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In manchen Berliner Bezirken sollten Alleinerziehende in der kommenden Woche wohl besser nichts Dringendes vom Jugendamt wollen, denn die eine oder andere Beistandsstelle ist mal wieder "zur Bearbeitung von Rückständen" geschlossen. Im Juli war das auch schon so. Gleichzeitig fordert der Haushaltsentwurf von den Bezirken, bis 2016 noch knapp 1500 Stellen abzubauen. Also demnächst in noch mehr Berliner Amtsstuben: Kein Anschluss unter dieser Nummer?
Zu aufgebläht, zu teuer, viel zu viel Personal - jahrelang standen die Berliner Behörden deswegen in der Kritik. Die Politik reagierte und beschloss ein rigides Kürzungsprogramm. Tausende Stellen in der öffentlichen Verwaltung wurden gestrichen und sollen auch noch weiter abgebaut werden. Doch in der Praxis pfeifen viele Behörden wegen des strengen Personalabbaus mittlerweile aus dem letzten Loch: Etliche Ämter mussten zeitweilig sogar schließen, weil es keine Mitarbeiter mehr gab. Andrea Everwien.
Martina Brüsewitz
Amt für Soziales, Berlin Mitte
„Die Kollegin ist im Erziehungsurlaub, die Kollegin ist im Urlaub, hier ist einer von unseren Aktenräumen, wir haben insgesamt so ungefähr 2.500 Fälle - die Kollegin ist krank- ja, und meine direkte Kollegin ist auch krank und ich bin die letzte."
Kein Anschluss unter dieser Nummer- immer mehr Arbeitsplätze in Berlins Verwaltung bleiben leer. CDU und SPD haben beschlossen: allein in den Bezirken müssen bis 2016 i1457 - sogenannte Vollzeitäquivalente - Stellen also- abgebaut werden. Dabei müssen schon heute in vielen Bezirken die Bürger auf den gewohnten Service verzichten:
Beispiel Jugendamt Mitte.
Für zwei Wochen war gerade die Elterngeldstelle geschlossen:
Frau
„Ganz blöd, weil die Mitarbeiterin meine Kontonummer falsch aufgeschrieben hat, und jetzt habe ich mein Geld seit drei Monaten nicht und jetzt ist es zu und ich weiß nicht, was ich machen soll.“
Er ist für die Schließung verantwortlich: Ulrich Davids, Jugendstadtrat in Mitte. Seine Begründung: 5 von 25 Mitarbeitern sind krank, einige schon seit langem.
Ulrich Davids (SPD)
Bezirksstadtrat Jugend Berlin Mitte
„Wir haben ganz viele Altakten, die wir aufarbeiten müssen und… damit mir die Mitarbeiter, die da sind, nicht auch noch weg brechen, habe ich gesagt, wir werden jetzt erst mal die die Elterngeldstelle schließen."
Beispiel 2: die Bauaufsicht in Kreuzberg
Von Ende Juni bis Anfang August ging hier nichts mehr, weniger als die Hälfte der Mitarbeiter war an Bord - der Rest: krank oder im Urlaub. Wer einen Bauantrag einreichen oder schnell ein paar Fragen klären wollte, hatte eben Pech - so wie -Silvia Carpaneto.
Sie plant den Neubau eines Gewerbedorfes mit Clubhaus, Hotel und Restaurant. Baustart sollte eigentlich schon im Herbst sein - doch dafür müsste wohl noch ein Wunder geschehen.
Silvia Carpaneto
Architektin
„Es ist auf jeden Fall so, dass die Beratung für die Bauherren fehlt und an vielen Stellen, wo normalerweise nur ein kleiner Rückruf erforderlich wäre oder eine kurze Abstimmung, diese nicht erfolgen kann, wenn das Personal nicht da ist."Dabei machen die Beamten nicht einmal blau und sich selbst einen schönen Tag. Im Gegenteil, sagt der Baustadtrat: die Mitarbeiter werden krank, weil sie überlastet seien."
Hans Panhoff (Bü'90 / die Grünen)
Bezirksstadtrat Bauen, Berlin Friedrichshain/Kreuzberg
„Es gibt zwei Kurven, die Arbeit geht nach oben und der Personalbestand geht nach unten und diese Schere - nennt sich das - öffnet sich immer weiter und geht zu Lasten der Gesundheit der Mitarbeiter."
Von 2008 bis heute stieg die Anzahl der Baugenehmigungen in Friedrichshain Kreuzberg um mehr als das Doppelte; gleichzeitig mussten immer weniger Mitarbeiter die Anträge beurteilen: 120 waren es vor 4 Jahren, heute noch 95.
