Jugendschtrafgesetzbuch (Quelle: rbb)
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- Neuköllner Erfolgsmodell - Mit beschleunigten Verfahren gegen Jugendkriminalität

Zuerst war es nur das Rollberg-Viertel, dann wurde das Modellprojekt auf Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg ausgeweitet: Gegen Jugendliche unter 18 Jahren folgt im beschleunigten Verfahren die Strafe zeitlich nah zur Tat. Erfolgreiche Prävention, so die Befürworter.

Nichts ist so starr und unflexibel wie unsere deutsche Bürokratie. Abläufe in großen Apparaten zu optimieren, effektiver zu arbeiten – das ist oft nur unter großen Mühen möglich. Eine Richterin aus Berlin hat es dennoch geschafft: Sie hat durchgesetzt, dass jugendliche Straftäter aus Berlin viel schneller als bisher verurteilt werden. Seit einem Jahr gibt es das Pilotprojekt. Anlass für Ulrich Kraetzer nachzuschauen, was es gebracht hat.

Ein Handy-Raub, eine Prügelei, ein kleiner Einbruch. In manchen Kiezen fast schon alltägliche Jugendgewalt. Nach der Tat: von der Polizei sofort geschnappt. Ein Geständnis, eigentlich ein klarer Fall. Trotzdem: kein schnelles Urteil.

Jugendlicher
„Ich hatte einen kleinen Streit mit einem Jungen, und sechs Monate später kam erst das Gericht, der Brief, dass ich ein Gericht bekomme.“
Jugendlicher
„Wenn die Anzeige kommt, dann lernt man auch daraus was. Die sagen dir dann auch vor Gericht, dies das. Dann lernt man daraus. Aber wenn es langsam kommt, macht man mehr Scheiße. Und wenn es schnell kommt, dann macht man nicht. Ist besser, wenn es schnell kommt.“

Von der Tat bis zum Urteil vergehen oft Monate, manchmal sogar Jahre.

Kirsten Heisig hatte genug davon. Als Jugendrichterin hatte sie mit der schleppenden Arbeit von Polizei und Justiz seit Jahren schlechte Erfahrungen gemacht.

Kirsten Heisig, Jugendrichterin
„Also ich fand das unbefriedigend zu sehen: Meine Güte, das ist ja ein ganz einfacher Sachverhalt, warum verhandele ich den jetzt sechs Monate nach der Tat? Das muss schneller gehen.“

In ihren Verhandlungen hatte Richterin Heisig immer wieder Jugendliche vor sich, die sich kaum noch an ihre Taten erinnern konnten.

Kirsten Heisig, Jugendrichterin
„Man merkt dann halt einfach, dass man dann welche vor sich sitzen hat und sagt, also es geht jetzt heute um den Handtaschenraub vom 11. September 2008 und dann muss der furchtbar überlegen, ob das jetzt die Tat ist, an die er sich gerade erinnert.“

Mit einem Staatsanwalt sorgte Richterin Heisig dafür, dass Strafverfahren jetzt schneller gehen. Der Weg zum Ziel: ein Paragraf des Jugendgerichtgesetzes. Bis dahin kaum beachtet, ermöglicht er das „Vereinfachte Verfahren“.

Umständliche Aktenverschieberei und komplizierte Verfahrensvorschriften sind dabei unnötig. Ein einfacher Sachverhalt, eine nicht allzu schwere Tat – dann geht alles ganz schnell.

Wichtigstes Hilfsmittel nach einer Straftat: Das Telefon. Kurze Wege statt viel Bürokratie. Die Richter können dadurch schon nach drei Wochen eine Sanktion verhängen.

Zum Beispiel ein Anti-Gewalt-Training oder Strafarbeiten in gemeinnützigen Einrichtungen. Wenn es die Tat erfordert, aber auch Jugendarrest. Zeit zum Nachdenken.

Kirsten Heisig, Jugendrichterin
„Also erstmal sind sie erstaunt, die Angeklagten, wenn so kurze Zeit nach der Tat schon eine Gerichtsverhandlung stattfindet. Die Erinnerung ist natürlich fast 100 Prozent an die Tat. Wir haben es ja dann auch mit Sachverhalten zu tun, die nicht so kompliziert sind, die Angeklagten sind häufig geständig. Die Konfrontation mit dem Opfer ist auch eine ganz andere. Da ist also doch eine größere Scham, auch eine größere Fähigkeit, Reue zu empfinden und Empathie mit dem Opfer zum Ausdruck zu bringen, weil das Empfinden eben noch spürbar ist auf beiden Seiten.“

Zunächst gestartet in einem Polizei-Abschnitt in Nord-Neukölln, läuft das Projekt seit Juli vergangenen Jahres in ganz Neukölln und in Friedrichshain-Kreuzberg.

Fast 80 Verfahren konnten Richter und Staatsanwälte seitdem zum Abschluss bringen – statt in Monaten oder Jahren, innerhalb weniger Wochen.

Statistische Zahlen zu Rückfallquoten gibt es, ein knappes Jahr nach Start des Projekts, noch nicht. Doch die intensive Betreuung im beschleunigten Verfahren zeigt Wirkung – da sind sich die Beteiligten einig.

Hartmut Koschny, Polizei Berlin
„Wir haben sie zum Beispiel festgestellt in Zusammenhang mit dem Schule Schwänzen, dass einige, die vor diesem intensiven Kontakt der Schule fern geblieben sind, und plötzlich nach der Intervention sich zum regelmäßigen Schulgang überreden ließen, weil es auch ein Teil der Weisung war.“

Der Staat greift durch – unter den Jugendlichen hat sich das längst herum gesprochen. Auch Jürgen Schmeichler spürt das. Er ist der Leiter der „Lessinghöhe“, einem Jugendklub in Nord-Neukölln, mitten im Brennpunktkiez.

Jürgen Schmeichler, Jugendzentrum „Lessinghöhe“
„Es ist teilweise so, dass die Jugendlichen es wirklich nicht glauben, dass so kurze Zeit zwischen der Tat und der Verurteilung vergehen. Und das finde ich, aus pädagogischer Sicht finde ich das unheimlich klasse, denn das ist ja das, was wir hier im Prinzip auch immer versuchen, dass zwischen einem Ereignis und dem was dann darauf hin passiert, möglichst gar keine Zeit vergehen soll.“

Am Anfang waren viele skeptisch, ob das Projekt von Richterin Heisig funktionieren würde. Doch nun soll es sogar erweitert werden – ab 1. September auf Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick, später auf die gesamte Stadt.

Kirsten Heisig weiß, dass ihr Projekt nur ein kleiner Baustein ist, um die Jugendkriminalität in den Griff zu kriegen. Aber irgendwo müsse man ja anfangen.

Kirsten Heisig, Jugendrichterin
„Na, ich hoffe, dass irgendwann mal der Punkt kommt, wo die Jugendlichen nicht mehr denken, sie können den Staat vorführen.“



Ulrich Kraetzer