Arzt in der Praxis (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Alarmierend - Therapienotstand bei Psycho-Tätern

Seit dem Verbrechen an Ulrike diskutieren Experten und Politiker wieder mal den Schutz vor Sexualstraftätern. Viele Eltern beobachten die Debatte mit Sorge. Denn noch immer sitzen verurteilte Täter zu Hause und warten auf ihre Therapie. In Brandenburg und auch im benachbarten Berlin fehlen geeignete Plätze. Und seit der spektakulären Schmökel-Flucht ist der Ruf des Maßregelvollzugs ebenso wie der des zuständigen Ministers Ziel schwer angeschlagen.

Kamera: Bernd Schadewald
Schnitt: Petra Barthel

Sie ist acht Jahre her, seine Zeit im Massregelvollzug Neuruppin. Doch sie hat ihn nie losgelassen. Noch heute beschäftigt sich Tom Sevecke mit allem, was über die Landesklinik und ihre Psychatrie veröffentlicht wird.
Inzwischen ist er 38 Jahre alt, trinkt keinen Alkohol mehr.
1992 hatte Sevecke als Alkoholiker und nach familiären Problemen mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen. Auf Beschluß eines Vormundschaftsgerichts wird er in die Psychatrie eingewiesen. Er landet auf Station D der Landesklinik Neuruppin. Fälschlicherweise, wie er seitdem immer wieder betont, denn hier waren auch die psychisch kranken Strafgefangenen untergebracht. Mit dem Aufbau des Massregelvollzugs Neuruppin hatte man damals gerade erst angefangen.

O-Ton Tom Sevecke, ehem. Insasse Massregelvollzug Neuruppin
Ja, ich hätte in einer zivilrechtlich-öffentliche Unterbringung kommen sollen, kommen müssen, normalerweise, denn Suizid ist ja keine Straftat. Suizid ist eine Verzweiflung. Es gibt ja viele Sorten davon. So, da kam ich dann da rein. Und was ich da erlebt habe, das ist nicht mehr ertragbar, das widerspricht alles.

Zusammen mit Sexualstraftätern, Brandstiftern und psychisch Kranken verbrachte Sevecke mehrere Monate im Massregelvollzug. 13 Mann in einem Raum, schlafen auf dem Fussboden - wie er sagt. Weil er es nicht mehr aushielt, erzwang er mit einer Geiselnahme seine Flucht aus der Klinik. Stunden später wurde er gestellt und verbüßte anschließend eine Strafe wegen verbrecherischen Menschenraubes. Die damaligen Zustände in der Klinik kritisiert er bis heute.

Mit dem Fall hat sich der Petitionsausschuss der Brandenburger Landtages beschäftigt, man hat sich zum Teil entschuldigt. Doch auch Tom Sevecke räumt ein, dass sich gerade baulich viel getan hat in den letzten Jahren.
Dennoch, der Massregelvollzug ist in den Schlagzeilen geblieben. Die Flucht des Insassen Schmöckel führte zu einer Analyse, die verheerender kaum ausfallen konnte. Zuwenig Plätze, zuwenig qualifiziertes Personal, zweifelhafte Begutachtung.
Ein dicker Ordner mit Versäumnissen, mit denen der Sozialminister nun umgehen muß. Sie zeigen aber auch, dass das Thema Massregelvollzug geradezu sträflich vernachlässigt wurde in den letzten 10 Jahren.

O-Töne Dr. Herbert Schnoor, Staatsminister a.D.
Die Verfahren bei Lockerungen sind durchweg mangelhaft.
Hans Ludwig Kröber, FU Berlin
Was wir festgestellt haben war, dass diese Lockerungsentscheidungen, die getroffen worden sind, umzureichend vorbereitet waren.
Dr. Herbert Schnoor, Staatsminister a.D.
Es gibt auch Mängel bei der Therapie. Und die Gutachten sind oft unzureichend.
Eckard Marg, Chefarzt Landesklinik Brandenburg
Es ist nach wie vor wenig forsenisch-psychiatrische Fachkompetenz vorhanden
Dr. Herbert Schnoor, Staatsminister a.D.
Ich will da zu den Altbauten nicht mehr viel sagen. Nur so viel: Alle sind überbelegt. Einige der zum Maßregelvollzug Verurteilten konnten bisher noch nicht einmal aufgenommen werden, befinden sich noch in Freiheit. Das ist aber die Situation

