(Quelle: rbb)

- Selbstbedienung in der JVA-Moabit?

In der letzten Sendung hat KLARTEXT über die Selbstbedienungsmentalität von Angehörigen des Justizvollzugsdienstes in der JVA Moabit berichtet. Der Beitrag war auch Thema der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses, allerdings zweifelte Berlins Justizsenatorin von der Aue die Seriosität unserer Zeugen an. KLARTEXT stellt klar: wir schützen unsere Informanten und jeder Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit ist unangebracht.

In unserer KLARTEXT-Sendung vor zwei Wochen haben wir einen Skandal im Berliner Gefängnis Moabit aufgedeckt. Dort sollen sich JVA-Bedienstete wahllos mit Medikamenten eingedeckt haben, ohne Rezept und ohne Bezahlung. Unser Bericht hat einiges in Bewegung gebracht. Nicht zuletzt die zuständige Justizsenatorin Gisela von der Aue. Dabei hatte sie noch im Vorfeld versucht, das Problem herunterzuspielen. Gegenüber meiner Kollegin Gabi Probst, die in der JVA recherchiert hatte, behauptete die Senatorin, das Thema sei ja nun wirklich nicht von öffentlichem Interesse. Eine Fehleinschätzung. Mittlerweile beschäftigt man sich sogar im Berliner Abgeordnetenhaus mit der Medikamenten-Unterschlagung in Moabit.

Walter Momper (SPD), Präsident Berliner Abgeordnetenhaus
„Wie bereits schon den Geschäftsführern der Fraktionen mitgeteilt, lassen sich in unserer heutigen Fragstunde die drei Fragen der Abgeordneten, Kohlmeier, SPD, Behrendt, Grüne und Rissmann, CDU zum Thema Medikamentenausgabe in der JVA Moabit zusammenfassen.“

Der Vorwurf: Diebstahl und Untreue in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit. Die Justizsenatorin muss Antworten geben.

KLARTEXT hatte berichtet: Beamte aus dem Vollzugsdienst sollen in der Arztgeschäftsstelle II jahrelang Medikamente für den privaten Gebrauch bestellt und abgeholt haben – von rezeptfreien bis zu teuren, rezeptpflichtigen Medikamenten. Und das, ohne auch nur einen Euro dafür zu bezahlen. In der KLARTEXT-Sendung sagten Krankenschwester und Bedienste aus, ein Auszug:

Krankenschwester, Archiv KLARTEXT vom 24.1.2007
„Dass Bedienstete, die sogar schon pensioniert sind, in die Anstalt gekommen sind unter dem Vorwand Kollegen zu besuchen und mit vollen Tüten wieder nach hause gegangen sind.“

Sofort nach der KLARTEXT-Sendung stellen Opposition und Presse Fragen an die Justizsenatorin. Doch im Abgeordnetenhaus weist die Senatorin alle Vorwürfe gegen Anstaltsleiter und Senatsverwaltung zurück. Wir haben zwei unserer Zeugen die Rede der Senatorin vorgespielt - unabhängig von einander. Hier ihre Reaktion:

Beispiel 1
Die Justizsenatorin erklärt, dass es seit September 2006 neue Vorschriften ihrer Senatsverwaltung für die Bestellung der Medikamente gebe und:

Gisela von der Aue (SPD), Justizsenatorin Berlin
“Die Justizvollzugsanstalt Moabit hat eine Dienstanweisung erlassen, in der diese Vorgaben aufgenommen worden sind.“

Bei den Mitarbeitern, die wir gesprochen haben, ist so eine Dienstanweisung jedoch bis zum Interview nicht angekommen.

Krankenschwester
„Ist mir nicht bekannt.“
KLARTEXT
„Gab es eine Sitzung, wo über eine Dienstanweisung geredet wurde?“
Krankenschwester
„Auch das ist mir nicht bekannt.“

Kann auch nicht, wie wir vier Stunden vor der Sendung von der Justizverwaltung erfahren. Es wird uns mitgeteilt, Zitat:
„Die förmliche Bekanntgabe erfolgte am 6. Feburar 07.“
Also gestern, kurz nachdem wir angefragt haben. Merkwürdig.

Beispiel 2
Auf eine Nachfrage des Abgeordneten Rissmann antwortet die Senatorin ausweichend und stellt die Glaubwürdigkeit unserer Zeugen in Frage.

