Yorckbrücken, Quelle: rbb
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Bild: rbb

- Wem gehört die Stadt?

Vor rund 30 Jahren kaufte Herr Mühlenhaupt drei kleine Häuser an der Berliner Yorckstraße. Zwei davon hat er vermietet - an eine Kneipe und einen Spätkauf - und im dritten wohnt er selbst. Doch das Grundstück, auf dem die Häuser stehen, gehört inzwischen einem Investor. Und der verlangt jetzt, dass Herr Mühlenhaupt auszieht - am besten sofort! - und seine Häuser abreißt.

Anmoderation
“Ganz andere Sorgen drücken die Berliner Politiker: Auf der To-Do-Liste des Senats steht ganz weit oben: Bezahlbaren Wohnraum schaffen! Denn der wird immer knapper in der Hauptstadt. Dringend müssen neue Wohnungen gebaut werden. Doch die Frage ist: Wo? Es mangelt an bebaubaren Flächen. Und das führt manchmal zu ziemlich absurden Kämpfen – wie unser folgendes Beispiel aus Schöneberg zeigt.“

Die Gaststätte "Zum Umsteiger“ in Berlin-Schöneberg. Seit über 100 Jahren eine Institution im Kiez. Hans Werner Sens ist Pächter dieser Kneipe, hat sich hier, an diesem wohl einmaligen Ort in Berlin unter den Yorkbrücken, gleich neben der S-Bahn-Station einen Lebenstraum erfüllt. Aber im Moment weiß der Wirt nicht, was aus ihm und seiner Traditionskneipe werden wird.

Hans-Werner Sens
Kneipenwirt

"Ich habe einen Brief bekommen und da wurde ich dann aufgefordert, sofort das von mir unrechtmäßig benutzte Gebäude zu verlassen und ganz schnell zu verschwinden. Die Firma die mich da angeschrieben hat – ich kenn die nicht, ich hab mit denen nie was zu tun gehabt.“
KLARTEXT
"Was ist denn das für eine Firma?"
Hans-Werner Sens
Kneipenwirt

"Dr. Schröder oder so ähnlich."

Nur wenige Schritte vom „Umsteiger“ entfernt befindet sich ein „Spätkauf“. Yunus Ergene hat das Geschäft unter den Yorckbrücken vor zwei Jahren eröffnet. Auch bei ihm hat sich die Firma Dr. Schröder GmbH gemeldet und seinen Pachtvertrag gekündigt.

Yunus Ergene
Spätkaufbetreiber

"Das würde für mich meine Existenz ruinieren. Ich habe zwei Kinder, ich bin ein Familienmensch, arbeite mit meinem Bruder zusammen. Wir haben Hab und Gut hier rein gesteckt. Ich wüsste gar nicht, was ich machen soll, müsste ich wieder Hartz IV beziehen.“

Zwei Kündigungen, die Existenzen gefährden. Seltsamerweise kommen sie von einer Firma, die überhaupt nicht Eigentümerin der beiden Gebäude ist.

Denn Eigentümer der beiden Gebäude ist er: Karl-Heinz Mühlenhaupt, Dachdeckermeister im Ruhestand. Mühlenhaupt ist auch Eigentümer dieses Hauses, das ganz in der Nähe auf demselben Gelände liegt. Hier lebt er seit 30 Jahren. Ein kleines Idyll inmitten des Großstadtdschungels hat er sich hier geschaffen. Auch ihm hat die Dr. Schröder GmbH eine Kündigung geschickt:

KLARTEXT
"Was steht jetzt in dem Kündigungsschreiben genau drin?“
Karl-Heinz Mühlenhaupt
Hauseigentümer

"Dass ich die Häuser innerhalb von einem Vierteljahr abreißen soll.“

Das Problem von Herrn Mühlenhaupt: Er ist zwar Eigentümer der drei Gebäude, aber das Grundstück, auf dem die Häuser stehen, hat er nur gepachtet.

Diese Trennung von Haus- und Grundbesitz ist ein kurioses Überbleibsel aus den Tagen der Deutschen Teilung. Das Grundstück auf dem Mühlenhaupts Häuser stehen, ist ein ehemaliges Bahngelände. Was viele heute gar nicht mehr wissen: Vor der Wende gehörte das gesamte Bahngelände auch innerhalb von Westberlin der Deutschen Reichsbahn und somit rechtlich zur DDR. Für diese Grundstücke galt also DDR Recht, auch wenn sie in Westberlin lagen. Und nach diesem DDR-Recht war eine solche Trennung von Haus und Grundbesitz möglich. Diese bizarre Rechtssituation aus längst vergangenen Zeiten ist heute Ursache für die Probleme von Herrn Mühlenhaupt.

Nach der Wende wurde das Reichsbahnvermögen an die Deutsche Bahn übertragen und die hat viele der ehemaligen Bahngrundstücke inzwischen erfolgreich vermarktet. So auch das Grundstück, auf dem die Häuser von Karl-Heinz Mühlenhaupt stehen.

Für die zuständige Stadträtin des Bezirkes ein Problem.

