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- Karstadt – Insolvenz als Rettung?

Tausende Berliner und Brandenburger Karstadt-Beschäftigte bangen um ihre Zukunft. KLARTEXT hat recherchiert, was aus spektakulären Insolvenz-Fällen wie Herlitz und Borsig geworden ist.

Ein Berlin demnächst ohne Karstadt? Können Sie sich das vorstellen? Juni, Juli, August, - das ist die Galgenfrist, die vielen Karstadt-Mitarbeitern in Berlin und Brandenburg noch bleibt. So lange erhalten die meisten nach der Insolvenz noch ihr Gehalt. Gehen dann die Lichter aus? Wir wollten wissen: Was wurde eigentlich aus anderen spektakulären Insolvenz-Fällen hier in der Region? Wie viel Beschäftigte haben ihren Job behalten können? Iris Marx und Andrea Everwien sind dieser Frage nachgegangen.

Der Tag der Entscheidung – das war letzte Woche: Karstadt ist pleite, bundesweit. Staatshilfen sind nicht in Sicht - die Insolvenz ist angemeldet. Die Mitarbeiter sind in Angst – es geht um ihre Existenz.

Karstadt-Mitarbeiter
„Ganz ehrlich, ich weiß gar nicht, wie es weitergeht – ich bin hier als Vollzeitbeschäftigter, meine Frau ist halbtags beschäftigt, mein Sohn steht in der Ausbildung. Ich weiß nicht, wie es weitergeht.“

128 Filialen bundesweit, zwölf davon allein Berlin – könnte es bald überall heißen: Tschüss, altes Haus? Bedeutet die Insolvenz das Aus für Karstadt?

Nicht unbedingt, sagt Professor Rolf Rattunde. Der Jurist ist Insolvenzverwalter und hat in Berlin schon einige größere Firmen durch die Pleite begleitet – durchaus mit Erfolg. Die Krise als Chance.

Prof. Rolf Rattunde, Insolvenzverwalter
„Wir haben jedenfalls in der Situation, in der es ohnehin ums Überleben geht, immer noch ein As im Ärmel und immer noch eine Chance, aus der Sache was zu machen.“

Denn ein Ziel des Insolvenzverfahrens ist laut Gesetz: der Erhalt des Unternehmens. Deswegen sind in der Insolvenz Dinge erlaubt, die sonst nicht gehen.

Prof. Rolf Rattunde, Insolvenzverwalter
„Nun, wir haben in der Insolvenz zunächst einmal die Möglichkeit, eine Einigung mit den Gläubigern herbeizuführen. (…) Dann haben Sie im Insolvenzverfahren den Vorteil, dass man Verträge leichter kündigen kann, wenn sie dem Unternehmen schaden.“

Beispiel Eins für eine gelungene Insolvenz: die Berliner Borsig GmbH.

Borsig – ein Traditionsunternehmen in Berlin seit 1837. Borsig baute die ersten Lokomotiven in Deutschland, Borsig gab schon immer tausenden Menschen Arbeit in Eisenwalzwerken und Maschinenfabriken. 2002 die große Pleite: Der Mutterkonzern Babcock-Borsig bricht auseinander.

Für die Mitarbeiter war das eine schwierige Zeit. Andreas Förster, heute Produktionsleiter, war damals einfacher Arbeiter in der Fertigung.

Andreas Förster, Borsig
„Also man hörte dann schon in der Werkstatt einige sagen, der Vermieter will das Geld haben, aber ich kann nicht, ich bekomme ja kein Geld. Das war schon erschreckend, dass manche Familien doch in Schieflage geraten sind.“

Borsig hatte damals zwei Probleme: Einmal war die Verwaltung zu sehr aufgebläht. Zum anderen fertigte man einfache Teile noch selber an – Arbeit, die im eigenen Hause zu teuer war. Das Insolvenzverfahren erlaubte dem Unternehmen, sich aus ungünstigen Verträgen zu lösen.

Prof. Rolf Rattunde, Insolvenzverwalter
„Man hat bestimmte Mietverträge beendet über Fabriken, die man nicht mehr brauchte und dann konnte das Insolvenzverfahren schon wieder beendet werden.“

Das Unternehmen stieß die zu teure Produktion einfacher Teile ab. Das kostete die Hälfte der damaligen Arbeitsplätze. Die Zahl der Beschäftigten sank von 450 auf 240.

