Braunkohle-Kraftwerk, Bild: rbb

- Vorschnelle Hoffnung: Warum der Ausstieg aus der Braunkohle Jahre dauern wird

Der schwedische Staatskonzern Vattenfall soll, so fordern es die in Schweden mitregierenden Grünen, aus der Braunkohle aussteigen. Ein Käufer für Kraftwerke und Tagebau wird gesucht. Was aber, wenn sich niemand findet, der in die "Übergangstechnologie" in der Lausitz investiert? Wird dann verstaatlicht? Oder doch eingestellt? Geht die deutsche Energiewende nun nur mit Braunkohle, wie es noch vergangene Woche hieß - oder ist auch das inzwischen überholt?

Anmoderation
Bange Frage für viele Lausitzer: Wie geht es weiter mit dem Braunkohleabbau? Nach der Ankündigung des Energiekonzerns Vattenfall, sich aus dem Kohleabbau in der Lausitz zu verabschieden, ist die Zukunft ungewiss. Die Landesregierung hätte theoretisch Gelegenheit, Schluss zu machen mit der Kohle – so wie es die Energiewende erfordert – doch die Folgen wären gravierend. Nicht nur, weil dann zigtausende Arbeitsplätze wegfallen, auch das Erreichen der Klimaziele würde noch schwieriger.  André Kartschall über das Dilemma mit dem Kohleausstieg.

Alle machen Klimaschutz. Nun sogar der Braunkohleriese Vattenfall. Der schwedische Staatskonzern soll grün werden und sich auf erneuerbare Energien konzentrieren. So hat es die neue rot-grüne Regierung in Stockholm verordnet. Mit Braunkohle soll Schluss sein. Schwedens Beitrag zum Klimaschutz.

Nachfrage bei Professor Georg Erdmann, Energieexperte der TU Berlin und Berater der Bundesregierung in Sachen Energiewende.

KLARTEXT
"Wird die schwedische Regierung das Ziel des Klimaschutzes dadurch erreichen, dass Vattenfall seine Braunkohlesparte verkauft?"
Prof. Georg Erdmann
TU Berlin
"Nein, weil irgendjemand anderes das kaufen wird und die Kraftwerke erstmal weiter betreiben wird."
KLARTEXT
"Warum macht die schwedische Regierung dann so was?"
Prof. Georg Erdmann
TU Berlin

"Damit sie bei irgendwelchen Wählergruppen Sympathien bekommt."

Klimaschutz auf Schwedisch: Hauptsache, die CO2-Schleudern belasten nicht mehr das Gewissen. Symbolpolitik.

Die beherrscht auch die Brandenburger Landesregierung. Gern betont man: das Land sei Vorreiter beim Ausbau der Erneuerbaren Energien. Aber: ohne Braunkohle gehe es nun mal nicht.

Dietmar Woidke (SPD)
Ministerpräsident Brandenburg

"Ob die Energiewende nicht nur hier bei uns, sondern in der gesamten Republik – letztlich auf Akzeptanz stoßen wird, steht und fällt aber auch mit der Bezahlbarkeit und der Versorgungssicherheit in Deutschland. Auf absehbare Zeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, führt deshalb an der Braunkohle kein Weg vorbei."

Einen Interessenten für die Braunkohlesparte gibt es schon: das Unternehmen MIBRAG. Die Firma betreibt mehrere Tagebaue in Sachsen. In der Lausitz rechnen viele damit, dass die Übernahme klappt und es ein Leben nach Vattenfall gibt.

Für die Bergbaugewerkschaft IG BCE ist die Braunkohle sogar alternativlos.

Ute Liebsch
IG Bergbau, Chemie, Energie

"Wir brauchen die Braunkohle aus unserer Sicht noch sehr, sehr lange, als Brückentechnologie. Ja, Sie wissen ja, dass wir aus der Kernenergie aussteigen werden und der Strom muss ja irgendwo herkommen. Der muss auch herkommen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Also von daher noch sehr lange."
KLARTEXT
"Wie lange ist sehr lange?"
Ute Liebsch
IG Bergbau, Chemie, Energie

"Ich sage mal, bis 2050 mindestens und darüber hinaus."

Das ist tatsächlich noch sehr lange. Zumal Deutschland doch eigentlich gerade die Energiewende vollzieht.

Axel Kruschat vom Bund für Umwelt und Naturschutz versteht nicht, warum die Landesregierung nicht auf die Idee kommt, mit Vattenfall Verhandlungen über einen Ausstieg zu führen – anstatt eines Verkaufs.

Axel Kruschat
BUND Brandenburg

"Jetzt wäre die Chance! Jetzt wäre die Chance, nach Schweden zu gehen und zu sagen: Okay, so, ihr wollt raus aus der Kohle, ja, wir können euch nicht gleich weglassen. Lasst uns bis 2040 aussteigen. Wir fangen mit Jänschwalde an."

Jänschwalde: das älteste Kraftwerk der Lausitz und das klimaschädlichste. Bei Kohlegegnern und Naturschützern steht es schon lange ganz oben auf der Streichliste.

