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Die Discounter sparen bei der Sicherheit, immer wieder kommt es zu Raubüberfällen. Was tun die Unternehmen für die Beschäftigten, die Opfer eines Überfalls wurden? Meist bleiben die Beschäftigten auf sich gestellt mit ihrem Schicksal. Vereine wie Opferhilfe springen ein und kümmern sich um die Betroffenen.
Verkäuferin kann ein lebensgefährlicher Beruf sein. Jedenfalls dann, wenn man in einem Lebensmittel-Discounter oder in einem Drogeriemarkt an der Kasse sitzt. Denn es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendwo in Deutschland ein Einzelhandels-Geschäft überfallen wird. Besonders häufig sind Schlecker-Filialen betroffen. Europas größte Drogerie-Kette macht ja ohnehin häufig Schlagzeilen - wegen der fragwürdigen Arbeitsbedingungen ihrer Angestellten. Und wie verhält sich schlecker in einer Extremsitaution, wenn die eigenen Mitarbeiter Opfer eines Überfalls werden? Joachim Rüetschi.
Willkommen im Schleckerland. Die Tür geht auf. Aber keiner ist da. Die Kasse einsam und verwaist. Für Kunden schwer zu glauben. Für Kriminelle leichtes Spiel. Eine einzige Angestellte ist für alles zuständig. Für das Einräumen der Regale, für die Beratung der Kundschaft und für den Verkauf an der Kasse. Die Drogerie als Einpersonenmarkt. Einzelhandel im wahrsten Sinne des Wortes.
Ein unhaltbarer Zustand findet Gewerkschafter Achim Neumann. Er kämpft seit Jahren für mehr Sicherheit. Wo immer er auf Tour geht, findet er all seine Vorurteile bestätigt. Die Verkäuferin hier ist schon zweimal überfallen worden. 450 Schlecker gibt es in Berlin. Und viele hat es schon erwischt.
Achim Neumann, ver.di Berlin-Brandenburg
„Ich kann ihnen sagen, dass es im Jahr 2005 ca. 100 allein in Berlin auf Schlecker-Filialen gegeben hat. Für 2006 gibt es die Zahl 76 Raubüberfälle auf Schlecker Filialen. Das sind erschreckende Zahlen. Somit hat Schlecker immer noch die einsame Spitze an Raubüberfällen. Und da muss auch ungeheuer viel getan werden.“
Die Zahlen sind übrigens keine Gewerkschaftszahlen. Sondern amtlich verkündet von der Polizei. Doch Schlecker wertet sie als Stimmungsmache. Und spielt die Situation als Gewerkschaftskampagne herunter. Schriftlich heißt es:
Zitat:
„Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Schlecker seit Jahren große Anstrengungen zur Verbesserung der Prävention unternimmt, kann Schlecker weder die inhaltliche Tendenz noch den Zeitpunkt dieser Gewerkschaftskampagne nachvollziehen.“
Statistisch ist alle vier bis fünf Tage in der Hauptstadt eine Filiale fällig. »Einen Schlecker machen« heißt das bei Gangstern und Ganoven. Und wie man sieht, braucht man dafür nicht mal eine Waffe. Ein Überfall dauert oft nur wenige Sekunden. Kann aber Spuren für ein ganzes Leben hinterlassen.
Verkäuferin
„Der Überfall war am 15. November 2000. Um 17 Uhr 30.“
„Es kam ein junger Mann rein mit Sonnenbrille in die Filiale. Ich war grade alleine.“
„Und dreh mich um. Täter gesehen. Hatte eine Sturmmaske.“
„Geben sie mir das Geld. Ansonsten wird er abdrücken.“
Hundert Überfälle im Jahr. Macht Hundert Opfer, häufig schwer traumatisiert. Somit entsteht ein ganzes Heer von Geschädigten. Denn ein Raub ist nicht nur ein Überfall auf einen Drogeriemarkt. Er ist ein Anschlag auf die Seele der Betroffenen. Jede Situation, die an den Überfall erinnert, kann alte Wunden wieder öffnen: Mit Panik, Schüttelfrost und Heulkrämpfen.
