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Im Streit um das 3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz wird vor allem um die Anerkennung der Leistungen der politischen Gefangenen in der DDR gerungen. Vergessen bleiben jedoch all jene, denen schon als Schüler jeder Entwicklungsweg versperrt blieb, weil sie religiös erzogen wurden. Wer sich in den 50er Jahren als Schüler der DDR verweigerte, dem blieben nur wenige Wege offen.
Die Amerikaner sind offenbar ganz verrückt nach allem, was mit der DDR zu tun hat. Bestes Beispiel, der Film „Das Leben der anderen“, der hat ja vor kurzem einen Oscar gewonnen. Und er lockt in den USA erstaunlich viele Zuschauer in die Kinos, genauso wie schon in Deutschland. Als Spielfilm interessant, aber die echten Geschichten zum Thema Stasi und SED-Diktatur, die will kaum noch einer hören. Auch wenn es um die Opfer geht. Einige von ihnen sollen demnächst eine so genannte Ehrenrente erhalten: 250 Euro im Monat. Aber nur, wenn sie in der DDR als politische Gefangene hinter Gittern saßen und wenn sie jetzt bedürftig sind. Andere saßen nicht im Gefängnis, und trotzdem hat die DDR-Diktatur ihre Lebensträume zerstört. Ein Bericht von Katrin Aue.
Markus Meckel (SPD), MdB
„Opfer von Diktaturen haben es schwer in Deutschland – auch nach der Zeit der Diktatur, gerade im Vergleich mit den Tätern.“
Astrid Voßhoff (CDU)
„Der Umgang mit diesen Opfern ist eben immer auch ein Gradmesser für den Zustand der Menschlichkeit und des demokratischen Grundverständnisses in unserer Gesellschaft.“
Wolfgang Wieland (Bü90/Die Grünen)
„Es darf wirklich nicht so sein, dass die Opfer am Ende den Eindruck haben, dass sie hier nur den Trostpreis erhalten.“
Schöne Worte im Bundestag. Ulrike Findeis aus dem brandenburgischen Lobetal ist damit nicht gemeint. Und das ist bedauerlich. Denn auch sie ist offiziell „politisch verfolgt“ – eine so genannte „verfolgte Schülerin“. Sie war erst 14, als der Staat in ihr Leben eingriff.
Ulrike Findeis
„Für mich war die Kindheit weg, von einem Tag zum anderen. Und ich fühlte mich damals sehr schlecht. So als wenn mir der Boden unter den Füßen weggezogen war. Das habe ich noch sehr tief sitzend in Erinnerung.“
Dabei war ihre Kindheit ohnehin nicht leicht. Als jüngste von fünf Töchtern musste sie mit ihren Eltern aus Schlesien fliehen. Sie waren eine christlich geprägte Familie, die aus der Not heraus versuchte, sich eine neue Existenz aufzubauen - in Neu-Casabra, heute Sachsen. Kindheit war harte Arbeit, und Kindheit war fleißiges Lernen.
Ulrike Findeis
„Das habe ich gewusst, wenn man gut ist in der Schule, dass man dann auch sicher einen ordentlichen Beruf erlernen kann. Und ich wollte nicht irgendwo so meinetwegen in der LPG oder so ein Leben führen, was meinen Eltern auferlegt worden ist, unfreiwillig.”
Ulrike Findeis, geborene Schiller, gehörte zu den Klassenbesten in ihrer Grundschule in Naundorf. Ihr Zeugnis von 1958 betont ihren lobenswerten Pioniereinsatz – und die sehr guten Leistungen. Deshalb war es für sie nur logisch, als während der 8. Klasse die Zusage für die weiterführende Oberschule in Oschatz kam. Hier wollte sie Abitur machen. Sie träumte vom Studieren – vielleicht Medizin oder Sprachen.
Doch dann wurde sie 14 – und musste sich mit der Jugendweihe für oder gegen die DDR entscheiden, was ihr so gar nicht bewusst war. Ihr ging es um die Konfirmation, die war ihr ein Herzensanliegen.
