der monatelang sehr angestrengt arbeiten kann, ohne einmal zu unterbrechen, von acht Uhr morgens bis spät am Abend, und der von sich sagt, daß er auch nach einer zwölfstündigen Konferenz noch nicht völlig erschöpft ist. Dennoch drängt diese Ämterfülle mir eine Frage auf. Ihre Bereitschaft, noch immer ein Mandat mehr anzunehmen, wenn es Ihnen – nach dem Alphabet – angetragen wird, und damit eine weitere Einflußmöglichkeit zu gewinnen: Sind Sie mit dieser Bereitschaft praktisch der Gefangene Ihrer eigenen mächtigen Position, bei der ein Amt das andere nach sich zieht, oder befriedigt Sie diese große Einflußfülle auch?

Abs: Selbstverständlich, meine gesamte berufliche Tätigkeit löst eine Befriedigung aus, sonst könnte man ihr nicht mit diesem, ich möchte fast sagen, Übereifer nachgehen. Aber Sie dürfen nicht vergessen, daß wichtige Mandate oft mit besonders viel Arbeit und Sorge verknüpft sind. Ich denke an die Tätigkeit für so etwas wie den Hauptagenten der Entwicklungshilfe, die Kreditanstalt für Wiederaufbau, ein Institut, das ich selbst von Beginn an organisiert habe. Oder die Bereitschaft vor wenigen Jahren, als finanzielle Nöte sich bei der Deutschen Lufthansa abzeichneten, dort den Vorsitz zu übernehmen. Oder eine Tätigkeit bei der Deutschen Bundesbahn, einem Sorgenkind Nummer eins von heute, wahrscheinlich auch von morgen.

Gaus: Wenn Sie diese Befriedigung, die Ihnen diese Arbeitsfülle verschafft, erläutern müßten, wie würden Sie das tun?

Abs: Ich würde sagen, es ist in erster Linie das Bedürfnis, Dinge, die der Ordnung bedürfen, in Ordnung zu halten oder zu bringen. Bei einigen dieser Gesellschaften, die ich gerade genannt habe, ist das In-Ordnung-Bringen sogar das Wichtigste, ehe man sie dann in Ordnung halten kann. Ich bin fast geneigt, diese Art der Tätigkeit mit dem Patiencespiel zu vergleichen, wenn es gut geht, wenn alles aufgeht, und das ist eigentlich eine Hauptfunktion. Daneben aber: die Kontrolle der Tätigkeit des aktiven Vorstandes, denn dafür trägt ja der Aufsichtsrat die Verantwortung, also: den Vorstand in seiner Funktion zu überwachen, für den Nachwuchs zu sorgen, den nahtlosen Übergang zum nächsten, der einmal die Tätigkeit übernimmt, Ausschau halten nach solchen, die eine Position wirklich erfüllen können – das ist die Hauptaufgabe. Ich würde fast geneigt sein, obwohl diese Definition nicht alles wiedergibt, die Ordnungsfunktion als die wichtigste zu bezeichnen.

Gaus: Wie ist Ihr Verhältnis, Ihr persönliches Verhältnis zur Macht? Befriedigt diese Ämterfülle, die Sie im Wirtschaftsleben der Bundesrepublik einnehmen, auch einen Machthunger bei Hermann Josef Abs?

Abs: Ich glaube ... vielleicht habe ich mir darüber nicht genug Rechenschaft gegeben. Was in diesen Ämtern an Macht liegt, ist eigentlich nicht unbeschränkt, das ist nicht sehr viel an Macht.

Gaus: Aber vielleicht die Kombination?

Abs: Vielleicht die Summe. Es gibt Leute, die über ein großes Vermögen verfügen und eigene Unternehmen haben, die erfolgreich sind, und die sich geäußert haben, sie beneideten mich um die Machtfülle, die ich hätte. Ich bin geneigt, das als eine Verkennung anzusehen. Ich mag mich täuschen. Selbstverständlich und unabhängig »Ja« zu etwas zu sagen oder »Nein« zu sagen – es ist wie ein Symbol der Freiheit, und es ist ein Machtgefühl, gebe ich zu.

Gaus: Und ein befriedigendes?

Abs: Ein befriedigendes! Aber doch nicht in dem Sinne, um etwas Bestimmtes, in mir selbst Ruhendes zu suchen. Das doch nicht.

Gaus: Sie glauben nicht, daß Sie zu dieser Ämterfülle gekommen sind auf der Suche nach Macht?

Abs: Nein. Ich glaube, dann hätte ich die meisten Berufungen gerade nicht bekommen.

Gaus: Sie sind von Hause aus, Herr Dr. Abs, ein Glied dessen, was man gewöhnlich das gute und das wohlsituierte Bürgertum genannt hat. Ihr Vater war Justizrat und Wirtschaftsjurist in Bonn, wo Sie 1901 geboren wurden. Dieses gute Bürgertum, das als weitgespannter Mittelstand den Kern der Gesellschaft gebildet hat, ist durch zwei Weltkriege und die nachfolgenden Inflationen als gesellschaftliche Einheit fast zerbrochen. Ich würde dennoch gerne wissen, ob dieser gesellschaftliche Hintergrund des guten Bürgertums, aus dem Sie stammen, heute noch Wertmaßstäbe für Sie setzt, nach denen Sie sich richten – und welche Wertmaßstäbe das sind?

Abs: Ich will versuchen, dieser weitreichenden Frage gerecht zu werden. Zunächst sind meine Eltern aus zwei Kreisen stammend: meine Mutter aus einem gutsituierten Bürgertum, mein Vater aus kleinsten Verhältnissen.

Gaus: Der aber zum gutsituierten Bürger aufstieg.

Abs: Aufstieg, ja, nachdem er jahrelang im Ausland als Hauslehrer tätig war. In dieser Doppelgleisigkeit eines an Bildungseifer gewachsenen Mannes und einer aus den besten Kreisen stammenden Mutter, die aber beide dem christlichen Gedanken völlig hingegeben waren, ergab sich für mich die Frage, die Sie gerade nennen. Ich machte meine Schule, beendete sie unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, März 1920. Damals glaubte ich, das Richtigste sei, erst einmal eine Banklehre zu machen. Danach wollte ich studieren. Wenn das Ihre Frage bedeutete.

Gaus: Nicht ganz. Ich würde gern wissen, ob dieses bürgerliche Elternhaus Ihnen, unabhängig vom Beruf, den Sie dann ergriffen haben, Wertmaßstäbe allgemeiner Art für das Verhalten im Leben mitgegeben hat und welche das sind?

Abs: Etwas ja. Weil ich glaubte, daß der materielle Bau einer gesellschaftlichen Ordnung etwas hatte, was mit 1918 erschüttert worden war, und was eigentlich wieder Bestand zurückgewinnen sollte.

Gaus: Sie meinen also auch heute, daß die Wiederherstellung einer solchen klaren gesellschaftlichen Ordnung ein wünschenswertes gesellschaftspolitisches Ziel des Staates sein müßte?

