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Die landeseigene Vivantes GmbH verkauft eine Immobilie für 2,5 Millionen Euro. Bekommen hat sie sie vom Land Berlin für 1 DM. Und rund 40 psychisch kranke Menschen, die in diesem Haus ihre letzte Zuflucht gefunden haben, sollen raus. Die zuständigen Senatoren könnten den fragwürdigen Verkauf stoppen – wenn sie wollten.
Anmoderation
Setzt der Klinikbetreiber Vivantes in Berlin kranke Menschen auf die Straße? Unser Bericht in der vergangenen Sendung darüber hat bei vielen Zuschauern Empörung ausgelöst: Vivantes plant, eine Immobilie in Berlin-Schöneberg meistbietend zu verkaufen. Offenbar ohne Rücksicht zu nehmen auf psychisch kranke, die hier seit Jahren in einer betreuten Einrichtung leben. Sie würden ihr Zuhause verlieren. Wir haben nachgefasst, und wollten wissen: kann die Politik hier wirklich nichts tun? Andrea Everwien.
Um diese Menschen geht es: Kranke Menschen, die unter Psychosen und Schizophrenie leiden. Sie brauchen besonderen Schutz und vor allem besonders verlässliche Lebensumstände. 15 Jahre haben sie diese in ihrem Haus in Schöneberg gefunden. Dass sie hier womöglich rausmüssen, ist für sie eine Katastrophe.
Bewohner
"Nee, ich will nicht umziehen."
Eigentümer ist die Krankenhausgesellschaft Vivantes, eine 100-prozentige Tochter des Landes Berlin. Der Vivantes-Aufsichtsrat hat entschieden: das Haus wird an den verkauft, der am meisten Geld bietet. Aus Sicht des Unternehmens ist das vernünftig.
Aber ist es auch vernünftig aus Sicht des Landes? Immerhin ist Berlin gesetzlich verpflichtet, für diese Kranken zu sorgen. Diesen Auftrag hat das Land der Pinel-Gesellschaft übertragen. Die konnte aber nur vergleichsweise wenig Geld anbieten.
Muss das Haus dann tatsächlich an den Meistbietenden gehen? Offenbar ist Gesundheitssenator Mario Czaja dieser Meinung. Denn er sitzt zwar im Aufsichtsrat von Vivantes, hat dort aber nichts dafür getan, dass die Kranken in ihrem Haus bleiben können.
Gleiches gilt wohl für ihn: Ulrich Nußbaum, Senator für Finanzen, ebenfalls im Aufsichtsrat von Vivantes. Beide Senatoren haben sich dort lediglich der Stimme enthalten - vor der KLARTEXT-Kamera wollten sie sich nicht äußern.
Am Tag nach dem KLARTEXT-Bericht: Empörung im Berliner Parlament.
Jasenka Villbrandt (Bü90/Die Grünen)
Mitglied des Abgeordnetenhauses
"Herr Czaja, Sie sind im Vivantes Aufsichtsrat. Sie sind aber vor allem der zuständige Senator. Was haben sie bisher dagegen unternommen? Was passiert jetzt mit den kranken Menschen? Und was werden Sie noch tun?"
Mario Czaja will offenbar gar nichts tun: ihm seien die Hände gebunden im Interessenskonflikt zwischen seinen Aufgaben als Aufsichtsratsmitglied einerseits und als Senator andererseits.
Mario Czaja (CDU)
Gesundheitssenator Berlin
"Ich will deutlich sagen, dass das Unternehmen Vivantes und die Geschäftsführung von Vivantes für das Unternehmen das Bestmögliche herausholen müssen."
Ein Senator, der sich selbst aufgibt: Die politische Verantwortung für die Kranken sollen bitteschön die Abgeordneten übernehmen.
Mario Czaja (CDU)
Gesundheitssenator Berlin
"Die weitere Entscheidung über den Verkauf des Grundstückes obliegt dem Berliner Parlament, denn die Landeshaushaltsordnung schreibt vor, dass dieser beabsichtigte Verkauf von Ihnen vorher im Unterausschuss Immobilien mit behandelt werden muss."
Der Senator gibt den Ball also ab an die Abgeordneten – zu Recht? Jochen Esser von den Grünen meint: Nein, der Senator drückt sich.