Ulrike Findeis
„Ich sollte mir das überlegen, warum ich an der Konfirmation so festhalte und nicht zu der Jugendweihe gehen wollte. Und da merkte ich, dass ich in die Enge getrieben wurde und hab zu Hause die Eltern gefragt. Und meine Eltern haben gesagt: Dann sagst du ganz einfach: Du kannst nicht zwei Herren dienen.“
Für die Behörden in Oschatz offenbar ein Affront. Die Auswahlkommission der Oberschule reagierte prompt und sagte Ulrike doch noch ab – nachträglich. Der Grund: Die ablehnende Haltung zur Jugendweihe.
Im Brief heißt es:
Zitat:
„Wir haben nicht die Absicht einen Gewissenszwang auf unsere Schüler auszuüben, aber wir müssen erwarten, dass unsere zukünftigen Staats- und Wirtschaftsfunktionäre in jeder Beziehung hinter unserem sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat stehen.“
Unter anderem ein Gespräch mit dem der Schulleiter der Grundschule, Franz Wagner, gab damals den Ausschlag – so ein Brief. Wir wollen ihn fragen, was genau die Kommission damals dazu veranlasste, Ulrikes Schulkarriere zu verbauen. Doch er lehnt ein Interview vor der Kamera ab.
Für die 14jährige und ihre Familie brach eine Welt zusammen. Umso mehr, als die zahlreichen Widersprüche der Eltern nicht fruchteten. Selbst zur 9. und 10. Klasse wurde Ulrike nicht zugelassen. Nur weil sie nicht an der Jugendweihe teilnehmen wollte.
Ulrike Findeis
„Ich war geschockt. Meine Eltern auch … ich habe meinen Vater mit Tränen in den Augen gesehen. Wir konnten es nicht fassen.“
Nur mit Mühe gelang es dem Vater schließlich, in Riesa einen Platz in einer Krankenpflegeschule für die Tochter zu finden. Die Kindheit war vorbei: Harte Schichtarbeit und täglich 40 km Radfahren.
Ihr Abitur machte Ulrike Findeis nicht mehr, nur - Jahre später - die 9. und 10. Klasse; mit Auszeichnung. Sie heiratete und bekam vier Kinder, ihr Leben war erfüllt. Die Zeit der Ausbildung war für sie einfach vorbei.
In den 90er Jahren bekam Ulrike Findeis ihre Rehabilitierung als „politisch verfolgte Schülerin“. Eine Genugtuung. Doch das Angebot, das die Behörde ihr machte, taugte für sie nicht: eine Umschulung mit finanzieller Unterstützung. Da war sie über 50.
Ulrike Findeis
„Das war eine Geste, sag ich mal. Wo ich gedacht habe: Ja, das ist am Schreibtisch entstanden. Das fand ich eine nette Geste, aber die war für mich nicht umsetzbar. Überhaupt nicht.“
Ihr geht es wie vielen Opfern der SED-Diktatur: einen echten Ausgleich für die Nachteile, die sie durch das System hatten, gab es nie. Finanziellen Ausgleich braucht und will Frau Findeis nicht, andere Opfer aber schon.
Deshalb wird im Bundestag zurzeit über ein Gesetz beraten, das politisch Verfolgten eine kleine Opferrente bieten soll. Allerdings: bedacht werden nur ehemalige Inhaftierte. Der ehemalige Bürgerrechtler Arnold Vaatz hat das Gesetz mit geschrieben. Er kämpft seit Jahren dafür – als einer der wenigen. Von Kritik am Entwurf will er jetzt nichts mehr hören.
