Polizist im Aufzug (Quelle: rbb)
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- Ungebrochene Karrieren - Hunderte Ex-Stasi-Mitarbeiter im Dienst der Brandenburger Polizei

Trotz Stasi-Überprüfung wurden nach der Wende hunderte ehemalige hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit in den Brandenburger Polizeidienst übernommen. Nach KLARTEXT vorliegenden Akten der Birthler-Behörde waren darunter auch Mitarbeiter, die für die Verfolgung und Inhaftierung politisch Andersdenkender in der DDR verantwortlich waren.

Die Enthüllung über eine Stasi-Mitarbeit des Todesschützen von Benno Ohnesorg hat gezeigt: Eine gründliche Aufklärung über Stasi-Verstrickungen in der Polizei ist dringend nötig. Wir haben damit begonnen: Penibel hat meine Kollegin Gabi Probst über Wochen hinweg in der Birthler-Behörde recherchiert und Akten gesichtet. Erschreckendes Ergebnis: Noch heute, 20 Jahre nach Mauerfall, arbeiten wahrscheinlich hunderte ehemalige Stasi-Mitarbeiter weiter als Polizisten in Brandenburg. Besonders heikel: Einige Beamte, die heute bei der Polizei Führungspositionen haben, waren zu DDR-Zeiten beteiligt an der Verfolgung und Inhaftierung politisch Andersdenkender.

Dieter Dombrowski sitzt zu DDR-Zeiten hier im Cottbusser Gefängnis, ans Messer geliefert von der Stasi. Er wollte aus der DDR fliehen.

Dieter Dombrowski (CDU), Generalsekretär Brandenburg
„Das Schlimmste ist eigentlich, dass man versucht hat, uns die Würde zu nehmen, uns den Willen zu brechen und uns zu Schwerstkriminellen zu machen, obwohl wir alle überhaupt nichts getan haben und völlig unschuldig hier Jahre unseres Lebens verbüßt haben.“

90 Prozent der in Cottbus Inhaftierten sind so genannte politische Häftlinge. Die Gefängniswärter waren angehalten, sie zu demütigen, sagt Dombrowski.

Dieter Dombrowski (CDU), Generalsekretär Brandenburg
„Und wenn dann diese Machtlosigkeit, die man zu spüren bekommen hat, darin gipfelte, dass Gefangene wahllos misshandelt und geschlagen wurden, dann tut das weh. Und das ist nur gemacht worden, um den Menschen die Würde zu nehmen. Das war das einzige Ziel, dass diese Schließer hier hatten.“

Er arbeitet zu DDR-Zeiten im Cottbusser Gefängnis: Berndt Fleischer. Zunächst ist er Wachmann, später steigt er zum so genannten Erzieher für die Häftlinge auf. Und nicht nur das. Laut Kartei der Stasi soll Berndt Fleischer seit 1979 auch Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen sein. Seinen IM-Namen „Fritz“, so erfahren wir von einem Führungsoffizier, habe er sich selbst gegeben. Außer dieser Kartei liegen KLARTEXT auch Berichte vom IM „Fritz“ vor.

Dieter Dombrowski (CDU), Generalsekretär Brandenburg
„Die so genannten Erzieher, die Offiziere, die eingesetzt waren für einen bestimmten Bereich, haben die Gefangenen auch zum Gespräch mit dem MfS-Offizier geführt.“

Dieter Dombrowski ist seit Jahren Abgeordneter im Brandenburger Landtag. Er will, dass ehemalige Stasi-Mitarbeiter sich ihrer Verantwortung stellen müssen. Deshalb setzt sich Dombrowski für einen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ein. Jetzt endlich ist der Gesetzesentwurf im Landtag.

Dieter Dombrowski (CDU), Generalsekretär Brandenburg
„Es gehört eine Offenheit dazu, dass man sich zu seinem eigenen Leben bekennt und nicht nur von anderen Transparenz verlangt.

Brandenburg ist bislang das einzige Bundesland ohne Landesbeauftragten.