Verkäuferin
„Bis heute nicht verarbeitet, nicht verkraftet. Also ich möchte, ich würde es nicht meinem ärgsten Feind gönnen. Also immer diese Angst. Überhaupt in der Winterzeit. Wenn man weiß es wird dunkel 16 Uhr. Und dann sieht man in jedem Kunden auch einen Feind.“
Angsterfüllt am Tag. Und schlaflos in der Nacht. Das ist ihr Leben nach dem Überfall. Mit ihren Ängsten sind die Schleckerfrauen oft genau so allein wie zuvor im Laden an der Kasse. Ein Schicksal, das ein Trauma dann zur Krankheit macht. Zumal wenn eine angemessene Betreuung ausbleibt.
Achim Neumann, ver.di Berlin-Brandenburg
„Damit umzugehen muss man lernen. Damit umzugehen dazu braucht man Hilfe. Damit umzugehen heißt nicht, dass man nach Hause geschickt wird von dem Unternehmen, die Erlebnisse haben wir auch, und erwartet wird, dass man am nächsten Tag wieder kommt.“
Verkäuferin
„Die Bezirksleiterin sagte sinngemäß, man kann die Probleme nicht alleine zuhause bewältigen. Es wäre doch besser, man ist so schnell wie möglich wieder am Arbeitsplatz, also vor Ort, um damit besser klar zu kommen.“
„Ist doch nichts passiert. Bleiben sie ruhig. Kommen sie arbeiten. Es wird alles gut. Aber so richtig interessieren tut das keinen.“
Schnell vergessen. Und schnell zurück an die Arbeit. Zusätzliche Konflikte. Anstelle von Fürsorge und Berechenbarkeit. Das sorgt mitunter für größere Verletzungen als der Überfall selbst. Das sagen die Experten der Berliner Opferhilfe. In der Beratungsstelle kennt man die Probleme überfallener Schleckerfrauen.
Astrid Gutzeit, Opferhilfe Berlin e.V.
„Es gibt so bestimmte Symptome, die immer wieder auftauchen können. Die wir hören, wenn sie zu uns in die Beratungsstelle kommen. Das sind vor allem Ängste. Es sind Schlafstörungen. Es sind Konzentrationsstörungen. Es kann tatsächlich zu Depressionen führen. Es führt häufig dazu, dass Menschen das Gefühl haben, sie müssen sich zurückziehen. Sich auch schützen wollen. Hat mit der Angst zu tun. Die haben Angst unter Umständen aus dem Haus wieder zu gehen.“
Und damit nicht genug. Wer sich bei Schlecker länger krank meldet, dem wird schon mal gedroht. So genannte Krankschreiben bedeuten dem Arbeitnehmer, schnellstmöglich wieder anzutreten. Ansonsten könnte sich die Tür für immer schließen. Unmissverständlich schreibt ein Vorgesetzter …
Zitat:
„bei Fortsetzung ihrer Krankheit prüfen zu müssen, ob ihr Gesundheitszustand eine Weiterbeschäftigung … zulässt.“
Ein Lehrvideo der Berufsgenossenschaft Handel. Vorbildlich wird hier Prävention gepredigt, um Beschäftigte auf Überfälle vorzubereiten. So kann das Personal das richtige Verhalten üben. Und traumatischen Reaktionen vorbeugen. Auch bei Schlecker gibt man vor, solche Seminare durchzuführen. Prävention werde im Konzern ganz groß geschrieben.
Zitat:
„Deshalb erhält das gesamte Verkaufsstellenpersonal mindestens einmal pro Jahr eine umfassende Sicherheitsschulung, in der die Unterweisung zum Verhalten bei Überfällen eine herausgehobene Stellung einnimmt.“
Von den Verkäuferinnen, die wir treffen, sahen viele Messer und Pistolen. Von den angeblich durchgeführten Kursen aber hat keine jemals was gehört.
Verkäuferin
„Es gibt keine Kurse.“
KLARTEXT
„Das heißt, das stimmt nicht?“
Verkäuferin
„Nein.“
Achim Neumanns Kampf geht weiter. Der neueste Vorstoß: Ein Sicherheitstarifvertrag. Der soll alle Einzelhändler verpflichten, immer mindestens zwei Verkäufer im Laden zu haben. Zudem sollen Prävention und Nachsorge verbindlich eingeführt werden. Doch davon will Europas größter Drogeriemarkt nichts wissen.
Zitat:
„Unter den genannten Bedingungen wäre ein rentabler Geschäftsbetrieb für Schlecker in vielen Fällen schlicht und einfach nicht mehr möglich.“
Profit zählt mehr als Menschlichkeit. So empfinden das die Schleckerfrauen. Denn ihre Ängste bleiben. Sie werden weiter Zittern. Immer wenn es dunkel wird.
