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In Zukunft wird das Privatauto in der Innenstadt eine geringere Rolle spielen – so die Hoffnung vieler feinstaub- und blechlawinengeplagten Berliner. Doch wer genauer hinsieht, findet dafür kaum Indizien - weder in der Statistik, noch in der Bedeutung als Statussymbol und auch nicht in der Politik.
Anmoderation
Ein autofreier Kiez, zumindest für einen Monat lang. Diese Idee hat unlängst für Aufregung gesorgt in Berlin. Das Projekt, das für den Helmholtzkiez geplant war, ist gescheitert. War die Idee zu absurd? Ist eine autofreie Innenstadt eine Alptraumvorstellung – oder müssen wir nicht tatsächlich darüber nachdenken, welche Rolle das Auto in unserer Stadt künftig spielen soll? Wie groß ist aber die Bereitschaft, umzusteigen? Wie ernsthaft sucht die Politik Alternativen? Helge Oelert hat sich darüber Gedanken gemacht.
Wäre es nicht schön, wenn die Massen an Blech in unserer Stadt endlich mal weniger würden, und Menschen sich ihren Lebensraum zurück eroberten?
Doch das Gegenteil ist der Fall: die Zahl der Autos nimmt in Berlin immer mehr zu. Kontinuierlich seit Jahrzehnten.
Dabei hatte der Senat den Autos schon vor Jahren den Kampf angesagt.
Ingeborg Junge-Reyer (SPD)
Verkehrssenatorin 2004-2011
Abendschau vom 20.12.2005
"Mein Ziel ist, dass wir erreichen, dass zunehmend auf das Fahren mit dem Auto verzichtet werden kann. Dies macht die Stadt nicht nur sicherer für die Verkehrsteilnehmer, sondern sorgt auch für reinere Luft und vor allen Dingen für eine Reduzierung der Lärmbelastung."
Bis heute gilt dieser Grundsatz der Berliner Verkehrsstrategie.
Doch wie es scheint, regiert eher das Prinzip Hoffnung:
Denn an der Dominanz der Autos in unserer Stadt hat sich nichts geändert. Im Gegenteil: Der Bestand an Kraftfahrzeugen liegt bei 1,1 Millionen – und steigt!
Selbst die Tatsache, dass Berlin wächst, taugt nicht zur Ausrede: die Pro-Kopf-Quote bleibt ziemlich konstant bei rund 330 Autos pro 1.000 Einwohner.
Auch die Hoffnung, durch Carsharing könnte die Fahrzeugflotte reduziert werden, trügt offenbar.
Zwar ist Carsharing inzwischen überall in der Stadt präsent. Und tatsächlich könnten 9 von 10 Autos eingespart werden, wenn wir doch nur endlich bereit wären, auf das persönliche Eigentum an ihnen zu verzichten und sie mit anderen gemeinsam zu nutzen.
Prof. Andreas Knie
Innovationszentrum für Mobilität
"Wenn jeder sein eigenes Auto haben will, und das auch noch besitzrechtlich für sich in Anspruch nimmt, dann steht es sogar zu 90 Prozent rum. Das heißt, 10 Prozent wird das Auto nur genutzt, 90 Prozent steht es dumm rum, wenn das mehrere Millionen Berliner machen, haben wir eine dumm rumstehende Flotte."
Auf den ersten Blick scheint Carsharing zu boomen: Sagenhafte 67 Prozent Zuwachs bei den angemeldeten Fahrern, 24 Prozent bei der Anzahl der Fahrzeuge.
Aber aus dem Hoffnungs-Elefanten wird eine Mücke, wenn man mal nachfragt, welchen Effekt das Carsharing auf die Gesamtzahl der Autos hat…
Gabi Lamprecht
Bundesverband Carsharing Berlin
"Da ist Carsharing natürlich immer noch ein verschwindend kleiner Marktanteil. Wir haben in Deutschland round about 41 Millionen Autos auf den Straßen. Carsharing hat insgesamt knapp 14.000 Autos. Also es ist ein sehr kleiner Teil des Marktes. Immer noch. Leider."
Das ist weniger als ein halbes Promill!
Von "Anfangsschwierigkeiten" kann man hier nicht sprechen.
Über Carsharing hat die Abendschau schon vor 25 Jahren berichtet.