Abs: Ich glaube, das, was vor 1914 oder vor 1918 war und was im Zuge der Restitution wiederherstellen zu können oder zu sollen viele in den zwanziger Jahren glaubten – das ist eine Welt, die nicht wiederbringbar ist.

Gaus: Bedauern Sie das?

Abs: Nein, keineswegs. Denn ich glaube, eine Welt, die nur so geordnet ist wie vor 1914, die würde genauso zerstören und die würde sich selbst zerstören, wie sie sich 1914 zerstört hat.

Gaus: Worin sehen Sie den wichtigsten Unterschied zwischen der neuen, sich bildenden Gesellschaft in der Bundesrepublik und der Gesellschaft vor 1914, in die Sie hineingeboren wurden?

Abs: 1914 spielten die Akademiker in bestimmten Kreisen eine besondere, oft überbetonte Rolle. Ich denke an die fast Verachtung, mit denen sich jene Kreise dem Nichtakademiker zuwandten. Ich gehörte einem berühmten humanistischem Gymnasium an, und ich habe darum kämpfen müssen, daß man mir in meinem Abgangszeugnis die Berufswahl Kaufmann zuließ. Ich wurde regelrecht bearbeitet – das waren noch die letzten Ausläufer einer kaiserlichen Vorkriegszeit –, daß ich der Schule diese Schmach, ja, so wurde fast gesagt, nicht antun dürfe. Ich sollte doch als Berufswunsch wenigstens schreiben "Nationalökonom" oder eine dieser modernen Wissenschaften studieren, wenn ich schon nicht eines der klassischen Studien aufnehmen wolle.

Gaus: Kaufmann war zu unakademisch?

Abs: Das war zu unakademisch. Aber ich habe darauf bestanden, weil ich Trotz hatte. Und es steht also drin: «... um Kaufmann zu werden«. Und es wurde mir gesagt, daß dies das erste Mal in dieser berühmten humanistischen Schule sei.

Gaus: Haben Sie diesen Trotz auch etwas später gebraucht, um das zu tun, was mir in Ihrem Leben fast ein wenig außerhalb jener Ordnung zu liegen scheint, die Sie mehrmals schon in diesem Gespräch so beschworen haben? Ihr Vater war zu einem führenden Wirtschaftsjuristen im Rheinland aufgestiegen, es lag nahe, daß Sie Jura studieren würden. Sie haben damit begonnen, und Bankiers lieben ja wohl wirklich – und Sie haben es schon mehrmals gesagt – Ordnung und ordnungsgemäßes Verhalten, weil das ihr risikoreiches Gewerbe etwas weniger risikoreich macht. Dennoch haben Sie dieses juristische Studium nicht beendet, sondern ohne Examen die Universität verlassen und eben eine Banklehre in einem kleinen Privatbankhaus in Bonn begonnen. Warum?

Abs: Es liegt etwas anders, aber es ist sehr schnell, mit wenigen Worten zu erklären. Ich habe zunächst nach dem Abitur die Banklehre hinter mich gebracht.

Gaus: Sie begannen dann aber Jura zu studieren.

Abs: Ja, ich habe dann gleichzeitig belegt und ein weiteres aktives Semester an der Universität in Bonn studiert. Ich habe dabei erkannt, daß man nicht in seiner Vaterstadt ernsthaft studieren kann – weil die Ablenkungen so zahlreich sind. Ich wandte mich nach München, und es traten Umstände in der persönlichen Sphäre meiner Familie ein – eine schwere Erkrankung meiner seit jener Zeit vollinvaliden Schwester –, die meine Eltern veranlaßten mich zu bitten, mindestens noch ein Jahr in Bonn zu bleiben.

Gaus: Und dann wollten Sie nicht mehr an die Universität?

Abs: Ich habe gesagt, dann nicht an die Universität, dann melde ich mich zu einer Bank, und so ging ich nach Köln.

Gaus: Was sagte Ihr Vater dazu?

Abs: Er sagte: Bitte, wenn du das ein Jahr machen möchtest, du solltest eigentlich studieren. Wir einigten uns dann auf ein weiteres Jahr Banktätigkeit als Angestellter in Köln, und da traf ich einen Mentor, einen bekannten Bankier – berühmt als Sammler, nun schon seit über 20 Jahren tot –, der mich aufforderte, seinem Weg ins Ausland zu folgen. Und so ging ich mit 22 ins Ausland und blieb dann der Bankkarriere treu und habe aufs Studium verzichtet.

Gaus: Sie haben eine sehr steile Karriere genommen, Sie erwähnten die Auslandstätigkeit, Sie waren in London, in Amsterdam, in Paris, in den Vereinigten Staaten von Amerika und kamen zurück, um in das Berliner Privatbankhaus Delbrück, Schickler und Co. einzutreten, wo Sie als relativ junger Mann, 1935, Teilhaber wurden. Noch erstaunlicher muß gelten, daß Sie zwei Jahre später, im Jahre 1937, bereits in das Direktorium der Deutschen Bank übernommen wurden, als Leiter der Auslandsabteilung. Zu dieser steilen Karriere habe ich mehrere Fragen, Herr Dr. Abs. Zunächst: Wie erklären Sie sich selber Ihren Aufstieg?

Abs: Meinen Sie jetzt den Aufstieg weg von Delbrück-Schickler hin zur Deutschen Bank, oder schon vorher?

Gaus: Vorher.

Abs: Vorher ... ich glaube, das war eine recht eifrige, erfolgreiche Tätigkeit. Ich bin zu Delbrück, Köln im Jahre 1921, Schwesterinstitut des bekannten, damals bekannten Berliner Bankhauses Delbrück-Schickler. Ich erinnere mich noch, wie ich mich vorstellen und mein Lehrzeugnis vorzeigen mußte, als ich mich um eine Stellung beworben hatte. Und daß mich der Chef in Köln eine dreiviertel Stunde warten ließ, und ich las im Wartezimmer die Geschichte des Bankhauses der Gebrüder Schickler, das 1712 gegründet wurde, später bekannt als Privatbank Friedrichs des Großen. Ich hatte also Zeit, die nicht ohne Oberflächlichkeit zum 200jährigen Jubiläum geschriebene Geschichte zu lesen. Und es reizte mich, in diesem Haus Teilhaber zu werden. Und das habe ich dann, vierzehn Jahre später, auch tatsächlich geschafft.

Gaus: Haben Sie einen Sinn für historische Verbindungen?

Abs: Durchaus. Achtung vor etwas, das lange Bestand gehalten hat und über Generationen hinweg Bestand behielt, das es wert war, erhalten zu werden – das ja.

Gaus: Was halten Sie für die wichtigsten Tugenden, die Sie mitgebracht haben für Ihren Aufstieg bis zur Deutschen Bank?

Abs: Ich würde sagen, durch die langjährige Tätigkeit im Ausland, fast sieben Jahre, betrachte ich die Erwerbung von Kenntnis von Sprachen als etwas Elementares, als ein Hilfsinstrument – aber nicht als das wesentliche –, um sich in die Lage des anderen zu versetzen, vor allem bei internationalen Verhandlungen, und für die Ausprägung der drei typischen Bankiereigenschaften, die ich immer versucht habe anzustreben.