Konsequenzen aus diesen gravierenden Mängeln sollen schnellstmöglichst gezogen werden. 250 Massregelvollzugs-Plätze wird es demnächst geben, die Neubauten wie hier in Eberswalde sind im Entstehen. Doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass es nicht genug Fachleute in Brandenburg gibt, die z.B. Sexualstraftäter therapieren können. Der Bereich forensische Psychiatrie erfordert eine langwierige, komplexe Ausbildung. Mehrere neue Stellen dieser Art braucht man auch in der Landesklinik Brandenburg.

O-Ton Eckard Marg, Chefarzt Landesklinik Brandenburg
Und wir haben erhebliche Sorgen, diese Stellen zu besetzen, ganz erheblich. Und meines Erachtens nach werden die ja Ärzte, die in den Massregelvollzugskliniken arbeiten, die eine solche forensische Zusatzbildung haben, auch richtig geeignet, dann auch für die Erkenntnisverfahren der Gerichte geeignet, die Gutachter zu stellen und nicht nur innerhalb des Maßregelvollzugs zu begutachten, sondern schon vorher.

Der Mangel an speziell ausgebildeten Therapeuten birgt ein weiteres Problem. Psychisch kranke Menschen mit sexuellen Störungen, die noch nicht straffällig geworden sind, können nicht ausreichend therapiert werden. Das heisst, wer sich zum Beispiel hier freiwillig meldet und weiss, dass er eine Gefahr für andere darstellt, wird unter Umständen wieder nach Hause geschickt, weil es keine Therapieplätze gibt oder die Krankenkassen nicht zahlen.
Prof. Klaus Beier vom Institut für Sexualmedizin der Charite hat mehrfach auf dieses Problem hingewiesen. Ein Fünftel derer, die sich hier melden, kommen aus Brandenburg.

O-TON Klaus Beier, Institut für Sexualmedizin Charite Berlin
In sehr lebhafter Erinnerung ist mir zu Beispiel einer jünger Mann mit einer Vorgeschichte von zwei sexuellen Nötigungen, der einen Behandlungsplatz suchte und der sich dann, nachdem wir ihn den nicht zusichern konnten aufgrund der kapazitären Engpässe, dann wieder zurückzog. Hier hat man klar eine Chance verpasst, jemanden sofort in Behandlung zu übernehmen. Und sehr besorgen tun uns natürlich die Männer mit pädophilen Neigungen, die selber sagen, dass sie befüchten, einen Übergriff zu begehen, die selber das im Grunde genommen ankündigen.

30 Mann stehen auf seiner Warteliste, Wartezeit mindestens ein Jahr - keine Aussicht auf Änderung.
Fehlende Therapeuten, der noch nicht gefasste Mörder von Ulrike Brandt, der Fall Schmökel. Eltern, die sich mit der Problematik beschäftigen, fühlen sich oftmals allein gelassen. Jürgen Keltz, Pflegevater von fünf Kindern, hat früher selbst im Strafvollzug gearbeitet. Heute ist er Sprecher des Landeselternrates. Wie er seine Kinder ohne Panikmache schützen könnte, weiß er nicht, nur, dass der Ausbau der Therapie Jahre dauern wird.

O-Ton Jürgen Keltz, Landeselternrat Brandenburg
Dieser Aufbau wird erst in 20 Jahren abgeschlossen sein. Viel früher sehe ich das nicht. Das ist eben das Problem, dass wir für diese 20 Jahre mit unseren Kindern so arbeiten müssen, dass sie sich auf solche Situationen einstellen.

O-Töne KINDER
Wir dürfen nicht mit den großen Jugendlichen mitgehen. Sie können sich sehr schnell Kinder schnappen.
Da dürfen wir nicht mitgehen, sondern entweder wegrennen oder Hilfe rufen ganz laut.