Prof. Rolf Rattunde, Insolvenzverwalter
„Wenn ich befürchten muss, dass ich 100 Prozent der Arbeitsplätze jetzt verliere, dann ist es insgesamt sozial verträglicher, angemessener und für die Beteiligten auch hinzunehmen, wenn ich es schaffe, 80 oder 90 Prozent zu retten um den Preis eines Arbeitsplatzabbaus.“

Nach der Insolvenz konzentrierte sich Borsig aufs Kerngeschäft: hochspezialisierte Anlagen zum Beispiel für die Plastikproduktion. Heute schreibt das Unternehmen wieder schwarze Zahlen und die Zahl der Mitarbeiter stieg wieder von 240 auf 510.

Andreas Förster, Borsig
„Sie sehen bei uns: Der Betrieb läuft weiter, besser denn je. Und wir haben hier sichere Arbeitsplätze.“

Beispiel Zwei: die Herlitz-AG

Das Kerngeschaft von Herlitz war seit 1906: Papier, Büro, Schreibwaren. Nach dem Mauerfall hoffte das Management aber auf neue Märkte in Osteuropa – und baute schon mal vorsichtshalber riesige Produktionshallen in Falkensee. Eine millionenschwere Fehlinvestition – genauso wie andere Immobilien.

Damals als Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat: Andreas Köhn. Der ver.di-Mann über das Missmanagement bei Herlitz:

Andreas Köhn, ver.di Berlin-Brandenburg.
„Man hat das gute Geld, was man im Kerngeschäft verdient hat, in diesen neuen Geschäftsfeldern – kann man so sagen – verbrannt. Man hat auch gedacht, man muss der global player werden, man muss weltweit agieren, und das hat auch nicht das gebracht, was es bringen sollte.“

Der Insolvenzverwalter kündigte alle überflüssigen Immobilien-, Miet und Lieferverträge. Heute macht Herlitz wieder nur noch in Papier – und das erfolgreich. Zwar wurden nach der Insolvenz bis heute rund 1.500 Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut. Doch immerhin: Das Unternehmen existiert noch – denn es gibt einen Bedarf nach den dort hergestellten Waren – es gibt ein funktionierendes Kerngeschäft.

Für Insolvenzverwalter Rattunde ist dies die Voraussetzung für ein gelingendes Insolvenzverfahren.

Prof. Rolf Rattunde, Insolvenzverwalter
„Es ist auf Dauer nicht möglich, Geschäfte zu betreiben, wenn kein Bedarf besteht.
Es ist ja nicht so, dass ein Insolvenzverwalter jedes Unternehmen sanieren kann. Da braucht man sich nichts vorzumachen. Ein Restaurant in schlechter Lage mit schlechtem Essen und unfreundlichem Personal – da wird der beste Insolvenzverwalter nichts hinbekommen, das ist dann eben so.“

Beispiel Drei: Hertie

Gestern Nachmittag, die Hertie Filiale in Tegel: Wut und Verzweiflung bei den Mitarbeitern. Hier gibt es kaum noch Hoffnung.

Mitarbeiter
„Wir haben auf alles verzichtet, wir kriegen keine Abfindungen, man hat auf Weihnachtsgeld und weiß ich nicht schon alles, nur um unseren Arbeitsplatz zu erhalten, aber es hat trotzdem nichts gebracht.“

Das Insolvenzverfahren wurde schon letztes Jahr eröffnet – doch der Konzern war nicht zu retten. Im Juli werden die 54 Hertie-Häuser bundesweit voraussichtlich geschlossen. Das Verfahren scheiterte an den Eigentümern: Der britische Finanzinvestor Dawnay Day will eigentlich nur die Immobilien verwerten – er interessiert sich nicht für das Handelsunternehmen.

Hier ist kein Kerngeschäft. Hier gibt es nichts zu retten – auch nicht für den besten Insolvenzverwalter.

Und Karstadt? Und Arcandor? Es kommt darauf an.

Prof. Rolf Rattunde, Insolvenzverwalter
„Wenn man davon ausgeht, dass die Kaufhäuser in den Innenstädten tatsächlich gebraucht werden, dann wird es die weiter geben. Ob mit Insolvenz, ob ohne Insolvenz.“



Iris Marx und Andrea Everwien