Gaus: Welche?

Abs: Das eine ist eben jene Gabe, sich in den Interessenstandpunkt des Kunden zu versetzen, zweitens der Mut zum Engagement und drittens das Maß des Risikos.

Gaus: Das rechte Maß einzuhalten?

Abs: Ja. Und ich glaube, daß dies ein wesentlicher Beitrag war, um den Weg über Holland – das war wiederum ein Schwesterngebilde jenes Delbrück-Schickler-Komplexes, unabhängig, aber doch schwesterähnlich verbunden – an das älteste und angesehenste Haus damals, Delbrück-Schickler in Berlin, zu kommen. Wo ich nach der Bankkrise, sonst wär’s vielleicht noch etwas früher eingetreten, auch Teilhaber unter persönlicher Haftung wurde.

Gaus: Hat Sie irgendeine dieser drei Eigenschaften, die Sie für die Kardinaltugenden des Bankiers eben ausgegeben haben, in irgendeinem wichtigen Falle einmal im Stich gelassen, so daß Sie wirkliches Lehrgeld zu zahlen hatten? Haben Sie das Maß des Risikos einmal überschätzt, unterschätzt?

Abs: Ich glaube, ich habe es gesehen, wie es von anderen unterschätzt wurde, und ich war an wesentlichen Reorganisationen beteiligt. Ich möchte einen Fall nennen, die Rudolph-Karstadt-Aktiengesellschaft. Da habe ich gesehen, wie dieses Maß des Risikos von führenden Bankleuten und Finanziers Deutschlands in der Zeit vor 1931 unterschätzt worden war.

Gaus: Halten Sie es für möglich, daß es heute in der Bundesrepublik eine solche Gefährdung, ganz allgemein gesprochen, für die Wirtschaft, für die einzelnen Unternehmen, auch wieder gibt?

Abs: In ausgesprochenem Maße, ja. Das ist eines der Dinge, die mir in manchen Überlegungen sogar nicht ohne große Sorge ist.

Gaus: Wenn ich Sie recht verstehe, definieren Sie Ihre ganz persönlichen Eigenschaften und damit auch die wichtigsten Eigenschaften eines Bankiers allgemein als die rechte Mischung von Unternehmensgeist, auch der Bereitschaft, etwas zu riskieren, und der Fähigkeit, die Grenze, die man nicht überschreiten darf, früh genug zu erkennen.

Abs: In Verbindung mit der vielfältigen Wahrnehmung der Interessen des Kunden. Es ist ja nicht Unternehmungsgeist, Wagemut und Maß für eigene Risiken allein, im Streben für seine eigene Bank oder für sein eigenes Unternehmen ...

Gaus: Es ist ja auch mit fremden Geld.

Abs:... sondern gerade mit fremden Geld. Es geht darum, fremde Interessen in der Förderung dieses unternehmerischen Geistes zu unterstützen.

Gaus: Haben Sie ein Rezept – wenn es denn dafür ein Rezept gibt –, wonach Sie sich prüfen? Haben Sie sich immer in der Hand, um sich zu kontrollieren, daß Sie sich nicht einmal, weil Sie etwas vom Wagemut her reizt, über die Grenze hinauswagen? Wie kontrolliert Abs sich selber?

Abs: Ich würde sagen: gelernt in einer Privatfirma, wo es fünf aktive Teilhaber gab. Da durfte keiner ein Engagement eingehen, ohne daß alle zustimmten. Ein Grundsatz, den es heute unverändert im Vorstand der Deutschen Bank gibt. Wenn zu einem Engagement einer von zehn »Nein!« sagt, darf es nicht gemacht werden. Die Notwendigkeit, sich also ständig mit seinen Kollegen bei allen wichtigen Engagements zu verständigen, zwingt zu dieser Kontrolle – so lange keinem Übergewicht eines Einzelgängers in einem Team Raum gelassen wird.

Gaus: Man müßte annehmen, daß Sie dieses Übergewicht bereits darstellen. Wie vermeiden Sie diese Gefahr?

Abs: Indem ich besonders ängstlich bin, die Zustimmung meiner Kollegen einzuholen – um jene Kontrolle sicherzustellen.

Gaus: Man sagt Ihnen nach, Herr Dr. Abs, daß Sie sich gelegentlich Feinde machten, weil Sie lieber einen guten Freund verlieren, als auf eine gute Pointe zu verzichten. Haben Sie sich damit manchmal selber im Wege gestanden?

Abs: Das habe ich sicher, obwohl ich fast glaube: langsam etwas weniger. Weil man ja mit dem Alter auch etwas reifer wird. Ich weiß nicht: Wer keine persönlichen Feinde hat, hat auch keine persönlichen Freunde.

Gaus: In der Nähe von Remagen, Herr Dr. Abs, besitzen Sie ein Gut, das Ihr Sohn bewirtschaftet. Sie haben außer dem Sohn eine Tochter, und es heißt, daß Hermann Josef Abs klassische Musik, vor allem die Musik Johann Sebastian Bachs, sehr liebt. Ich würde gern wissen, ob in diesen beiden privaten Neigungen, Gutsherr zu sein und Förderer klassischer Musik, die Spuren zweier möglicher anderer Berufe für Sie stecken oder ob an Ihrer Berufung zum Finanzmann nie ein Zweifel bei Ihnen selbst herrschte?

Abs: Eigentlich hat an Letzterem nie ein ernsthafter Zweifel bestanden.

Gaus: Sie wollten Bankmann werden?

Abs: Mit fünfzehn Jahren schon. Ich hatte zwei Alternativen, und das wollte ich eigentlich kombinieren. Aber das Kriegsende mit der materiellen Not, so wie man sie sah, vielleicht übertrieben sah, hat mich dieses Ziel nicht verfolgen lassen. Das war: Mathematik und Musik zu studieren.

Gaus: Beides?

Abs: Beides. Das hätte ich wahrscheinlich am liebsten getan. Wahrscheinlich wäre ich ein ebenso schlechter Mathematiker wie Musiker geworden, so daß ich keinen Grund und keinen Anlaß sah zu bereuen, daß ich nicht das als Studium gewählt habe, was ich einmal träumerisch für mich ausgedacht hatte.

Gaus: Sie müssen mir erklären, warum Sie bereits in so jungen Jahren sich so sicher darin fühlten, daß Sie, wenn Sie nicht Mathematik und Musik studieren, dann ganz gewiß Bankkaufmann werden sollten.

Abs: Das kam sicher durch allerlei Fragen, die zu Hause von meinem Vater mit mir erörtert wurden, Probleme, die in in jene Finanzwelt zielten. Sicher ein Gebiet, das nicht zu den Stärken meines Vaters gehörte, und das hat mir, so schien es mir, eine Chance gegeben, mich gleichsam zu früh mit Finanzproblemen und Fragen des Geldwertes zu befassen, zu einer Zeit, als ich sogar noch in der Schule war.

Gaus: Gerade weil Ihr Vater dafür wenig Sinn hatte?

Abs: Nach meinem persönlichen, etwas kritischen Geschmack, ja, etwas zu wenig.