Jochen Esser (Bü90/ Die Grünen)
Finanzpolitischer Sprecher, MdA
"Zunächst mal könnte natürlich der Senator was tun. Die Herren Czaja und Nußbaum könnten jederzeit das Unternehmen anweisen, das Gebäude an Pinel zu geben, sie könnten das auch selber für das Land Berlin erwerben und Pinel zur Verfügung stellen. Wenn man dann der Meinung ist, es sei fachlich richtig, dass die Arbeit dort so wie in den vergangenen Jahren weitergeht."
Nicht nur die Opposition im Abgeordnetenhaus sieht das so. Gesellschaftsrechtler Professor Hans-Peter Schwintowski: Natürlich muss der Senator abwägen zwischen den Interessen von Vivantes und den Interessen der Kranken.
Prof. Hans-Peter Schwintowski
Humboldt-Universität Berlin
"In diesem Konflikt befindet er sich und das Recht gibt ihm auch die Möglichkeit der Auflösung."
KLARTEXT
"Wie denn?"
Prof. Hans-Peter Schwintowski
Humboldt-Universität Berlin
"Das Bundesverwaltungsgericht hat vor zwei Jahren entschieden, dass bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung – und um so etwas geht es hier – der Eigentümer, das ist bei uns das Land Berlin, den Aufsichtsrat anweisen darf, in bestimmter Weise zu entscheiden."
Der Gesundheitssenator könnte sagen: Das Land Berlin braucht das Haus für die Kranken. Dann würde sein Kollege – der Finanzsenator - Vivantes anweisen, eben nicht an den Meistbietenden zu verkaufen.
So einfach wäre das – zumindest theoretisch. So sieht es übrigens auch die Haushaltsordnung vor. Grundsätzlich muss zwar zum Höchstgebot verkauft werden, doch es gibt Ausnahmen – und die kann der Senat selbst definieren, Zitat:
"…besteht (aber) ein dringendes Interesse Berlins, so kann die Senatsverwaltung für Finanzen Ausnahmen zulassen."
KLARTEXT
"Können denn die Senatoren ohne die Abgeordneten was machen?"
Jochen Esser (Bü‘90/ Die Grünen)
Finanzpolitischer Sprecher, MdA
"Ja, könnten sie, die müssen uns damit nicht behelligen."
Wenn aber die Senatoren nichts tun wollen, könnten dann die Abgeordneten verhindern, dass die Pinel-Gesellsschaft aus dem Haus fliegt?
Könnten sie. Denn seit Ende letzten Jahres sagt die Haushaltsordnung, Zitat:
"Besteht ein dringendes Interesse Berlins, so kann - wie bisher - die Senatsverwaltung für Finanzen oder aber – und das ist neu - der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses Ausnahmen zulassen."
Jochen Esser (Bü‘90/ Die Grünen)
Finanzpolitischer Sprecher, MdA
"Den Antrag werden wir dann sicherlich im Vermögensausschuss stellen. Das muss dann im Wesentlichen die Zustimmung auch der Fraktionen von SPD und CDU finden, die diese Senatoren stellen, die sich da drücken."
Für die SPD im Hauptausschuss: ihr parlamentarischer Geschäftsführer, Torsten Schneider. KLARTEXT wollte wissen: wird er die Kranken unterstützen? Die Antwort: keine Antwort - der Abgeordnete mag sich nicht festlegen.
Weiter rollt der Ball zur CDU – immerhin: ihr stellvertretender Vorsitzender nimmt sich als Erster aus der Regierungskoalition der Sache der psychisch Kranken an:
Stefan Evers (CDU)
stellv. Fraktionsvorsitzender, MdA
"Ich bin da offen für eine Diskussion, bisher haben wir sie noch gar nicht geführt. Das Thema ist hier im Haus noch nicht angekommen, das hat vermutlich damit zu tun, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen noch sehr jung sind. Wir haben sie erst im vergangenen Jahr geschaffen, neue Kompetenzen dieses Parlaments – und wir selber als Parlament lernen noch damit umzugehen."
Wie schön, dass das Parlament jetzt wach wird. Fast hätte der Hauptausschuss nämlich schon heute Morgen dem Verkauf an den Meistbietenden zugestimmt. Immerhin: Jetzt ist die Entscheidung vertagt – für zwei Wochen.
Zwei Wochen, in denen die Abgeordneten sich informieren können über das Leben der psychisch Kranken in "ihrem" Haus in Schöneberg – und über die Bedeutung, die dieses Haus für seine Bewohner hat.
Abmoderation
Vielleicht bringt unsere Berichterstattung die Politiker jetzt zum Nachdenken.
Beitrag von Andrea Everwien