Arnold Vaatz (CDU), MdB
„Weil ehemalige Inhaftierte im Grunde die Gruppe von Menschen sind, die in unverhältnismäßig stärkerer Weise geschädigt worden sind, als andere, die auch noch sicher bedauernswerte Schädigungen erlitten haben.“
KLARTEXT
„Aber was könnten Sie sich denn vorstellen, um das erlittene Unrecht von zum Beispiel verfolgten Schülern zu würdigen?“
Arnold Vaatz (CDU), MdB
„Sie kriegen im Kern niemals hundertprozentige Gerechtigkeit zustande.“
Hundertprozentige Gerechtigkeit erwartet Ulrike Findeis gar nicht. Auch Rache liegt ihr fern. Sie will, dass alles dafür getan wird, damit das Unrecht der Vergangenheit nicht beschönigt oder geleugnet wird.
Ulrike Findeis
„Denn immer wieder liest man: Das hatŽs doch nie gegeben. Und das stimmt eben nicht. Das hatŽs gegeben.“
Markus Meckel (SPD), MdB
„Opfer von Diktaturen haben es schwer in Deutschland – auch nach der Zeit der Diktatur, gerade im Vergleich mit den Tätern.“
Astrid Voßhoff (CDU)
„Der Umgang mit diesen Opfern ist eben immer auch ein Gradmesser für den Zustand der Menschlichkeit und des demokratischen Grundverständnisses in unserer Gesellschaft.“
Wolfgang Wieland (Bü90/Die Grünen)
„Es darf wirklich nicht so sein, dass die Opfer am Ende den Eindruck haben, dass sie hier nur den Trostpreis erhalten.“
Schöne Worte im Bundestag. Ulrike Findeis aus dem brandenburgischen Lobetal ist damit nicht gemeint. Und das ist bedauerlich. Denn auch sie ist offiziell „politisch verfolgt“ – eine so genannte „verfolgte Schülerin“. Sie war erst 14, als der Staat in ihr Leben eingriff.
Ulrike Findeis
„Für mich war die Kindheit weg, von einem Tag zum anderen. Und ich fühlte mich damals sehr schlecht. So als wenn mir der Boden unter den Füßen weggezogen war. Das habe ich noch sehr tief sitzend in Erinnerung.“
Dabei war ihre Kindheit ohnehin nicht leicht. Als jüngste von fünf Töchtern musste sie mit ihren Eltern aus Schlesien fliehen. Sie waren eine christlich geprägte Familie, die aus der Not heraus versuchte, sich eine neue Existenz aufzubauen - in Neu-Casabra, heute Sachsen. Kindheit war harte Arbeit, und Kindheit war fleißiges Lernen.
Ulrike Findeis
„Das habe ich gewusst, wenn man gut ist in der Schule, dass man dann auch sicher einen ordentlichen Beruf erlernen kann. Und ich wollte nicht irgendwo so meinetwegen in der LPG oder so ein Leben führen, was meinen Eltern auferlegt worden ist, unfreiwillig.”
Ulrike Findeis, geborene Schiller, gehörte zu den Klassenbesten in ihrer Grundschule in Naundorf. Ihr Zeugnis von 1958 betont ihren lobenswerten Pioniereinsatz – und die sehr guten Leistungen. Deshalb war es für sie nur logisch, als während der 8. Klasse die Zusage für die weiterführende Oberschule in Oschatz kam. Hier wollte sie Abitur machen. Sie träumte vom Studieren – vielleicht Medizin oder Sprachen.
Doch dann wurde sie 14 – und musste sich mit der Jugendweihe für oder gegen die DDR entscheiden, was ihr so gar nicht bewusst war. Ihr ging es um die Konfirmation, die war ihr ein Herzensanliegen.
Ulrike Findeis
„Ich sollte mir das überlegen, warum ich an der Konfirmation so festhalte und nicht zu der Jugendweihe gehen wollte. Und da merkte ich, dass ich in die Enge getrieben wurde und hab zu Hause die Eltern gefragt. Und meine Eltern haben gesagt: Dann sagst du ganz einfach: Du kannst nicht zwei Herren dienen.“
Für die Behörden in Oschatz offenbar ein Affront. Die Auswahlkommission der Oberschule reagierte prompt und sagte Ulrike doch noch ab – nachträglich. Der Grund: Die ablehnende Haltung zur Jugendweihe.