Gaus: Standen Sie in Opposition zu Ihrem Vater?

Abs: Selbstverständlich! Was wäre ein Sohn, wenn er nicht in Opposition zu seinem Vater stünde, in einem bestimmten Alter, ehe er die Reife der Achtzehn erreicht hat. Manche erreichen die Reife etwas früher, manche etwas später.

Gaus: Wie standen Sie denn der etwaigen Opposition Ihres Sohnes gegenüber, als Sie nun die Vaterrolle zu spielen hatten? Hat es eine solche gegeben?

Abs: Na selbstverständlich! Er war bloß wesentlich heftiger als ich in meiner Jugend.

Gaus: Sind Sie da sicher, oder haben Sie es vergessen?

Abs: Ob ich sicher bin?

Gaus: Daß er heftiger war, als Sie es gewesen sind?

Abs: Na, da bin ich sicher. Bin ich sicher, ja.

Gaus: In einer englischen Zeitung, Herr Dr. Abs, habe ich ein Zitat gefunden, das von Ihnen stammen soll. Danach sollen Sie auf die Frage, wie Sie sich in einem etwaigen Interessenkonflikt zwischen Ihren religiösen Überzeugungen als gläubiger Katholik und Ihrer Eigenschaft als nationalgesinnter Deutscher verhalten würden, geantwortet haben: »Das ist ein Problem, das es für mich nie geben wird, ich bin immer zuerst Christ und dann erst Deutscher". Bestätigen Sie oder dementieren Sie bitte dieses Zitat, das ich gefunden habe, und erläutern Sie mir bitte auf jeden Fall Ihre Einstellung zu den hergebrachten nationalen Vorstellungen.

Abs: Das Zitat stimmt wörtlich, und das ist von mir gefallen in einer internationalen Konferenz im Jahre 1941 in der Schweiz, wo bestimmte Probleme behandelt wurden, die mit den Auslandsschulden Deutschlands zusammenhingen.

Gaus: Sie waren ein Fachmann für Stillhalteabkommen?

Abs: Das war genau in einem solchen Rahmen. Und die Vorgänge in Deutschland beschäftigten naturgemäß die Schweiz, Vorgänge, die man unter dem Titel »Auschwitz und ähnliches« bezeichnete, und da kam dieses Thema hoch. Ich wurde danach gefragt, und das war meine Antwort. Weil es genau meiner Überzeugung entsprach. Wenn ich die Frage recht verstehe, wie ich mir die nationalen Dinge vorstelle ...

Gaus: Welchen Wert sie für Sie haben ...

Abs: Welchen Wert sie für mich haben ... so glaube ich in der Tat, daß eine Bevölkerung im Nationalen wurzelt, aber ich begrüße eine Entwicklung, die mehr und mehr dazu angetan scheint – denn so sicher kann man noch nicht sein, daß das Nationale oder vielmehr das Nationalistische überwunden wird –, also die dazu angetan scheint, daß ein Europa entsteht, eine europäische Gemeinschaft, eine atlantische Gemeinschaft. Dinge, die etwa vergleichbar sind dem alten Kulturzentrum der römisch-griechischen Zeit vor 2000 Jahren oder 1800 Jahren. Die Überwindung des Nationalen – ob das aber gelingt, da bin ich mir manchmal freilich im Zweifel.

Gaus: Sie stammen aus einem prononciert katholischen Elternhaus. Sagen Sie mir bitte, was ist Ihre Einstellung zu Bismarck und zu Bismarcks Deutschem Reich?

Abs: Ja, das ist ein Thema, das uns in der Jugend sehr bewegt hat. Wir haben alle Bücher jener Zeit gelesen, die pro Bismarck waren und gegen Bismarck waren. Bismarck hat ja auch verschiedene Perioden gehabt, solche, die man bedenkenlos bejaht, und solche, die nachher Ausdruck fanden in den schauerlichen Bismarcktürmen und die irgendwie typisch waren für jene Vorkriegszeit, da man mit einem talentierten Kaiser unzufrieden war und sich nach dem Eisernen Kanzler zurücksehnte. Ich würde sagen, ich bin geneigt, mehr Positives zu sehen, vor allem in dem jüngeren Bismarck, der es als Kanzler verstanden hat, die Konflikte entweder schnell zu beenden, wie mit Frankreich, oder sie zu vermeiden, etwa mit Rußland. Oder: die berühmte Berliner Konferenz – der ehrliche Makler zu sein. Das sind die Momente, wo er, glaube ich, auch meine persönliche Bewunderung verdiente. Aber in manchem, was vor allem in den Kulturkämpfen Ausdruck fand, gibt es auch eine erhebliche Kritik. Es mag da mitgesprochen haben, daß mein Vater eine Hauslehrerstelle in einer Adelsfamilie in England annahm. Die Familie wanderte dorthin aus, weil man die Söhne nicht in Preußen hat erziehen lassen wollen; diese Freiheit des Auswanderns gab es in den sechziger, siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, aber dennoch wollte man dem Sohn eine deutsche Erziehung geben, und folglich engagierte man einen Deutschen als Lehrer. Und diese Gedanken, die sehr oft das Thema der Diskussionen zu Hause waren, mit meinen Eltern, Brüdern, besonders mit meinem Vater, die haben sicher eine bestimmte Prägung vorgenommen in mir, ohne daß ich mir darüber in jener Zeit schon deutlicher hätte Rechenschaft geben können.

Gaus: Hat die Arbeit Ihres Vaters in England in Ihnen eine Neigung für England zurückgelassen? Wenn man den katholischen Hintergrund nun wieder bedenkt, nicht unbedingt etwas Selbstverständliches.

Abs: Mein Vater legte auf Sprachen großes Gewicht. Er hat seine geringen Einkünfte dadurch zu verbessern versucht, daß er von England zurückkam, ein Dolmetscherexamen in Französisch und Englisch machte, um am Gericht, in meiner Vaterstadt Bonn, zusätzlich als amtlicher Dolmetscher agieren zu können. Das war sowohl Französisch als auch Englisch, das hat sich naturgemäß mitgeteilt und in mir frühzeitig den Wunsch entstehen lassen, das Ausland draußen kennen zu lernen, Sprachen zu lernen.

Gaus: Ohne eine besondere Vorliebe für bestimmte Gesellschaftsordnungen?

Abs: Ganz ohne Vorliebe für bestimmte Gesellschaftsordnungen, denn dazu war der Vorgang 1918 zu umstürzlerisch, verglichen mit jener Zeit vor 1914. Ich nenne es das Modell 1910, etwas voll Friedensmäßiges mit all den heuchlerischen Seiten des sogenannten guten Bürgertums: Fassade und einander belügen sowie andere belügen! Also, das war keine Idealwelt.

Gaus: Das ist ein sehr kritisches Urteil jetzt gewesen. Aus dem Munde eines, seiner Funktion nach und nach landläufiger Vorstellung, eher zum Konservatismus neigenden Mannes – einigermaßen erstaunlich. Wann hat sich denn bei Ihnen diese kritische Einstellung zur Welt, nach dem Modell 1910, vollzogen? Vor der Inflation?