Sibyll Klotz
Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung

"Ich ärgere mich auch darüber, dass gerade die Bahn, die ja mal ein staatliches Unternehmen war und im Übrigen ja eigentlich auch immer noch ist, mit dem damaligen geplanten Börsengang, den ja Herr Mehdorn, wir erinnern uns, zu vertreten hatte, alles verscherbelt hat, was sie an Flächen hatte, was nicht niet- und nagelfest war."

Die neue Eigentümerin dieses ehemaligen Bahngeländes ist die Dr. Schröder GmbH. Die verlangt nun, von Hauseigentümer Mühlenhaupt, dass er das Grundstück geräumt übergibt. Noch immer gilt der alte Pachtvertrag mit der Reichsbahn. Der beinhaltet tatsächlich die Möglichkeit einer Kündigung und die will die neue Eigentümerin offenbar bis zur letzten Konsequenz umsetzen.

Karl-Heinz Mühlenhaupt
Hauseigentümer

"Nach sechs Wochen hat mich die Frau angerufen von Büro Schröder und mich gefragt, ob ich schon geräumt habe. Und ich hab gesagt: ’Nein.’ Und dann sagte sie am Telefon, dann kommt sie mit nem Bagger und reißt die Häuser ab.“
KLARTEXT
"Wie fanden Sie das?“
Karl-Heinz Mühlenhaupt
Hauseigentümer

"Frech.“

Wer ist die Dr. Schröder GmbH? Zu 84 Prozent gehört die Gesellschaft einem Reinhold Semer. Und Reinhold Semer ist in diesem Gebiet kein Unbekannter.

Er ist Eigentümer der Hellweg-Baumärkte. Deren neuste Filiale wird in wenigen Tagen an der Yorckstraße eröffnen.

Im Zuge dieses Baumarkt-Projektes hat Semer das gegenüberliegende ehemalige Reichsbahngelände entdeckt, bis auf die drei Häuser von Karl Heinz Mühlenhaupt eine riesige Brache: Zwei Hektar unbebautes Land. Hier möchte Herr Semer 250 Wohnungen bauen, die meisten davon sollen Mietwohnungen werden, einige davon sogar mit einer Mietpreisbindung.

Bei all diesen Bauplänen und bei dem Immobilienverkauf hat offensichtlich niemand an den Hausbesitzer Karl-Heinz Mühlenhaupt gedacht. Der hat für das 500 Quadratmeter große Grundstück jahrelang sehr viel Pacht gezahlt. In der Hoffnung, es eines Tages kaufen zu können.

Karl-Heinz Mühlenhaupt
Hauseigentümer

"Es hieß ja damals immer, ich kann das Grundstück kaufen eines Tages und deshalb hab ich ja auch die hohe Pacht bezahlt.“
KLARTEXT
"Und dann haben Sie ein Angebot gemacht?“
Karl-Heinz Mühlenhaupt
Hauseigentümer

"Ja, Angebot und dann wurde immer geschrieben: zu gegebener Zeit werden wir zu Ihnen zurückgreifen.“

Aber daraus wurde nichts, denn keiner hat sich bei ihm je gemeldet. Stadträtin Klotz befürwortet das Bauprojekt und hofft, auf den Investor zugunsten von Mühlenhaupt einwirken zu können. Auf Nachfrage von KLARTEXT erklärt sie:

Sibyll Klotz
Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung

"Wir wollen, dass der „Umsteiger“ erhalten bleibt, gar keine Frage, und das wird auch Bedingung des Bebauungsplanverfahrens sein. Und das weiß Herr Semer auch und gut, dann wird man sehen.“

Im "Umsteiger" will man nicht so recht an diese Versprechungen glauben.

Hans-Werner Sens
Kneipenwirt

"Soll sie es machen, wenn sie meint, sie hätte die Macht. Ich glaub es erst, wenn er stehen bleibt.“

Nach Außen hin gibt sich der Investor als Bewahrer der Schöneberger Traditionskneipe. In einem Schreiben an KLARTEXT heißt es, Zitat:
"Unsere Planungen haben die Gaststätte von Anfang an mit einbezogen.“

Doch andererseits hat der Investor gegen Hauseigentümer Mühlenhaupt Klage eingereicht mit einem ganz klaren Antrag, Zitat:

"Der Beklagte wird verurteilt, die ….Baulichkeiten, massives Gaststätten- und Wohngebäude, massives Ladengebäude und massives Büro- und Lagergebäude abzubrechen und zu entfernen.“

Karl-Heinz Mühlenhaupt hat ebenfalls einen Anwalt eingeschaltet, und kämpft gegen die Räumungs- und Abrissklage. Ob es dabei wirklich klug war, dass er die hohe Pacht einseitig reduziert hat, muss das Gericht entscheiden. Auf jeden Fall will er in seinem Haus wohnen bleiben, so lange es geht. Und auch im "Umsteiger" will man erst einmal weiter machen.

Die Yorkstraße mit ihren 30 Brücken ist ein einmaliger und faszinierender Ort in Berlin. Einrichtungen wie der „Umsteiger“ gehören zu diesem geschichtsträchtigen Kiez einfach dazu.

Vieles wird sich in diesem Gebiet in den nächsten Jahren ändern. Man wird sehen, ob zumindest einiges von dem erhalten bleiben wird, was dieses besondere Stück Berlin ausmacht.

Abmoderation
“Solche Geschichten gibt’s wohl auch nur in Berlin...“

Beitrag von André Kartschall