Verkäufer
„Jeder denkt nur an sich. Und ich sag mal, ein Bezirksleiter steht nicht im Laden alleine oder ein Verkaufsleiter. Die können eigentlich so richtig nicht mitreden.“
Ver.di will weiterkämpfen für einen Sicherheitstarif-Vertrag. Noch im Februar soll auch dafür im Berliner Einzelhandel wieder gestreikt werden.
Willkommen im Schleckerland. Die Tür geht auf. Aber keiner ist da. Die Kasse einsam und verwaist. Für Kunden schwer zu glauben. Für Kriminelle leichtes Spiel. Eine einzige Angestellte ist für alles zuständig. Für das Einräumen der Regale, für die Beratung der Kundschaft und für den Verkauf an der Kasse. Die Drogerie als Einpersonenmarkt. Einzelhandel im wahrsten Sinne des Wortes.
Ein unhaltbarer Zustand findet Gewerkschafter Achim Neumann. Er kämpft seit Jahren für mehr Sicherheit. Wo immer er auf Tour geht, findet er all seine Vorurteile bestätigt. Die Verkäuferin hier ist schon zweimal überfallen worden. 450 Schlecker gibt es in Berlin. Und viele hat es schon erwischt.
Achim Neumann, ver.di Berlin-Brandenburg
„Ich kann ihnen sagen, dass es im Jahr 2005 ca. 100 allein in Berlin auf Schlecker-Filialen gegeben hat. Für 2006 gibt es die Zahl 76 Raubüberfälle auf Schlecker Filialen. Das sind erschreckende Zahlen. Somit hat Schlecker immer noch die einsame Spitze an Raubüberfällen. Und da muss auch ungeheuer viel getan werden.“
Die Zahlen sind übrigens keine Gewerkschaftszahlen. Sondern amtlich verkündet von der Polizei. Doch Schlecker wertet sie als Stimmungsmache. Und spielt die Situation als Gewerkschaftskampagne herunter. Schriftlich heißt es:
Zitat:
„Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Schlecker seit Jahren große Anstrengungen zur Verbesserung der Prävention unternimmt, kann Schlecker weder die inhaltliche Tendenz noch den Zeitpunkt dieser Gewerkschaftskampagne nachvollziehen.“
Statistisch ist alle vier bis fünf Tage in der Hauptstadt eine Filiale fällig. »Einen Schlecker machen« heißt das bei Gangstern und Ganoven. Und wie man sieht, braucht man dafür nicht mal eine Waffe. Ein Überfall dauert oft nur wenige Sekunden. Kann aber Spuren für ein ganzes Leben hinterlassen.
Verkäuferin
„Der Überfall war am 15. November 2000. Um 17 Uhr 30.“
„Es kam ein junger Mann rein mit Sonnenbrille in die Filiale. Ich war grade alleine.“
„Und dreh mich um. Täter gesehen. Hatte eine Sturmmaske.“
„Geben sie mir das Geld. Ansonsten wird er abdrücken.“
Hundert Überfälle im Jahr. Macht Hundert Opfer, häufig schwer traumatisiert. Somit entsteht ein ganzes Heer von Geschädigten. Denn ein Raub ist nicht nur ein Überfall auf einen Drogeriemarkt. Er ist ein Anschlag auf die Seele der Betroffenen. Jede Situation, die an den Überfall erinnert, kann alte Wunden wieder öffnen: Mit Panik, Schüttelfrost und Heulkrämpfen.
Verkäuferin
„Bis heute nicht verarbeitet, nicht verkraftet. Also ich möchte, ich würde es nicht meinem ärgsten Feind gönnen. Also immer diese Angst. Überhaupt in der Winterzeit. Wenn man weiß es wird dunkel 16 Uhr. Und dann sieht man in jedem Kunden auch einen Feind.“
Angsterfüllt am Tag. Und schlaflos in der Nacht. Das ist ihr Leben nach dem Überfall. Mit ihren Ängsten sind die Schleckerfrauen oft genau so allein wie zuvor im Laden an der Kasse. Ein Schicksal, das ein Trauma dann zur Krankheit macht. Zumal wenn eine angemessene Betreuung ausbleibt.