Sie sagen: bereits heute könnte man es abschalten ohne dass es einen Black Out gibt. Denn schließlich werde immer noch mehr Strom produziert als gebraucht wird – allein durch konventionelle Kraftwerke.

Axel Kruschat
BUND Brandenburg

"Da stellt man fest: da stehen etwa so 6.000 Megawatt Leistung mehr als gebraucht werden. Also, man braucht ne Reserve von 3.000 MW. Man könnte also 3.000 MW stilllegen. Das Kraftwerk Jänschwalde hat 3.000 MW Nennleistung. Man könnte also das Kraftwerk Jänschwalde jetzt schon stilllegen."

Technisch mag die Rechnung aufgehen. Politisch aber eher nicht. Denn die Gewerkschaft IG BCE rechnet nicht in Megawattstunden, sondern in Arbeitsplätzen. Und die würden mit dem Kraftwerk Jänschwalde verschwinden.

Ute Liebsch
IG Bergbau, Chemie, Energie

"Erstens mal haben wir im Kraftwerk Jänschwalde über 800 Beschäftigte. Dahinter ist angesiedelt der Tagebau mit deren Beschäftigten und die vielen Dienstleister, die um so einen Tagebau und so ein Kraftwerk drum rum sind. Die würden ja alle ihre Arbeit verlieren."

Insgesamt geht es in der Lausitz einerseits um 8.000 Arbeitsplätze, andererseits um drei Dörfer, die abgebaggert werden sollen.

Und auch um die Frage, ob Deutschland seine Klimaschutzziele einhält. Mitentscheidend dafür ist der so genannte "CO2-Zertifikatehandel".

Jeder Kraftwerksbetreiber hat eine begrenzte Menge CO2-Zertifikate zur Verfügung.

Sie funktionieren wie eine künstliche Währung. Für jede ausgestoßene Tonne Kohlendioxid muss der Kraftwerksbetreiber ein Zertifikat ausgeben. Wird das Kraftwerk aber stillgelegt, sind immer noch Zertifikate da. Die können dann europaweit verkauft werden. Zum Beispiel ins Kohleland Polen – dort geht der CO2-Ausstoß dann weiter. Das Kraftwerk in Deutschland und die Arbeitsplätze aber sind weg.

Prof. Georg Erdmann
TU Berlin

"Das Verrückte an der ganzen Sache: Es ist irrelevant für den Klimaschutz. Wenn es wenigstens für was Relevantes wehtäte. Aber da ja die Zertifikate ja dann irgendwo anders dann benutzt werden würden, würden wir nichts für den Klimaschutz … Es tut einfach nur weh. Und das ist natürlich irgendwie eine ziemlich dumme Diskussion."

Doch es gäbe auch dafür eine Lösung: wird ein Kraftwerk stillgelegt, könnte der Staat die CO2-Zertifikate einfach aufkaufen.

Axel Kruschat
BUND Brandenburg

"Es gibt ein Emissions-, ein Treibhausgashandelsgesetz – und das müsste dann entsprechend angepasst werden. Das kann Deutschland natürlich tun."
KLARTEXT
"Problem gelöst."
Axel Kruschat
BUND Brandenburg

"Problem gelöst. Man muss nur wollen."

Doch der Bundeswirtschaftsminister will nicht. Die Energiewende, so scheint es, steckt in der Warteschleife. Der ehemalige Umweltminister Sigmar Gabriel ist fast nicht wieder zu erkennen.

Sigmar Gabriel (SPD)
Bundeswirtschaftsminister

"Wir brauchen also die Kohle auch für lange Zeiten noch. Sie wird an Bedeutung abnehmen, das wissen auch alle, aber das wird eben über einen sehr langen Zeitraum sein."

Gabriels neuester Vorschlag: die Energiekonzerne sollen freiwillig CO2 einsparen – ohne Kraftwerke stillzulegen. Wie das funktionieren soll, ist unklar. Klar ist nur: Geht es so weiter wie bisher, werden Deutschland und Brandenburg ihre Klimaschutzziele deutlich verfehlen.

Axel Kruschat
BUND Brandenburg
"Man kann sich nicht Klimaschutzziele setzen und dann die ignorieren. Weil, es gibt keinen Weg, ohne dass man an der Braunkohlverstromung etwas ändert, diese Klimaschutzziele zu erreichen. Und wenn man dann immer wieder sagt: 'Ja, wir sind Spitzenreiter bei Erneuerbaren Energien.' Dann muss man sagen: Ja, na klar, auf der einen Seite muss man Kapazitäten aufbauen, auf der anderen Seite muss man dafür aber auch was abschalten. Ja, sonst hat man keinen Klimaschutzeffekt. Und dann ist das auch sinnlos, ja, was da passiert."

Abmoderation
Übrigens wollten wir über Braunkohle aus Brandenburg auch mit Ministerpräsident Woidke, Wirtschaftsminister Gerber; mit Sigmar Gabriel, Vattenfall, MIGRAG und der Bundesnetzagentur sprechen. Sie aber nicht mit uns!

Beitrag von André Kartschall