Abs: Ich würde die Inflation ... also die habe ich, in der wildesten Zeit, schon nicht mehr in Deutschland verbracht. Ich bin einem für die Inflation sehr erregendem Gewerbe nachgegangen, ich war nämlich Devisenhändler in Amsterdam. Ich sah in der ganzen Nachkriegszeit diesen Niedergang einzelner Familien, diese Umkehr all dessen, was vor 1914 Gültigkeit zu haben schien. Das hat sich in den zwanziger Jahren vollzogen, und ich kam 1929 mit einem Weltbild wieder nach Berlin, das war anders als das derjenigen, die in Deutschland geblieben waren. Dann kam sehr schnell jene Wirtschaftskrise, die nachher dann zu den politischen Krisen führte, zur Arbeitslosigkeit des Jahres '32 mit all den Folgen, die wir alle noch so deutlich in Erinnerung haben.

Gaus: Wie vertrug sich Ihr Weltbild mit dem Nationalsozialismus?

Abs: Es ist selbstverständlich, vielleicht heute billig, zu sagen, daß der Nationalsozialismus mir als der Inbegriff des Verbrecherischen erschien. Wobei für mich das Nationale im Nationalsozialismus keinerlei bestechende Größe darstellte, also das Nationalistische. Und dann ging die Entwicklung ja sehr schnell, 30. Juni 1934, die verschiedenen Schritte zur Macht, zur Stärkung der Macht, dann die Brüskierung des Auslands. Aber freilich: Hatte nicht das Flottenabkommen mit England eine noch größer Bedeutung für die Festigung der Macht? Oder jener äußere Erfolg der Berliner Olympischen Spiele im Jahre 1936?

Gaus: Warum sind Sie nicht, nachdem Sie Verbindung im Ausland hatten, wieder hinausgegangen?

Abs: Weil ich schon in der Wirtschaftskrise eine Angestelltentätigkeit in einer von der Krise bedrohten privaten Bank übernommen hatte – was dann folgerichtig dazu führte, nach Überwindung der Schattenseite der Krise, als Teilhaber begrüßt zu werden. Dieser Aufgabe habe ich mich verschrieben gehabt und habe andere Berufungen oder etwa die Idee, wieder ins Ausland zu gehen, fallen lassen. Inzwischen hatte ich eine Familie gegründet, Kinder waren in Berlin geboren, mich hielt die Aufgabe aufs engste gebunden.

Gaus: Dies bringt mich zu einer allgemeinen Frage, Herr Dr. Abs. Man hat nach dem Kriege die Hochfinanz und die Industrie gelegentlich den Schrittmacher des Nationalsozialismus genannt und, zu einem bestimmten Punkte, einen Nutznießer des Nationalsozialismus. Würden Sie sagen, daß es eine Art natürliches Grundverhalten der Wirtschaft gibt, politisch-sittliche Fragen so lange gering zu achten, solange der Schornstein raucht?

Abs: Ich glaube, das nicht bejahen zu können. Und wenn Sie sich die Struktur der deutschen Wirtschaft vorstellen, wie sie vor dem Kriege, in den 20er und 30er Jahren war oder auch jetzt wieder ist, so möchte ich glauben, daß man sich hüten müßte, eine Verallgemeinerung über das Verhalten der Wirtschaft als Schluß zu ziehen. Ich habe sehr große Unterschiede gefunden. Ich habe oft betont, daß die Schwerindustrie eine andere Einstellung hatte, eine aus einer Krise herausgehende, mehr positive Einstellung zu jenem Phänomen der 30er Jahre, als etwa jene ganz anders strukturierte Wirtschaft in Württemberg, oder nehmen Sie die an der Wasserkante oder jene wiederum anders betonte, weltoffenere Wirtschaft, wie sie in den Hansestädten Bremen und Hamburg zu Hause war. Oder nehmen Sie Sachsen, was wieder etwas Besonderes ist, eine Sprache, die wir jetzt so ungern vernehmen, weil sie einen ganz bestimmten Charakterzug zu haben scheint. Ich glaube also, man sollte sich hüten zu sagen, das war ein Verhalten der Wirtschaft schlechthin.

Gaus: War der durchschnittliche deutsche Unternehmer ... ich akzeptiere, daß ein solcher Durchschnittsunternehmer konstruiert wirken muß, aber konstruieren wir ihn einmal ... war der durchschnittliche deutsche Unternehmer apolitisch? War er desinteressiert, solange die Geschäfte gut gingen, an politischen Vorgängen in Deutschland?

Abs: Ich glaube, wenn man den Versuch macht, auf den Urgrund eines mangelnden politischen, eines apolitischen Verhaltens zu kommen, also da bin ich etwas zögernd, das zu akzeptieren. Ich will aber sagen: Einen Mangel an politischem Verständnis, an einem politischen Sich-Einsetzen-wollen, an einer politischen Mitverantwortung für den Zustand des Tages oder für eine Entwicklung – den möchte ich eher weiter zurückverlegen. Beginnend bei den Karlsbader Depeschen, der Beschränkung der Pressefreiheit und der Zensur des vorigen Jahrhunderts. So weit gehe ich zurück, wo sie begann, die Spaltung des Deutschen schlechthin, der bereit ist, zwischen der Tagestätigkeit und seiner privaten Sphäre und der politischen Welt einen zu deutlichen Unterschied zu machen. Und er hat es immer wieder versäumt – übrigens, das ist meine persönliche Meinung, auch heute noch –, aus den drei Ebenen, in denen er eigentlich tätig sein sollte – oder vielleicht sind es vier, vielleicht fünf – etwas Ganzes, eine einheitliche Persönlichkeit zu formen. Also Politik, Gesellschaftspolitik, die Tätigkeit des Wirtschaftens und die Hobbys und das Leben, was er zuhause führt, und wo er solchen Dingen nachgeht wie Literatur oder Kunst oder anderen Interessen.

Gaus: Glauben Sie, daß dieses ein Nachteil des deutschen Unternehmers auch heute noch ist?

Abs: Ja, glaube ich.

Gaus: Das ist ein Vorwurf, den Sie erheben möchten?

Abs: Jawohl. Aber der trifft nicht nur den Unternehmer, ich möchte ihn auch anderen Kategorien zuschreiben, gewissen akademischen Berufen, vielleicht. Aber da bitte ich wieder um Entschuldigung: Ich möchte es nicht verallgemeinernd dem Deutschen schlechthin zuschreiben. Er hat mehr Mühen als andere Angehörige von Nationen, die Einheitlichkeit seiner Persönlichkeit zu festigen, zu sichern und sie in all den eben angesprochenen Ebenen zuwege zu bringen.

Gaus: Führende Männer des Kreisauer Kreises, der zum Widerstand des 20. Juli 1944 gehörte, waren Ihre Freunde, Herr Dr. Abs. Sie selbst standen in Verbindung zu Ihnen, haben aber am 20. Juli selbst nicht mitgewirkt. Warum nicht? Sahen Sie keinen Sinn darin?