Der frühere Gefängniserzieher und mutmaßliche IM Berndt Fleischer ist heute Pressesprecher der Polizei in Cottbus und gehört damit zum Führungsstab. Doch äußern will er sich gegenüber KLARTEXT nicht. Offenbar genießt er seit 20 Jahren das Vertrauen des Brandenburger Innenministeriums. Sein oberster Dienstherr ist Jörg Schönbohm, CDU, ein Parteifreund von Dieter Dombrowski.

Wie kann das sein? Gern hätten wir Innenminister Schönbohm dazu befragt. Doch der weigert sich, ein Interview zu geben. Stattdessen bekommen wir die schriftliche Auskunft:

Zitat
„Alle Beschäftigen wurden einer Personalprüfung unterzogen.“

Doch diese Personalüberprüfungen lesen sich heute wie eine Kette der verpassten Chancen. Rückblick: Die 90er Jahre.

1990 beschließt der Brandenburger Landtag: Eine Kommission soll die Brandenburger Polizisten überprüfen. Denn schon damals weiß man: Viele der ehemaligen MfS-Leute sind in der Wendezeit in den Polizeidienst gerutscht.

Die einzige Entscheidungsgrundlage der damaligen Überprüfung ist ein Fragebogen, den die Polizisten selbst ausfüllen dürfen. Personalunterlagen werden nicht beigelegt. Wer sich zu seiner Stasi-Tätigkeit bekennt, darf in der Regel bleiben.

Harry Ewert fertigt 1998 für den Deutschen Bundestag einen Bericht über die Stasi-Überprüfungen in den neuen Ländern an. Sein Urteil für Brandenburg:

Harry Ewert, ehem. Mitglied „Runder Tisch“
„Brandenburg hat am schlechtesten abgeschnitten, weil vom Prüfungsaufwand, der aufgewendet wurde, wie oft diese Prüfungskommission getagt hatte, die wenigste Zeit in Anspruch genommen wurde pro Einzelfall, der liegt bei circa elf Sekunden. Und da kann man keine Einzelfallprüfung vornehmen und bewerten überhaupt.“

Die lasche Brandenburger Überprüfungspraxis kritisiert auch Jörg Schönbohm – damals aber als Berliner Innensenator.

Jörg Schönbohm (CDU), ehem. Innensenator Berlin (1996)
„Das muss jetzt so weit das geht, und ich glaube, das geht weiter, als das was man bisher gemacht haben, bis ins Einzelne überprüft werden, denn das Vertrauen in die Polizei ist einmal für die Bürger Brandenburgs wichtig und ist auch für uns Berliner in der Zusammenarbeit mit der Polizei.“

Kurz darauf wechselt er nach Brandenburg. Doch von da an ist von seinem Aufklärungswillen nichts mehr zu spüren. Eine Stellungnahme zu seinem Richtungswechsel will er uns nicht geben. Dabei hätte es später Gelegenheit zur Umkehr gegeben, nämlich im Jahre 2004

Die Landesregierung eröffnet die Möglichkeit, Stasi-Leute im Polizeidienst auszusieben. Vor allem Führungskräfte sollten neu überprüft werden können. Aber weiter heißt es:

Zitat
„Den einzelnen Ministerien wird ferner freigestellt, über diesen Personenkreis hinaus bei Bedarf weitere Beschäftigte in eine erneute Anfrage einzubeziehen.“

Dies gelte insbesondere für Personen mit besonderer Vertrauensstellung, aus dem Justiz- und Polizeibereich. Die erneute Chance zur Aufklärung wird offenbar nicht genutzt. Nicht nur der ehemalige Gefängniserzieher aus Cottbus kann einfach die Uniform wechseln, auch ehemalige Hauptamtliche Offiziere der Staatssicherheit.

Zum Beispiel: Hauptkommissar Uwe Verch. Heute ist er im gehobenen Dienst in der Potsdamer Kriminalpolizei. In seinem früheren Leben war er Oberleutnant der Staatssicherheit und trug dazu bei, dass politisch Andersdenkende zu Haft verurteilt werden. Ein Beispiel:

September 1986 an der Straßenbahnhaltestelle am Magnus-Zeller-Platz in Stadtgebiet Potsdam – Schlaatz. Alltag in der DDR. An den Schaukästen gibt es „Schmierereien“ mit einem Filzstift. Sätze wie „Raketen raus, Volk befragen“, Pleace Peace“ mit dem Friedenssymbol und „Ich bin sauer auf die Mauer“ stehen dort.