Achim Neumann, ver.di Berlin-Brandenburg
„Damit umzugehen muss man lernen. Damit umzugehen dazu braucht man Hilfe. Damit umzugehen heißt nicht, dass man nach Hause geschickt wird von dem Unternehmen, die Erlebnisse haben wir auch, und erwartet wird, dass man am nächsten Tag wieder kommt.“
Verkäuferin
„Die Bezirksleiterin sagte sinngemäß, man kann die Probleme nicht alleine zuhause bewältigen. Es wäre doch besser, man ist so schnell wie möglich wieder am Arbeitsplatz, also vor Ort, um damit besser klar zu kommen.“
„Ist doch nichts passiert. Bleiben sie ruhig. Kommen sie arbeiten. Es wird alles gut. Aber so richtig interessieren tut das keinen.“
Schnell vergessen. Und schnell zurück an die Arbeit. Zusätzliche Konflikte. Anstelle von Fürsorge und Berechenbarkeit. Das sorgt mitunter für größere Verletzungen als der Überfall selbst. Das sagen die Experten der Berliner Opferhilfe. In der Beratungsstelle kennt man die Probleme überfallener Schleckerfrauen.
Astrid Gutzeit, Opferhilfe Berlin e.V.
„Es gibt so bestimmte Symptome, die immer wieder auftauchen können. Die wir hören, wenn sie zu uns in die Beratungsstelle kommen. Das sind vor allem Ängste. Es sind Schlafstörungen. Es sind Konzentrationsstörungen. Es kann tatsächlich zu Depressionen führen. Es führt häufig dazu, dass Menschen das Gefühl haben, sie müssen sich zurückziehen. Sich auch schützen wollen. Hat mit der Angst zu tun. Die haben Angst unter Umständen aus dem Haus wieder zu gehen.“
Und damit nicht genug. Wer sich bei Schlecker länger krank meldet, dem wird schon mal gedroht. So genannte Krankschreiben bedeuten dem Arbeitnehmer, schnellstmöglich wieder anzutreten. Ansonsten könnte sich die Tür für immer schließen. Unmissverständlich schreibt ein Vorgesetzter …
Zitat:
„bei Fortsetzung ihrer Krankheit prüfen zu müssen, ob ihr Gesundheitszustand eine Weiterbeschäftigung … zulässt.“
Ein Lehrvideo der Berufsgenossenschaft Handel. Vorbildlich wird hier Prävention gepredigt, um Beschäftigte auf Überfälle vorzubereiten. So kann das Personal das richtige Verhalten üben. Und traumatischen Reaktionen vorbeugen. Auch bei Schlecker gibt man vor, solche Seminare durchzuführen. Prävention werde im Konzern ganz groß geschrieben.
Zitat:
„Deshalb erhält das gesamte Verkaufsstellenpersonal mindestens einmal pro Jahr eine umfassende Sicherheitsschulung, in der die Unterweisung zum Verhalten bei Überfällen eine herausgehobene Stellung einnimmt.“
Von den Verkäuferinnen, die wir treffen, sahen viele Messer und Pistolen. Von den angeblich durchgeführten Kursen aber hat keine jemals was gehört.
Verkäuferin
„Es gibt keine Kurse.“
KLARTEXT
„Das heißt, das stimmt nicht?“
Verkäuferin
„Nein.“
Achim Neumanns Kampf geht weiter. Der neueste Vorstoß: Ein Sicherheitstarifvertrag. Der soll alle Einzelhändler verpflichten, immer mindestens zwei Verkäufer im Laden zu haben. Zudem sollen Prävention und Nachsorge verbindlich eingeführt werden. Doch davon will Europas größter Drogeriemarkt nichts wissen.
Zitat:
„Unter den genannten Bedingungen wäre ein rentabler Geschäftsbetrieb für Schlecker in vielen Fällen schlicht und einfach nicht mehr möglich.“
Profit zählt mehr als Menschlichkeit. So empfinden das die Schleckerfrauen. Denn ihre Ängste bleiben. Sie werden weiter Zittern. Immer wenn es dunkel wird.
Verkäufer
„Jeder denkt nur an sich. Und ich sag mal, ein Bezirksleiter steht nicht im Laden alleine oder ein Verkaufsleiter. Die können eigentlich so richtig nicht mitreden.“
Ver.di will weiterkämpfen für einen Sicherheitstarif-Vertrag. Noch im Februar soll auch dafür im Berliner Einzelhandel wieder gestreikt werden.