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Friseurin bei der Arbeit | Bild: rbb

- Geringverdiener – Trotz Arbeit auf Hartz-IV

Über die Regelsätze für Hartz-IV wird nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts heftig gestritten. Außen vor, Geringverdiener, die trotz Arbeit weniger als Hartz-IV verdienen.

Wer in Deutschland arbeitet, wird mehr und mehr zum Deppen der Nation, meint FDP-Chef Guido Westerwelle und hat sich damit den Zorn nicht nur der Union, sondern auch vieler Bürger zugezogen. Leistung müsse sich lohnen, regt sich Westerwelle auf und nimmt kühl in Kauf, dass er damit sozial Schwache zu Sündenböcken macht. Aber: Wie sieht es tatsächlich aus? Immer mehr Menschen arbeiten hart, und verdienen dennoch unter Hartz-IV-Niveau, beispielsweise die Frisöre. Iris Marx mit einer Reportage.

Wir sind auf dem Weg nach Marzahn-Hellersdorf. Viele Hochhäuser, wenig Luxus. Rund 250.000 Menschen leben hier, ein Fünftel von ihnen wird vom Jobcenter betreut. Nicht alle sind arbeitslos. Einige haben zwar einen Arbeitsplatz, verdienen aber weniger als Hartz-IV-Empfänger, die nicht arbeiten.

Wir sind am Helene-Waigel-Platz. Hier im Frisörsalon Schnittpunkt arbeitet die 28-jährige gelernte Frisörin Michaela.

Michaela (28) Friseurin
„Na, jeden Tag wird gearbeitet! Von Montag bis Freitag in der Frühschicht und von Montag bis Samstag in der Spätschicht.“

Die Mutter eines 5-jährigen Sohnes arbeitet hier rund 30 Stunden die Woche.

Michaela (28), Friseurin
„Die ist manchmal sehr anstrengend. Man kommt weder zum Essen noch zum Trinken und denn arbeitet man so hintereinander weg. Abends fällt man tot ins Bett.“

Für die teils anstrengende Arbeit, ist der Verdienst allerdings nicht sehr hoch:
lediglich rund 570 Euro netto im Monat.

Michaela (28), Friseurin
„Dafür, dass wir eigentlich nicht nur Handwerker sind, sondern auch Seelsorger, Putzfrauen noch dazu…dafür ist das ziemlich unterbezahlt, ja!“

Aber mehr als die knapp sechs Euro Stundenlohn ist kaum drin, erklärt der Ladeninhaber vom Schnittpunkt in Marzahn. Den für Frisöre vorgeschlagenen Mindestlohn von 7,50 Euro könnte er nicht zahlen.

Christian Möws, Schnittpunkt
„Die 7,50 Euro sind für uns momentan aus den Umsätzen nicht generierbar. Aufgrund dessen, dass die Kunden nicht bereit sind, noch mehr Geld dafür zu zahlen, sondern immer danach haschen, wo es halt günstig ist, sind wir momentan auch nicht in der Lage, die Preise anzuheben.“

Ein Haarschnitt für Männer kostet hier bereits nur acht Euro. Und die Konkurrenz in der Umgebung ist groß: Ein Salon ist gleich gegenüber, vier weitere gibt es im nahegelegenen East-Gate-Center.

Christian Möws, Schnittpunkt
„Da haben wir es auch wirklich schwer, uns da durchzusetzen. Da sagen wir: ok, das Geschäft läuft halt momentan und wir sind froh, dass die Kundschaft kommt.“

Schwer wird es für ihn, wenn er mal eine neue Mitarbeiterin sucht. Vielen erwerbslosen Frisören fehlt die Motivation für wenig Geld arbeiten zu gehen, wenn sie doch ohne Arbeit vom Amt mehr Geld bekommen können. So der Eindruck des Unternehmers.

Christian Möws, Schnittpunkt
„Wenn ich jemanden suche, dann ist es so, dass ich mich ans Arbeitsamt wende. Dann bekomme ich halt Bewerbervorschläge und da ist es in der Regel wirklich so, dass sich vielleicht maximal zehn Prozent der Bewerbervorschläge melden. Das sind dann… ich bekomme einen Stapel von 50 Leuten und fünf Leute melden sich entweder telefonisch oder per schriftlicher Bewerbung. (…) Es gibt schon so einige Anzeichen, wo man am Telefon mitbekommt, dass es Leute gibt, die sich wirklich auf ihren Minijobs, auf ihren pauschalen Jobs ausruhen.“

Eine generelle Anhebung der Hartz-IV-Sätze, könnte seiner Meinung nach die Bereitschaft, einem regulären Job nachzugehen, nur noch weiter vermindern.

Christian Möws, Schnittpunkt
„Ich glaube, die Motivation würde noch weiter nach unten sinken, dass Leute, die sich bewerben sollen, bewerben müssen.“

Michaelas Lebensgefährte verdient ungefähr so viel wie sie selbst. Also kommt die dreiköpfige Familie zusammen auf etwas mehr als 1000 Euro. Um auf den Hartz-IV-Satz von circa1400 Euro zu kommen, stockt sie auf.

Es stört die Frisörin, dass sie trotz Arbeit in der Öffentlichkeit auf der gleichen Stufe steht wie ein Hartz-IV-Empfänger.

Michaela (28), Friseurin
„Es geht mir nicht gut dabei, dass ich über einen Kamm geschert werde wie die anderen, die halt den ganzen Tag zu Hause hängen.“

Aber trotz ihres geringen Lohns fühlt sich die Frisörin nicht arm. Sie ist zufrieden mit dem, was sie hat.

Michaela (28), Friseurin
„Eigentlich kommen wir gut über die Runden. Wenn man nicht gerade teuer einkaufen geht."

Sie also eigentlich ganz zufrieden mit dem, was sie hat.

Michaela (28), Friseurin
„Ja. Doch. Geht schon. Dann fliegt man halt nicht nach Mallorca oder haben wir nicht gesehen. Dann wird halt an der Ostsee Urlaub gemacht – da ist es genauso schön.“

Höhere Hartz-IV-Sätze, wie sie jetzt von Vielen gefordert werden, verlangt sie daher nicht.

Michaela (28), Friseurin
„Wer jammert, der kann einfach nicht mit Geld umgehen. Ganz einfach“

Auch Michaela könnte zu Hause bleiben, wie viele Hartz-IV-Empfänger in Marzahn-Hellersdorf. Sie geht aber lieber einer geregelten Arbeit nach, auch wenn sie dafür nicht viel verdient.

KLARTEXT
„Wie motivieren Sie sich, morgens immer aufzustehen, wenn es doch nicht so viel Geld gibt?“
Michaela (28), Friseurin
„Das sind die Kunden, denk ich mal. Die Kunden, wenn die total mies gelaunt kommen und nicht mehr klar kommen und sich mal ausquatschen wollen und dann total glücklich wieder raus gehen, das ist schön.“

Es ist 14.30 Uhr. Die Mutter hat Feierabend. Sie fährt jetzt noch ihren fünfjährigen Sohn Dominik bei der Tagesmutter abholen.

Michaela (28), Friseurin
„Dann geht es entweder nach Hause, auf Spielplatz oder einen Arztbesuch, wenn es dringend ist, fahren wir mal bei Oma und Opa mit ran… Tja, dann gibt es zwischen sechs und sieben Abendbrot und dann wird ferngesehen oder ein Buch gelesen und zwischen acht und neun geht es spätestens ins Bett. Und manchmal ich anschließend gleich hinterher. Und das geht dann eigentlich so jeden Tag.“




Autor: Iris Marx