Abs: Nein, das will ich nicht sagen. Ich sah wohl einen Sinn, auf Grund der Entwicklung, die etwa seit Frühjahr ‘42 deutlich wurde, und der Kreisauer Kreis hatte ja schon einen Zusammenschluß gefunden in den Tagen vor September ‘39. Ich war sowohl mit Peter Yorck aufs Engste befreundet, der noch am 17. Juli '44 bei mir zu Hause war, um Abschied zu nehmen, als auch mit Helmuth Moltke, der im Februar '44 verhaftet wurde. Aber das Schwanken zwischen einem Bild, Held zu sein, zu dem man berufen sein muß, oder einer Don Quichotterie, – das heißt, etwas zu beginnen, ohne sicher zu sein, daß es zum Erfolge führt –, zudem die Verantwortung, an verantwortlicher Stelle in einem Institut zu arbeiten, wo so viel fremde Interessen verankert waren, also Vorstandsmitglied der Deutschen Bank zu sein, dann die Vorsicht wegen meiner eigenen Frau – das alles veranlaßte mich, besonders vorsichtig zu sein. Immerhin hatte ich mich kurz vorher verpflichtet, mich bei jenen Verhandlungen mit den westlichen Alliierten – damals nicht Alliierten Deutschlands, sondern Alliierten der westlichen Ordnung – zur Verfügung zu stellen. Wozu es ja dann nach dem Scheitern des 20. Juli nicht gekommen ist. Dazugehört zu haben ... zu dem Thema kann ich nur erzählen, was ein amerikanischer Generalkonsul, der mir im Jahre '49 das Visum nach Amerika geben wollte, mich fragte: »Sie haben in dem Fragebogen angegeben, daß Sie keiner Widerstandsbewegung gegen Hitler angehört haben. Das entspricht nicht unseren Informationen. Warum haben Sie ›Nein‹ gesagt?« Daraufhin habe ich ihm gesagt: Jemand, der nicht von den Nazis gehängt oder erschossen worden ist, hat nach meinem Gefühl nicht das Recht, sich auf den Widerstand gegen Hitler zu berufen. Das sagte ich, weil ich zu viele rechts und links sah, die sich in der Nachkriegsperiode, nur weil sie mal einen Röhm-Witz erzählt hatten und deshalb von der Gestapo vernommen worden waren, als Widerstandskämpfer bezeichneten. In jene Gruppe wollte ich nicht eingereiht werden.

Gaus: An Ihrer Antwort, Herr Dr. Abs, fällt mir eines auf, was mir schon mehrmals im Verlauf unseres Gesprächs aufgefallen ist: Sie haben als ein Hemmnis, sich dem Kreisauer Kreis ganz zur Verfügung zu stellen, erneut Ihre Verantwortung betont, das Verantwortungsgefühl gegenüber jener Bank, der Sie verbunden waren. Gehört diese starke Konzentration des Verantwortungsgefühls auf die Firma, der man sich verbunden weiß, auch zu den Kardinalstugenden, die Sie haben?

Abs: Sicher. Ich betrachte dies aber, so möchte ich fast sagen, nicht als eine Tugend, sondern als eine Selbstverständlichkeit. Eine Tugend ist eigentlich mit einer gewissen Anstrengung, mit einer Mühe verknüpft. Ich betrachte Treue zu einem Institut, dem man sich mit all seiner Kunst, ich möchte fast sagen: verkauft hat, als eine Selbstverständlichkeit.

Gaus: Sie haben nach 1945, Herr Abs, praktisch einen zweiten, wiederum steilen Aufstieg genommen. Sie waren vorübergehend als führender Bankmann aus der Zeit vor 1945 interniert, waren aber vor der Internierung und vor allem nach der Internierung Finanzberater – und zwar der britischen Militärregierung, in deren Internierungslager Sie aber auch gesessen hatten. Dies – interniert zu sein und sehr kurz danach Finanzberater zu sein bei denselben Leuten – gehört ein bißchen, vielleicht, zu den rätselhaften Vorgängen jener Welt der Einflußnehmer, zu jenen Vorgängen, von denen die breite Öffentlichkeit gerne sagt: Na ja, die Großen fallen immer wieder auf die Füße. Ich würde gerne wissen, Herr Dr. Abs, wie weit Sie Ihren Aufstieg nach dem Krieg im Besonderen und die wirtschaftliche Erholung Westdeutschlands im Allgemeinen tatsächlich darauf zurückführen, daß die Großen in der Wirtschaft sich nach 1945 wieder gefunden und auch wieder befunden haben in den alten Positionen? Und sich also wiederum ein Kreis bildete, in dem jeder jeden kennt.

Abs: Ich glaube, da muß ich doch einiges richtig stellen. Erstens war ich Ratgeber der Engländer im britischen Hauptquartier, und ich wurde dazu berufen schon im Juni 1945. Zu den Empfehlungen, die ich aussprach, gehörte die Währungsordnung. Dazu habe ich ganz bestimmte Vorstellungen erhoben, auch was die Institutionalisierung angeht, und da stand die englische Auffassung konträr der amerikanischen gegenüber. Die amerikanische Auffassung wollte als höchstes länderweise eine Neuordnung haben, Sie kennen das Landeszentralbanksystem, was damals geschaffen wurde. Das Bild, das ich den Engländern empfohlen habe, nämlich eine Reichsbankleitstelle in Hamburg zu errichten – für die ich dann aufgefordert wurde, zwei Leute meines Vorschlags zu engagieren –, erregte den Zorn der Amerikaner. Und die Amerikaner insistierten bei den Engländern, forderten den Vollzug des sogenannten automatischen Arrests, der bei mir nicht angewandt worden war. Ob die Engländer das übersehen hatten, laß ich dahingestellt sein. Und so wurde ich auf Druck der Amerikaner von den Engländern jene berühmten neunzig Tage eingesperrt. Meine Erinnerung an das miserable Loch des Altonaer Gefängnisses ist noch deutlich, das hat aber bei mir niemals zu einer Bitterkeit geführt. Die Zeit gab wundervoll Gelegenheit, Mitgefangene in ihrer Nacktheit, ihrem miserablen Charakter und auch in ihrer Charakterstärke kennenzulernen. Nach dieser Periode haben die Engländer nur in Einzelfragen noch von meinem Rat Gebrauch gemacht. Im Gegenteil, ich wurde aus allen Tätigkeiten entlassen, und ich lebte zufrieden und von ihnen in Ruhe gelassen auf meinem eben von Ihnen genannten Hof bei Remagen. Die Franzosen interessierten sich für mich und wollten mich als Ratgeber haben. Ich habe gesagt, nur mit Zustimmung der Engländer. Die gaben diese nicht. Und die Amerikaner wollten mich gern als Zeugen in Nürnberg haben, und das ist später dann auch geschehen, ich war da als sogenannter freiwilliger Zeuge für bestimmte Prozesse, die in Nürnberg vor sich gingen.

Gaus: Warum glauben Sie, daß die Engländer Sie nicht freistellen wollten als Ratgeber für die Franzosen?

