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25 Millionen Euro will die Brandenburger SPD in neues Kita-Personal investieren. Eine Erzieherin muss sich dann nur noch um gut sechs Kinder kümmern. Doch der vermeintliche Fortschritt stellt nur den alten Zustand wieder her, und der war schon früher umstritten.
Frühkindliche Erziehung, das wissen wir nach Pisa, ist das A und O für ein ordentliches Bildungsniveau in Deutschland. Doch in Brandenburg fehlt dafür das Allerwichtigste: Ausreichend Erzieherinnen. Hier müssen sich bis zu 14 Kleinkinder eine Erzieherin teilen - da ist gute Pädagogik kaum noch möglich. Die brandenburgische Landesregierung will das nun ändern und – gemäß den Streikforderungen der vergangenen Wochen - mehr Personal einstellen. Klingt erstmal gut. Warum dieses Wahlversprechen dennoch ein Rückschritt ist, berichtet Ute Barthel.
Mindestens noch vier Extra-Arme wünscht sich an manchen Tagen die Krippenerzieherin Juliane Rojek um die Kleinen in ihrer Gruppe zu trösten. Denn, wenn ihre Kollegin krank oder im Urlaub ist, muss sie 14 Kleinkinder allein betreuen. Für sie heißt das zum Beispiel 14 Kinder wickeln.
Juliane Rojek, Erzieherin
"In der Regel brauchen wir nach dem Frühstück und Mittagessen eine gute halbe Stunde für 14 Kinder, aber das geht dann…."
Dreimal täglich 14 Kinder wickeln - insgesamt sind das elfeinhalb Stunden. Auch für das Füttern der Kinder braucht sie 45 Minuten, noch einmal so viel Zeit für das Umziehen, wenn sie die Kleinen für den Mittagsschlaf in die Betten bringt. So vergehen zirka drei Stunden.
Für pädagogische Angebote, wie Singen, Basteln und Vorlesen bleibt dann wenig Zeit.
Die Kita Friedrich Fröbel in Oranienburg hat Montag bis Samstag von 6 bis 20 Uhr geöffnet. 300 Kinder werden hier betreut von 30 Erziehern – Theoretisch.
Gerty Nast, Leiterin Kita „Friedrich Fröbel“
„Im Moment habe ich nur zwanzig Mitarbeiter im Haus… denn manche sind im Urlaub, manche sind Krank und manche sind zur Fortbildung.“
Laut Brandenburger Kitagesetz ist bei den unter Dreijährigen eine Erzieherin für acht Kinder vorgesehen. Deutschlandweit ist der schlechteste Personalschlüssel. Doch nun ist Wahlkampf und die Parteien geloben Besserung. Die SPD will den Betreuungsschlüssel auf 1:6 senken.
Und ist sich dabei mit dem Koalitionspartner CDU einig.
Katarina Reiche (MdB), CDU Brandenburg
„Es kann nur besser werden, wenn die Gruppen kleiner werden und überschaubarer und sich jede Erzieherin mehr Zeit für die Kinder nehmen kann. Deshalb wollen wir, dass der Betreuungsschlüssel für die Unterdreijährigen auf 1:6 gesenkt wird.“
Doch das entspricht dem Standard von 1993. Damals hatte jedes Kind in Brandenburg einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Und eine Erzieherin musste nur sechs Kleinkinder betreuen. Seit dem Jahr 2001 sind es acht Krippenkinder pro Erzieher und in der Praxis bis zu 14.
Und verantwortlich für diese Situation sind die Regierungsparteien CDU und SPD. Um Geld zusparen, verabschiedeten sie zuvor ein neues Kitagesetz mit einem schlechteren Betreuungsschlüssel.
Gegen die Gesetzesänderung protestierten 160.000 Brandenburger und sammelten Unterschriften für eine Volksinitiative. Doch die Regierungsparteien erklärten das für unzulässig. Denn die Volksinitiative würde in den Haushalt des Landes eingreifen.
Sabine Henze, selbst Kitaleiterin und stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hatte damals den Prostet mit organisiert.
Sabine Henze, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
„Wir wurden abgewatscht, um das mal so ganz schlicht auf Deutsch zu sagen. Wir wurden mit unseren Problemen nicht wahrgenommen. Für mich war das so ein Achtungszeichen, was bist du hier wert in diesem Land und auch vor allem die Kinder die du vertrittst mit dieser Initiative.“
Nun versuchten es Eltern, Erzieher und Gewerkschafter erneut mit dem Protest auf der Straße und schrieben Wunschzettel an die Politiker. Die versuchen ihre Wahlversprechen jetzt als großen Fortschritt zu verkaufen.
KLARTEXT
„Es gab den Rückschritt, den auch die CDU in Brandenburg mit zu verantworten hat, worin liegt denn dann die Verbesserung?“
Katarina Reiche (MdB), CDU Brandenburg
„Wenn der Betreuungsschlüssel sich verschlechtert hat, dann ist das etwas, was dringend korrigiert werden muss.. und das kann man ja der Politik auch durchaus mal anrechnen, dass sie einen Fehler erkennt.“
An diesen Fehler möchte Ministerpräsident Matthias Platzeck hingegen nicht erinnert werden. Er verspricht nur den alten Betreuungsschlüssel. Mehr sei nicht drin, wegen der hohen Schulden.
Matthias Platzeck (SPD), Ministerpräsident Brandenburg
„Es wäre gaga… Maßnahmen für Kitas und für Kinder zu machen ausschließlich über die Aufnahme neuer Schulden.“
Nachfragen von Klartext zum vermeintlichen Fortschritt sind unerwünscht.
Matthias Platzeck (SPD), Ministerpräsident Brandenburg
„Klartext… ich habe alles gesagt…“
Über Platzecks Auftreten sind die Eltern und Erzieher enttäuscht.
Sabine Henze, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
„Es ist die Rückgabe von einst gewesenen Personalbeständen, Fortschritt nicht. Das wäre 1:4 irgendwann.“
Eine Erzieherin für vier Kinder…bis es soweit ist, wird Juliane Rojek wohl schon längst im Ruhestand sein.
Ute Barthel