Gisela von der Aue (SPD), Justizsenatorin Berlin
„Auf Verdachte oder Verdächtigungen, die durch anonymisierte Darstellung in der Presse einfach nur bekannt werden, kann man schwerlich reagieren. Insofern ist es vielleicht auch ganz günstig, an die betreffende Bedienstete - so es sie dann gibt – zu appellieren, ihre Aussage auch vor den zuständigen Stellen zu treffen.“

Krankenschwester
„Sehr geehrte Frau Senatorin, mich gab es und mich gibt es und die Machenschaften, die in Moabit ablaufen, laufen schon viele, viele Jahren. Und: Ich war bei der Kripo.“

Krankenschwester
„Gerade weil ich gemerkt habe, dass trotz meiner Aussagen nichts
blond passiert habe ich den Weg gewählt, an die Öffentlichkeit zu gehen. Anonymität bewahrt mir meinen Schutz, denn es sind weiterhin Bedienstete, die beschuldigt sind, im Dienst.“


3. Beispiel
Die Justizsenatorin bestreitet den Hauptvorwurf unserer Zeugen: Verschleppung der Strafverfolgung. Sie behauptet:

Gisela von der Aue (SPD), Justizsenatorin Berlin, 1.2.2007
„Herr Präsident, meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Behrendt. Nach meinen bisherigen Kenntnisstand hat es überhaupt keine Verschleppung in der Aufklärung dieser Angelegenheit gegeben.“

KLARTEXT
„War es so?“
Krankenschwester
„Absolut nicht. Es wurde mindestens vier Wochen verzögert, das LKA einzuschalten. Ich kann mich nur wiederholen: Selbst das LKA hat das bei meiner eigenen Aussage bestätigt, dass dadurch den Beschuldigten Vorschub geleistet wurde, Spuren zu verwischen und zu verschleiern.“

Zur Erinnerung: Am 14. August 2006 gab es einen ersten Hinweis auf Unregelmäßigkeiten, wenig später ganz konkrete Mitteilungen von Mitarbeitern des Krankenpflegedienstes an die Abteilung Sicherheit: Medikamente verschwinden illegal.

Erst am 19. September 2006, also mehr als vier Wochen später, erstattet der Anstaltsleiter Anzeige. Dabei gibt selbst die Senatorin zu, dass bereits Ende August der Verdacht bei Befragungen durch weitere Bedienste bestätigt wurde.

Gisela von der Aue (SPD), Justizsenatorin Berlin, 1.2.2007
„Erst im Zuge einer ganzen Reihe von weiteren Befragungen von Mitarbeitern ergab sich am 23.8.2006 ein erster Hinweis auf derartige Zusammenhänge.“

Für den Strafrechtsexperten Prof. Dr. Heger wäre das der Tag der Anzeige gewesen. Der ganze Fall, für ihn könnte es ein Fall von Strafvereitlung sein:

Prof. Dr. Martin Heger, Humboldt Universität Berlin
„Dafür genügt eine Verzögerung des Strafverfahren um circa zwei Wochen. Das heißt hier vorliegend, dass wenn die Staatsanwaltschaft erst erheblich später mit den Ermittlungen beginnt und das Strafverfahren sich daher um die Wochen verzögert, eine Strafvereitelung in Betracht kommt. Er hätte das, meine ich, spätestens am 23.8. den Strafverfolgungsbehörden melden müssen.“

Knast Strafvereitlung im Gefängnis – und das ausgerechnet von Beamten?

Die Senatorin verkündet im Plenum, dass sie jetzt eine Arbeitsgruppe gründen wird, die alle medizinischen Bereiche im Vollzug überprüft. Dabei betont sie:

Gisela von der Aue (SPD), Justizsenatorin Berlin, 1.2.2007
„...dass eine dienstliche Verbindung der Arbeitsgruppenmitglieder zu den involvierten Arztgeschäftsstellen des Berliner Justizvollzugs nicht besteht.“

Warum diese Aussage? Ist sie nötig geworden, weil inzwischen bekannt ist, dass in Moabit die Leitende Anstaltsärztin die Ehefrau des Staatssekretärs Christoph Flügge ist und dieser jahrelang die Fachaufsicht hatte? Auf solche Fragen wollte er schon vor der ersten Sendung nicht antworten.

Die Grünen im Abgeordnetenhaus wollen Antworten. Zum Beispiel, warum die Missstände in der JVA Moabit solange unter Verschluss gehalten wurde. Sie vermuten ein politisches Motiv.

Dirk Behrendt (Bündnis 90/Grüne), stellvertretender Fraktionsvorsitzender
„Zum einen war am 17. September die Abgeordnetenhauswahl und es ist ja bekannt, dass der Staatssekretär gerne selbst Senator werden wollte.“

Wir haben nach unserer Sendung vor 14 Tagen viel Post bekommen. Auch von Häftlingen aus anderen Gefängnissen in Berlin. Sie berichten über ähnliche Zustände. Medikamenten-Unterschlagung scheint also nicht nur ein Problem in Moabit sein.