Austellungbesucherin über Antisemitismus in der DDR Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Verdrängte Geschichte – Antisemitismus in der DDR

Es sollte ein Zeichen der Einigkeit aller Bundestagsfraktionen sein, ein klares Signal gegen den Antisemitismus. Doch die gemeinsame Erklärung anlässlich des Geden-kens an die Pogrome am 9. November 1938 scheiterte, weil die Unionsfraktionen auf antisemitische Traditionen in der SED und der DDR hinweisen wollte. Antisemitis-mus in der DDR – gab es das wirklich?

Ein paar Zeilen aus dem Berliner Polizeibericht: „Unbekannte haben am Dienstag Abend in Friedrichshain eine Hauswand mit antisemitischen Parolen eine Hauswand beschmiert. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendwo in Berlin oder Brandenburg solche Taten gemeldet werden. Der tägliche Antisemitismus. Kein neues Phänomen – sowohl im Westen als auch im Osten. Denn Antisemitismus gab es auch in der DDR – und nicht wie viele glauben – erst seit der Wiedervereinigung. Ein Tabuthema, das auch 19 Jahre nach dem Mauerfall für Streit sorgt. Katrin Aue, André Kartschall und Stephan Stracke berichten.

Deutscher Bundestag, vergangene Woche. Ein Antrag wird verabschiedet, zum „Kampf gegen Antisemitismus“. Eigentlich problemlos mehrheitsfähig, sollte man meinen. Doch Hans-Peter Uhl erhebt einen schweren Vorwurf:

Hans-Peter Uhl (CDU/CSU), MdB
„Es ist unbestritten, dass ein verkappter Antisemitismus geradezu zur Staatsräson der DDR gehört hat.“

Starke Worte, die vor allem die Linkspartei empörten. Antisemitismus in der offiziell doch antifaschistischen DDR – gabŽs das wirklich?

Heike Radvan meint ja. Sie hat mit ostdeutschen Schülern recherchiert und eine Ausstellung zusammengestellt. Ihr Titel: „Das hatŽs bei uns nicht gegeben.“ Denn diese Antwort bekamen die Schüler auf ihre Fragen nach antisemitischen Vorfällen in ihren Heimatstädten, z.B. im mecklenburgischen Hagenow.

Heike Radvan, Amadeu-Antonio-Stiftung
„Die Jugendlichen in Hagenow haben recherchiert: Wo sind die Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Hagenow geblieben, die es bis 1962 auf dem jüdischen Friedhof in Hagenow gegeben hat, geblieben. Das war eine detektivische Aufgabe, sie haben sich vor die Kaufhalle gestellt, ihre Eltern gefragt, haben ihre Großeltern gefragt. Sie haben lange keine Antworten bekommen. Und ganz kurz vor Ende der Recherchen haben sie die Antwort bekommen. Da hat ein älterer Herr sich erinnert, dass damals die Grabsteine praktisch für ein Fundament einer Scheune im Nachbardorf verwandt wurden und hier verbaut wurden.“

Wo früher mal jüdische Gräber lagen, wurde in den 60er Jahren eine Autowaschanlage errichtet. Mit Genehmigung der Stadt.

Seit einem Jahr zieht die Ausstellung in Ostdeutschland von Stadt zu Stadt. Viele Besucher sind beeindruckt. Doch im Gästebuch findet sich vor allem harsche Ablehnung. Eben nach dem Motto: „Das hatŽs bei uns nicht gegeben.“

Heike Radvan, Amadeu-Antonio-Stiftung
„Die Ausstellung ist einer von vielen Versuchen, die DDR mit dem 3. Reich zu vergleichen bzw. gleichzustellen. Oder darunter: Eine staatlich gebilligte oder geförderte Judenfeindlichkeit hat es in der DDR nicht gegeben.“

Antisemitismus? Gab es nicht. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Schließlich sollte doch hier alles anders werden, im antifaschistischen Vorzeigestaat. Weder Rassismus noch Judenfeindlichkeit existierten – so das offizielle DDR-Bild.
Doch dieses Bild entsprach nie der Wirklichkeit, sagt der Historiker Jochen Staadt.

Jochen Staadt, Forschungsverbund SED-Staat
„Antisemitismus hat’s gegeben in der DDR wie in der Bundesrepublik. Aus der Geschichte heraus. Der ‚volkseigene Antisemitismus’, der war in beiden deutschen Staaten nach 1945 präsent. Und er ist in der DDR in verschiedenen Phasen durch die offizielle Propaganda auch bedient worden.“

In der Geburtsstunde des neuen Staates gab es gleich einen folgenschweren Entschluss. Die Rechtsnachfolge des nationalsozialistischen Deutschen Reiches lehnte die DDR ab. Das bei der „Arisierung“ durch die Nazis beschlagnahmte jüdische Eigentum behielt sie ein. Das sei der Arbeiterklasse ja ohnehin zuvor „abgepresst“ worden, so die DDR-Ideologie am Ende der 40er Jahre. Die DDR nahm keine Rücksicht auf den Massenmord an den Juden. Sie profitierte sogar von den Arisierungen.