Abs: Weil die Amerikaner nicht die Zustimmung gegeben haben, als ich Ratgeber der Engländer war. Die mangelnde Einigkeit der Alliierten war ja eines der Phänomene der Nachkriegszeit. Ich wurde dann am 1. April 1948 zum ersten Präsidenten der Bank deutscher Länder gewählt, eine Berufung, die nicht durchging, weil ich vier Bedingungen stellte. Davon wurde eine von den Alliierten, hauptsächlich von den Amerikanern, abgelehnt, und damit ging die Berufung nicht durch – weil ich auf die Bedingungen nicht verzichtete. Und dann erfolgte der Auftrag, im Zusammenhang mit dem Marshallplan die Kreditanstalt für Wiederaufbau zu organisieren, und damit habe ich begonnen.

Gaus: Damit sind wir vielleicht doch dabei, daß Abs wieder da war, wie alle auch.

Abs: Wenn man so will.

Gaus: Die Großen fallen auf die Füße.

Abs: Ich fing mit der Kreditanstalt an, mit einem Angestellten und einer Sekretärin und einem Faktotum, und ich begann, langsam aus nichts was zu machen. Denn die Länder waren sehr zögernd, hier ihr Kapital einzuzahlen. Am schnellsten zahlte das arme Land Schleswig-Holstein, zuletzt und nur auf Drängen das reiche Land Nordrhein-Westfalen. Daraus entwickelte sich dann die Distribution der Gegenwertkonten aus dem Marshallplan.

Gaus: Dennoch meine Frage: Wie hoch muß veranschlagt werden der Wert der Kontakte in diesem kleinen, überschaubaren Kreis der wirklichen Wirtschaftsführer – der der gleiche Kreis geblieben ist wie der Kreis vor 1945, vor 1933, im Großen und Ganzen jedenfalls?

Abs: Ja, war es nicht im ganzen Nachkriegsleben so? Hat man nicht selbst Politiker aus der alten Mottenkiste der SPD, der Zentrums- und der Volkspartei geholt, um wieder eine Verfassung gebende Versammlung, später den Bundestag aufzustellen? Wo sollte man denn überall die Männer hernehmen, denen man doch immerhin nachsagen konnte, daß sie eine gewisse Erfahrung, ein gewisses handwerkliches Können in den Fragen der Wirtschaft aufweisen konnten? So möchte ich das fast sagen. Dann kam der Auftrag über die Schuldenregelung, und das hat mich ja zwei Jahre beschäftigt. Und erst danach bin ich, das wird oft vergessen, zur Deutschen Bank zurückgekehrt.

Gaus: Die es ja zunächst erst gar nicht wieder gegeben hat.

Abs: Richtig, aber dann gab es die Süddeutsche und die Norddeutsche und dergleichen mehr.

Gaus: In Ihrer jetzigen Position und Funktion, jedenfalls als wichtigster Mann in dieser größten Bank, dürfen Sie als der klassische Repräsentant einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung gelten. Ich habe dazu eine Frage. Im Zusammenhang mit Plänen zur Vermögensbildung ist in der letzten Zeit die Frage häufig diskutiert worden, ob die Gerechtigkeit bei dem wirtschaftlichen Wiederaufbau zu kurz gekommen ist. Nach Ihrer Auffassung, Herr Dr. Abs: Kann die Forderung nach Gerechtigkeit in diesem Wirtschaftssystem, das wir haben, mehr als eine ehrenwerte, aber stets platonische fromme Bitte sein?

Abs: Das möchte ich nicht sagen. Ich möchte die Gerechtigkeit zunächst einmal in der Einkommensentwicklung sehen. Immerhin, wenn Sie meine Bank nehmen, so sind die Tarifangestellten in den letzten sieben Jahren um 70 Prozent in ihren Bezügen gestiegen, die Oberbeamten um etwa 50, die Unterschriftsträger um 40, die Direktoren um 33, der Vorstand um null Prozent. Es ist also eine echte Entwicklung. Sie können sagen, der mit null Prozent hat vorher schon zu viel verdient, und folglich ist es ganz gerecht.

Gaus: Ich wollte nicht sagen: zu viel, aber wollte sagen: so viel, daß vielleicht die Steigerung null möglich erscheint, während bei den anderen das Nachholbedürfnis vorhanden war.

Abs: Gebe ich ohne weiteres zu. Das ist ja typisch für die ganze Nachkriegszeit, dieses gewaltige Nachholbedürfnis, und ich finde, ein Teil der Lohnsteigerung ist nichts anderes als eine Korrektur, und man sollte es nicht als eine außergewöhnliche und übertriebene Forderung der Lohnempfänger oder Gehaltsempfänger ansehen. Ich glaube also, zunächst wäre das Streben nach gerechterem Ausgleich in der Einkommenssphäre zu suchen. Es sollte aber auch in der Vermögensbildung und damit in der Vermögensverteilung gesucht werden.

Gaus: Und Sie halten diese Erfüllung der Forderung nach Gerechtigkeit für möglich?

Abs: Nicht nur für möglich, sondern ich halte sie für legitim, und man sollte das Beste tun, einer solchen Forderung zur Erfüllung zu verhelfen.

Gaus: Halten Sie unter diesen Umständen Pläne, wie sie, gestützt auf ganz konkrete gesellschaftspolitische Vorstellungen, etwa von der Baugewerkschaft Georg Lebers vorgetragen werden, für vernünftig?

Abs: Ich halte sie für sehr beachtlich. Ich möchte bloß zwei Stellungnahmen zu einer solchen Frage, die einer gründlicheren Beantwortung wert wäre, herausstellen. Das eine ist: Jeder Zuschlag geht in die Kosten ein, das wird geleistet vom Arbeitgeber oder vom Unternehmer. Das mag man gering schätzen, wenn es sich nur, wie in diesem Vorschlag, um anderthalb Prozent handelt. Und das zweite ist, daß ich grundsätzlich kein Anhänger von kollektiven Institutionen bin. Wenn man also der Einrichtung der Vermögensfonds und der Verwaltung den Stachel des Kollektivgedankens nehmen könnte und sich auf der anderen Seite bewußt wäre, daß jede Leistung in die Kosten eingeht, dann möchte ich diesen Plan als sehr beachtlich und persönlich positiv bewerten.

Gaus: Was halten Sie von der Forderung der Gewerkschaften nach Mitbestimmung?

Abs: Dazu habe ich mich schon positiv geäußert. Ich habe selbst in drei oder vier Gesellschaften die Rolle, nicht nur Vorsitzender des Aufsichtsrates, sondern zugleich der Neutrale zu sein. Ich stehe positiv zur Betriebsverfassung und bin auch, im Blick auf die Geschichte des niedergeschlagenen Bergbaus und der Stahlindustrie, positiv zur weitergehenden Mitbestimmung in diesem Sektor der Industrie eingestellt.

Gaus: Und für die Gesamtwirtschaft?