Ausschnitt "Abendschau"
Archiv
"Sigurt Bemme hat soeben ein Auto gebucht. Den Schlüssel dazu holt er sich aus einem unscheinbaren Wandsafe in der Nachbarschaft. Er wohnt in Kreuzberg, hat kein eigenes Auto, aber benutzt trotzdem eines: Er ist Mitglied bei "Statt Auto", dem ersten nachbarschaftlichen Autopool in der Bundesrepublik, 80 Mitglieder teilen sich acht Autos."
Seit ein paar Jahren helfen auch Autokonzerne wie Daimler, BMW und Citroen, das Carsharing zu verbreiten. Doch hier geht es bislang wohl mehr um Imagegewinn als um zählbaren Profit – bis heute schreiben sie in Berlin Verluste. Der Verband der Automobilindustrie erkennt im Carsharing eine Chance, den Absatz von Autos sogar noch weiter anzuheizen.
Kay Lindemann
Verband der Automobilindustrie
"Der Kunde ist König, und wenn er über eine bestimmte Wegstrecke ein Auto vom Carsharing nutzt, dann führt ihn das ja vielleicht auch mittelfristig zu der Überzeugung, auch 24 Stunden auf ein Auto zugreifen zu können."
KLARTEXT
"Also Carsharing als Einstiegsdroge?"
Kay Lindemann
Verband der Automobilindustrie
"Wenn ein Carsharing-Nutzer sich das Auto auch mal kauft, freuen wir uns…"
Autos sollen also weiterhin gekauft werden. Die Hoffnung, ein kultureller Wertewandel möge private PKW endlich uncool machen, scheint unbegründet.
Seit Jahren stimmen die Medien zwar den Abgesang auf das Auto als Statussymbol an, das Smartphone würde wichtiger als der Smart. Doch solch eine Verschiebung der Wertschätzung entlarven Verkehrsforscher als Wunschdenken.
Prof. Barbara Lenz
Institut für Verkehrsforschung
"Es wird vor allen Dingen den jungen Leuten zugeschrieben, dass sie angeblich das Auto nicht mehr so wichtig finden. Es gibt im Moment keine seriöse Untersuchung dazu, die das bestätigt."
Stattdessen erleben die derart Totgesagten in der Innenstadt ihre Renaissance. Gerade hat BMW diese 65 Millionen Euro teure Kathedrale der Auto-Verehrung in Charlottenburg eröffnet, und bei Audi am Kudamm werden selbst verwegendste PS-Phantasien Wirklichkeit.
Der fromme Wunsch, vielleicht würden die Kunden ja von sich aus zur Vernunft kommen und wenigstens auf ökologisch sinnvollere Kleinwagen umsteigen, platzte: Spritfressende Geländewagen sind angesagt, schon 2020 werden sie mehr als ein Viertel aller Autos ausmachen – zur Freude der Hersteller.
Kay Lindemann
Verband der Automobilindustrie
"Wir haben einen Trend, dass Geländewagennatürlich auch im Sicherheitsempfinden und auch, was die Möglichkeit, Gepäck unterzubringen, von den Kunden und den Verbrauchern sehr geschätzt werden. Ich glaube, das haben wir auch nicht zu kritisieren haben. Das ist die autonome und souveräne Entscheidung von Konsumenten, solche Autos zu kaufen. Unsere Aufgabe ist es, dafür ein nachhaltiges und sicheres Produktangebot zu machen."
Und die Politik baut – für große Autos große Straßen.
Prof. Andreas Knie
Innovationszentrum für Mobilität
"Wir erleben hier in Berlin gerade einen Rückfall ins 19. Jahrhundert. Das ist geradezu so, als würde man wieder Schwarz-Weiß-Fernsehen einführen würde. Denn wir bauen ja nochmal einen Kilometer Autobahn für fast 800-900 Millionen. Also wir investieren wirklich da in eine Technik, die man in Berlin nicht mehr braucht und verschleudern da richtiggehend Millionen."
Dabei wäre es vielleicht wirklich an der Zeit, Geld und Überzeugungsarbeit in neue Visionen zu investieren. Denn ohne mutige Schritte von den Politikern wird sich kaum etwas ändern.
Beitrag von Helge Oelert