Im Brief heißt es:
Zitat:
„Wir haben nicht die Absicht einen Gewissenszwang auf unsere Schüler auszuüben, aber wir müssen erwarten, dass unsere zukünftigen Staats- und Wirtschaftsfunktionäre in jeder Beziehung hinter unserem sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat stehen.“
Unter anderem ein Gespräch mit dem der Schulleiter der Grundschule, Franz Wagner, gab damals den Ausschlag – so ein Brief. Wir wollen ihn fragen, was genau die Kommission damals dazu veranlasste, Ulrikes Schulkarriere zu verbauen. Doch er lehnt ein Interview vor der Kamera ab.
Für die 14jährige und ihre Familie brach eine Welt zusammen. Umso mehr, als die zahlreichen Widersprüche der Eltern nicht fruchteten. Selbst zur 9. und 10. Klasse wurde Ulrike nicht zugelassen. Nur weil sie nicht an der Jugendweihe teilnehmen wollte.
Ulrike Findeis
„Ich war geschockt. Meine Eltern auch … ich habe meinen Vater mit Tränen in den Augen gesehen. Wir konnten es nicht fassen.“
Nur mit Mühe gelang es dem Vater schließlich, in Riesa einen Platz in einer Krankenpflegeschule für die Tochter zu finden. Die Kindheit war vorbei: Harte Schichtarbeit und täglich 40 km Radfahren.
Ihr Abitur machte Ulrike Findeis nicht mehr, nur - Jahre später - die 9. und 10. Klasse; mit Auszeichnung. Sie heiratete und bekam vier Kinder, ihr Leben war erfüllt. Die Zeit der Ausbildung war für sie einfach vorbei.
In den 90er Jahren bekam Ulrike Findeis ihre Rehabilitierung als „politisch verfolgte Schülerin“. Eine Genugtuung. Doch das Angebot, das die Behörde ihr machte, taugte für sie nicht: eine Umschulung mit finanzieller Unterstützung. Da war sie über 50.
Ulrike Findeis
„Das war eine Geste, sag ich mal. Wo ich gedacht habe: Ja, das ist am Schreibtisch entstanden. Das fand ich eine nette Geste, aber die war für mich nicht umsetzbar. Überhaupt nicht.“
Ihr geht es wie vielen Opfern der SED-Diktatur: einen echten Ausgleich für die Nachteile, die sie durch das System hatten, gab es nie. Finanziellen Ausgleich braucht und will Frau Findeis nicht, andere Opfer aber schon.
Deshalb wird im Bundestag zurzeit über ein Gesetz beraten, das politisch Verfolgten eine kleine Opferrente bieten soll. Allerdings: bedacht werden nur ehemalige Inhaftierte. Der ehemalige Bürgerrechtler Arnold Vaatz hat das Gesetz mit geschrieben. Er kämpft seit Jahren dafür – als einer der wenigen. Von Kritik am Entwurf will er jetzt nichts mehr hören.
Arnold Vaatz (CDU), MdB
„Weil ehemalige Inhaftierte im Grunde die Gruppe von Menschen sind, die in unverhältnismäßig stärkerer Weise geschädigt worden sind, als andere, die auch noch sicher bedauernswerte Schädigungen erlitten haben.“
KLARTEXT
„Aber was könnten Sie sich denn vorstellen, um das erlittene Unrecht von zum Beispiel verfolgten Schülern zu würdigen?“
Arnold Vaatz (CDU), MdB
„Sie kriegen im Kern niemals hundertprozentige Gerechtigkeit zustande.“
Hundertprozentige Gerechtigkeit erwartet Ulrike Findeis gar nicht. Auch Rache liegt ihr fern. Sie will, dass alles dafür getan wird, damit das Unrecht der Vergangenheit nicht beschönigt oder geleugnet wird.
Ulrike Findeis
„Denn immer wieder liest man: Das hatŽs doch nie gegeben. Und das stimmt eben nicht. Das hatŽs gegeben.“