Abs: Für die Gesamtwirtschaft bin ich nicht ohne Bedenken, aber ich glaube, die Bewährung ist bei manchen Gesellschaften schon vor sich gegangen. Daß sie funktioniert, muß aber auf zwei Elementen beruhen. Das eine sind die beiden Partner. Vertreter des Kapitals und die Vertretung der Arbeit müssen von einer wechselseitigen Achtung diktiert sein und an die Lösung, an die Diskussion der Probleme gemeinsam herantreten. Jeder sei bereit, mit besseren Argumenten den anderen zu überzeugen, oder auch bereit, sich von besseren Argumenten der anderen Seite überzeugen zu lassen. Indem diejenigen, die doch tätig sind, auf Grund ihrer eigenen Stellung sich Urteile bilden und Meinungen aussprechen, ohne auf Weisungen von außen hören zu müssen – nur so ist die Mitbestimmung zum Erfolg zu führen. Solche Beweise, daß sie erfolgreich ist, sind schon zahlreich. Und unter diesen Vorzeichen gehöre ich zu den positiven Anhängern der Mitbestimmung.

Gaus: Herr Dr. Abs, Sie haben bereits Ihre Tätigkeit auf der Londoner Schuldenkonferenz erwähnt, 1952, und das ist nur ein Beispiel für die häufige Verwendung, die Sie gefunden haben als Finanzdiplomat der Bundesregierung. Sie haben auch auf einem CDU-Parteitag einmal das wirtschaftspolitische Grundsatzreferat gehalten, und Ihre Verbindung zur Politik war so eng, daß Sie mehrmals als Ministerkandidat genannt worden sind. Warum sind Sie nicht ganz in die Politik gegangen?

Abs: Erstens: Die Politik ... also die Regierung, wenn Sie von einem Ministeramt sprechen, sollte eigentlich entsprechend der demokratischen Ordnung aus der Fraktion des Parlaments hervorgehen. Ich gehöre zu jener Kategorie, die noch nie in ihrem Leben Mitglied irgendeiner Partei gewesen sind, weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit. Sie möchten sagen, das ist eine der vielen Eitelkeiten, die ich verfolge. Ich weiß es nicht. Aber wenn für einen Fachminister eine Aufforderung ernsthafter Natur ergangen wäre, wenn eine Lage eingetreten wäre, bei der von mir ein Beitrag zu erwarten gewesen wäre zur Lösung von Problemen, die für Deutschland wichtig sind – so hätte ich mich sicher einer solchen Aufforderung nie entzogen.

Gaus: Definieren Sie doch bitte Ihre Auffassung über das Verhältnis von Politik und Wirtschaft. Glauben Sie an ein Primat der Wirtschaft über die Politik oder hielten Sie dies wenigstens für wünschenswert? Glauben Sie, daß die Politik nichts anderes ist als eine von der Wirtschaft weitgehend, nicht ganz, aber weitgehend abhängige Größe?

Abs: Das möchte ich klar und deutlich verneinen. Ich glaube nicht an ein solches Primat.

Gaus: Sie wünschen es auch nicht?

Abs: Ich wünsche es auch nicht, und ich würde es auch nicht für gut halten. Die Wirtschaft hat in sich selbst ein Gewicht. Sie wandelt sich. Dinge, die vor fünfzig und hundert Jahren von einer sehr großen Bedeutung waren, haben inzwischen anderen Disziplinen der Wirtschaft Platz machen müssen. Vor hundert Jahren gab es praktisch keine chemische Industrie, die heute ein sehr wichtiges Moment darstellt. Also sie ist dem Wandel unterworfen, und ich bin geneigt, alle Verallgemeinerungen zu vermeiden. Daher kann ich also nicht sagen, die Wirtschaft solle ein Primat über die Politik haben.

Gaus: Ich verstehe.

Abs: Ich glaube, daß die Politik eigentlich das Primat haben soll, wobei man dann darüber anfangen könnte zu reden, was ist Politik, und wie hat sie auszusehen.

Gaus: Sie repräsentieren eine Macht, Herr Dr. Abs, von der man sagen muß, daß sie vom politischen Gewicht ist, ohne daß sie von politischen Instanzen kontrolliert werden kann. Akzeptieren Sie diese Behauptung, und wenn ja, sehen Sie darin nicht eine Gefahr?

Abs: Wenn ich sie bejahen würde, würde ich zugleich zugeben müssen, daß ich darin eine Gefahr sehe.

Gaus: Aber Sie bestreiten, diese Macht zu haben?

Abs: Ich bestreite, diese Macht zu haben, denn ich brauche nur anzuschauen, daß ich in absehbaren Monaten meine Altersgrenze erreiche und damit, wie einer Guillotine zum Opfer fallend, bei der Deutschen Bank in Pension gehe. Auch sehr viele andere Tätigkeiten einstelle, Zeit gewinne, gewissen Hobbys nachzugehen, die ich noch mehr liebe als die Ausübung der Macht. Folglich sehe ich es nicht ganz so, wie man manchmal, von außen gesehen, nicht ohne Unrecht vermuten könnte.

Gaus: Erlauben Sie mir eine letzte Frage, Herr Dr. Abs. Sie sind ein wohlhabender Mann, Sie gehören zu den, vorerst noch, und wohl doch noch geraume Zeit, wichtigsten Einflußnehmern der Bundesrepublik, aber Sie sind dann doch nur der Hausmeister fremden Kapitals. Sie sind Manager, Sie hinterlassen kein Imperium, das den Namen Abs weiterträgt. Wenn Sie mir diese letzte Frage erlauben: Bedauern Sie das manchmal, daß sie diese Funktion und nicht die Funktion des Gründers einer Industriedynastie gehabt haben?

Abs: Ich weiß nicht, ob meine materiellen Möglichkeiten, mit aller Phantasie, ausgereicht hätten, eine solche Dynastie zu errichten. Das wage ich etwas zu bezweifeln.

Gaus: Ja, bedauern Sie das?

Abs: Nein, ich möchte Ihnen eigentlich sagen, daß ich ... ich wurde von den Amerikanern mal vernommen: Aus den Akten ergibt sich, daß Sie, als Mitinhaber eines privaten Bankhauses, mehr verdienten, das Doppelte als jetzt, als Vorstandsmitglied der Deutschen Bank – warum haben Sie den Übergang akzeptiert? Das ist für uns unerklärlich ... Ich habe ein Bild gewählt in der Antwort, das fällt mir gerade ein bei Ihrer Frage, ein Bild, das es vielleicht am treffendsten, wie mir scheint, wiedergibt. Ich habe in meiner Jugend, als mein Musiklehrer in den Vierzehner Krieg ziehen mußte, mich mit seinem jüngeren Bruder in die Aufgaben des Organisten geteilt. Die Privatbanktätigkeit war sozusagen die Organistentätigkeit, an einer Orgel mit 36 Registern, und dann wurde mir plötzlich eine zwar schlechter bezahlte Stelle als Domorganist angeboten, aber an einer wundervollen Orgel mit 72 lebenden Registern, mit einer wundervollen Disposition. Die Sehnsucht eines Orgelspielers war es, und ich habe also diese Berufung in den Dom angenommen – weil das größere Instrument ein mir angemesseneres Instrument schien. Das möchte ich einfach wiederholen, warum ein Hausmeistertum meiner Vorstellung genügte. Es war die Organistenstelle in einer Kathedrale. Dem kann ich eigentlich, zur Illustrierung, nicht viel noch beifügen.