Es knirscht überall in den Bezirken beim Personal - jetzt schon.
Der Grund für den Abbau: Die Landesregierung will Personalkosten sparen. So beschlossen es CDU und SPD schon in der Regierungsvereinbarung. Die Folge in
Mitte fallen bis 2016 insgesamt 223 Stellen weg, in Friedrichshain-Kreuzberg insgesamt fast 139 und in Reinickendorf noch 95 . - insgesamt in den Bezirken eben 1457 Stellen.
Klaus Feiler (SPD)
Staatssekretär, Senatsverwaltung für Finanzen Berlin
„Jeder Bezirk hat eine mit uns verhandelte und vom Hauptausschuss beschlossene Abbauplanung. Es ist jetzt Sache der Bezirke und das wissen auch alle. Die müssen sich im Rahmen ihrer Obergrenzen verhalten."
Es wurde aber nicht auf Augenhöhe verhandelt, heißt es in den Bezirken. Die Senatsverwaltung nehme keine Rücksicht darauf, was tatsächlich an Arbeit in manchen Ämtern anfällt.
Zum Beispiel in Mitte, im Amt für Grundsicherung. Eine halbe Stunde Schlange stehen, bloß um ein Formular zu holen - die Kunden sind sauer.
Rentner
„Ich wollte nur einen Antrag auf Grundsicherung Rente und muss jetzt hier in einer 100 -Meter-Schlange warten.“
„Schlecht die Wartezeiten, erst mal bin ich schwer behindert, hab Parkinson, muss die ganze Zeit stehen - ich deswegen gehe ich jetzt nach Hause oder versuche, woanders einen Zettel zu kriegen."
50 Menschen in einer Sprechstunde abzufertigen- das schlägt selbst lang gedienten Mitarbeitern auf Psyche und Gesundheit.
Elke Ploetz ist seit gut 30 Jahren im Dienst. In ihrer Abteilung sind sieben von neun Mitarbeitern krank - sie muss für die Fehlenden mitarbeiten. Doch selbst in diesem Amt sollen Stellen wegfallen.
Inge Ploetz
„Das geht nicht mehr. Es ist das Limit erreicht. Wenn noch irgendeiner von uns ausfällt, dann ist der Laden zu. Das geht nicht mehr. Auch wir, die wir jetzt noch durchgehalten haben, wir sind auch am Ende."
Sie hat Angst vor noch mehr Belastung - denn auch im Sozialamt Mitte müssen immer mehr Fälle von immer weniger Personal bearbeitet werden.
Vielen alten Menschen reicht die Rente nicht zum Überleben, deshalb bekommen sie Grundsicherung als Hilfe zum Lebensunterhalt.
In Berlin Mitte betraf das 2007 rund 70.000 Menschen. 2012 waren es schon 100.00 und in den nächsten Jahren werden weitere 20.000 dazu kommen.
Deswegen müssten im Sozialamt mindestens 18 neue Mitarbeiter eingestellt werden. Doch stattdessen sollen 38 Stellen wegfallen - macht insgesamt ein Minus von 56 Mitarbeitern
So geht das nicht, sagt der Sozialstadtrat. Stephan von Dassel schrieb deshalb jetzt einen Brandbrief an die Berliner Abgeordneten geschrieben. Sie sollen wissen: weniger Personal in den Bezirken bedeutet: weniger Service - und sogar weniger Einnahmen.
Christian von Dassel (Bündnis 90 / Die Grünen)
Bezirksstadtrat Soziales, Berlin Mitte
„Wir richten uns darauf ein, schrittweise unsere Serviceleistungen einstellen zu müssen bzw. - und das ist besonders schmerzlich - da wo wir kontrollieren müssen, ob das Geld zu Recht ausgegeben wird, einzuschränken."
Die Stelle von Martina Brüsewitz etwa wird in Zukunft wohl wegfallen - die ihrer Kollegen auch. Dabei hat gerade ihre Abteilung bisher jährlich etwa 500.000 Euro aus Darlehensschulden wieder eingetrieben - Geld, das in Zukunft fehlen wird.
Personalabbau, um Geld einzusparen: das Konzept geht nur auf, wenn vorher geklärt wird: welche Aufgaben muss die Verwaltung tatsächlich erfüllen - und wie viele Menschen braucht sie dafür? Doch das ist bisher offenbar nicht geschehen.
Beitrag von Andrea Everwien