Uwe Verch soll laut Unterlagen der Birthler-Behörde die Operation „Filzstift“ bearbeitet haben. Er ist Offizier der Abteilung XX der Potsdamer Bezirksverwaltung der Staatssicherheit.

Tobias Wunschik, Historiker Birthler-Behörde
„Es war das Zentrum der Inneren Repression in der DDR. Die Mitarbeiter dieser Linie veranlassten Überwachungs-, Bespitzelungs-, Kontrollmaßnahmen gegenüber Bürgern, die sich in irgendeiner Weise gegen das System zu engagieren schienen.“

Für Genossen Verch ist der Vorgang „Filzstift“ eindeutig:

Zitat
„Der Inhalt der Tatschriften verleumdet die sozialistische Staatengemeinschaft …“
Eine Tat, die
Zitat
„…mit einer Höchststrafe bis zu drei Jahren bestraft…“

werden kann.

Blatt 1987 schließt Verch den Vorgang „Filzstift“ ab. Nicht sein einziger übrigens. Ergebnis: ein Jugendlicher, wird zu einem Jahr und acht Monaten Haft verurteilt. Ein Jahr und acht Monate, weil er keine Mauer mehr will. Haft für den einen, Lob für den anderen. Uwe Verch soll laut Akten zum Referatsleiter entwickelt werden. So heißt es noch 1989:

Zitat
„Genosse Verch erreichte sehr gute Arbeitsergebnisse ...insbesondere bei der Klärung von Straftaten der staatsfeindlichen Hetze…Es wird vorgeschlagen, den Genossen Oberleutnant Verch anläßlich des 40. Jahrestages der Gründung der DDR zum Hauptmann zu befördern…“

2009. Potsdam-Schlaatz. Die Menschen, die die Mauer weg haben wollten, sind rehabilitiert. Das MfS gibt es nicht mehr, weil es den Unrechtstaat DDR nicht mehr gibt. Doch der Verfolger von einst ist heute noch im Polizeidienst: Uwe Verch.

Natürlich haben wir Uwe Verch um Stellungnahme gebeten. Doch der einst hauptamtliche Stasi-Mann lässt uns über seinen Anwalt mitteilen:

Zitat
„…dass er sich bei Einstellung in den Polizeidienst des Landes Brandenburg zu seiner Vergangenheit und zu seiner Verantwortung …“

geäußert habe….

In die Akten scheint jedoch niemand von dort geschaut zu haben. Und offenbar hat diese Äußerung von Verch bei seiner Einstellung keine Konsequenzen gehabt – weder bei mutmaßlichen IM’s noch bei Hauptamtlichen Mitarbeitern der Stasi – und übrigens auch nicht bei Führungskräften von heute.

Ein letztes Beispiel: Norbert Ramelow. Im internen Telefonbuch der Brandenburger Polizei steht er als Leiter der Abteilung 222 des Landeskriminalamtes Brandenburg, eine Führungskraft also.

Norbert Ramelow war hauptamtlicher Offizier und Lehrer an der Stasi-Hochschule. Auch er soll damals mit anderen Stasi-Mitarbeitern in der so genannten Operation „Fiber“ Regimegegner mit in Haft gebracht haben. Ob Norbert Ramelow sich dazu vor seinem Dienstherrn geäußert hat? Trägt Schönbohm als Innenminister einen ehemaligen Lehrer der Stasi-Kaderschmiede als heutigen Abteilungsleiter des Landeskriminalamtes? Wir wissen es nicht. Denn weder Ramelow noch Schönbohm wollen sich dazu äußern.

Dieter Dombrowski jedenfalls fordert Aufklärung und er will das auch zum Thema in der kommenden Landtagssitzung machen.



Gabi Probst