Jochen Staadt, Forschungsverbund SED-Staat
„Die DDR hat die Enteignungen, die die Nazis vorgenommen hatten, jüdischer Bürger nicht rückgängig gemacht. Damit hat sie das begangene Unrecht der Nationalsozialisten unter antifaschistischer Flagge fortgesetzt.“

Eine Lesart, die unter ehemaligen DDR-Historikern noch immer umstritten ist. Zum Beispiel: Kurt Paetzold, heute Mitglied des Marxistischen Forums der Linkspartei.

Kurt Pätzold, Marxistisches Forum
„Es gab keine Fortführung der Enteignung von Juden. Oder sie belehren mich darüber, was Sie damit meinen.“
KLARTEXT
„Es gab doch arisiertes Vermögen, was dann einfach Volksvermögen wurde.“
Kurt Pätzold, Marxistisches Forum
„Das ist richtig, dass es keine Rückgabe sozusagen von Betrieben oder so etwas gab. Aber das war natürlich keine antisemitische Maßnahme, sondern das war eine soziale Maßnahme im Prozess sozusagen einer Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse.“

Eine „soziale Maßnahme“: Denn schließlich habe man ja ohnehin geplant, die Kapitalisten zu enteignen. Die Arisierung durch die Nazis wurde so als willkommene Grundlage für den Aufbau des Sozialismus benutzt.

Anfang der 50er Jahre kam es - wie in anderen Ostblockstaaten auch - in der DDR zu Übergriffen auf Juden. Die SED veranlasste Razzien in den Gemeinden und ließ jüdische Parteimitglieder verhören. Der Vorwurf: eine internationale, zionistische Verschwörung.

In der Folge flohen 400 Juden, fast die Hälfte aller Gemeindemitglieder, in den Westen.

Mit dem Tod Stalins endete die Zeit des staatlichen Antisemitismus, aber der in den Köpfen der Bevölkerung existierte weiter. Jüdische Friedhöfe – wie hier in Berlin-Weißensee - wurden in den folgenden Jahrzehnten immer wieder geschändet. Taten, die von den Behörden als „Rowdytum“ verharmlost wurden. Heike Radvan hat auch diese Vorfälle recherchiert:

Heike Radvan, Amadeu-Antonio-Stiftung
„Es hat eine Kontinuität von Schändungen, gleich 45/46 gab es eine sehr große Schändung, gegeben. All die Jahre. Die Gemeinden haben immer wieder darauf hingewiesen. Die Täter wurden nicht verfolgt. Die Gemeinden haben immer wieder darauf hingewiesen. Was man sagen kann, in den 80er Jahren nimmt es signifikant zu, mit dem Erstarken der rechtsextremen Szene.“

Aber der Antisemitismus blieb nicht auf die Neonaziszene beschränkt. Klischees steckten auch in den Köpfen von Durchschnittsbürgern. Andrej Hermlin, Swingmusiker und Sohn eines Juden, erlebte immer wieder Antisemitismus im Alltag. Zum Beispiel Schmierereien in der Straßenbahn.

Andrej Hermlin, Swing-Musiker
„DDR = Judenstern, NVA = Judenstern, FDJ = Judenstern. Der ganze Waggon war voll davon. Also „verjudete Organisationen“ sozusagen. Und es waren vielleicht 3 Leute in der Bahn. Und ich sage ganz laut: „Merkt denn hier keiner was?“ Und wenn Sie in der Straßenbahn sitzen, und nachts um 11 oder 12 jemand sagt etwas ganz lautes, dann drehen Sie sich doch zumindest um und gucken, was ist denn da? Keiner guckte hoch.“

In den 80er Jahren dann bemühte sich die DDR aus Imagegründen um ein besseres Verhältnis zu den jüdischen Gemeinden. 1988 wurde die während des Zweiten Weltkriegs zerstörte Synagoge in Berlin-Mitte wieder eröffnet. Symbolpolitik.

Erst die erste frei gewählte Volkskammer gab 1990 zu: Antisemitismus in der DDR hat es gegeben – und zwar auch von Seiten des Staates.

Sabine Bergmann-Pohl, Präsidentin der Volkskammer der DDR, 12.4.1990
„Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung … für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande.“

Seit 1990 ist es also eigentlich offiziell: Judenfeindlichkeit gab es in der DDR. Eine Erkenntnis, die für manche noch immer schwer erträglich ist.

Heike Radvan, Amadeu-Antonio-Stiftung
„Das ist ein bisschen der letzte Glaube, dass das, was positiv war am Antifaschismus in der DDR funktioniert habe. Und das stellt die Ausstellung zur Disposition, und das ist der Punkt.“

Tja, und trotzdem ist die Schau ausgebucht. Bis Ende 2009 ist die ist die Ausstellung in verschiedenen Städten in Ostdeutschland unterwegs.