Ausstellungskritik | 250 Jahre Caspar David Friedrich - Der deutsche Stimmungsmacher

Fr 19.04.24 | 11:18 Uhr | Von Julia Sie-Yong Fischer
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Besucherinnen fotografieren das Gemälde "Mönch am Meer" mit ihren Smartphones.
Video: rbb24 Abendschau | 18.04.2024 | Christian Titze | Bild: dpa/J.Kalaene

Die Sehnsuchtsbilder des deutschen Malerstars ziehen Menschen weltweit in die Museen. Dabei berühren die Ikonen der "Unendlichen Landschaften" in der Alten Nationalgalerie nicht nur die Seele des Publikums, sondern wirken politisch bis in die Gegenwart hinein. Von Julia Sie-Yong Fischer

Bis in die heutige Zeit wirken die atmosphärischen Szenenbilder Caspar David Friedrichs (1774-1840) hinein, in denen Menschen von hinten vor atemberaubender Landschaft gezeigt werden. Selbst auf Instagram zitieren private Urlaubsbilder vor Sonnenuntergängen Friedrichs Bildsprache.

Die Begeisterung und der Hype um die Naturansichten des bekanntesten deutschen Romantikmalers scheint jedenfalls nicht abzuebben. Zum 250. Jahrestag seines Geburtstags findet nun endlich die seit 2017 geplante Werkschau mit mehr als 120 Gemälden und Grafiken in der Alten Nationalgalerie in Berlin statt - der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf dem Werkprozess und der Bildentwicklung.

Abstraktion und weggeschnittene Augenlider

Die bekanntesten Werke der weltweit größten Friedrich-Sammlung, "Mönch am Meer" (1808-10) und "Abtei im Eichwald"(1809-10), bilden den Ausgangspunkt der Berliner Präsentation. Beide wurden 1810 vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. angekauft, ein erster Ritterschlag für den Maler Friedrich.

Das Gemälde "Mönch am Meer" ist kunsthistorisch wegweisend, da es durch die starke Vereinfachung der großen Farbflächen die Abstraktion zeitlich vorwegnimmt. "Als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären", so schildert 1810 Friedrichs Zeitgenosse Heinrich von Kleist die Effekte der für ihn schwer erfassbaren, ausufernden Landschaftsabbildung. Aber auch für heutige Sehverhältnisse ist das Gemälde durch seine Reduktion und Farbgebung eine durchaus komplexe und zeitlose Malerei.

Ein Werk, das zunächst anders geplant war

Dass dieses Bild von Friedrich ursprünglich anders geplant war, zeigen die neueren Erkenntnisse des Restaurierungs-T eams am Haus: In der Vorskizze waren Segelschiffe angelegt, die Friedrich in einem letzten Schritt übermalte. Weitere Einblicke in seinen künstlerischen Prozess geben außerdem die zahlreichen in der Natur gefertigten, akribischen Holzschnitte und Skizzen, geliehen vom Kooperationspartner, dem Kupferstichkabinett Berlin.

Erstaunlich farblos leicht und fast comic-haft erscheinen sie im Vergleich zu den Ölbildern. An den Meisterwerken arbeitete der Künstler nur in seinem Atelier, dabei rekonstruierte er sie anhand seiner Erinnerung und seiner Aufzeichnungen aus der freien Natur.

Die Ausstellung gibt viel Aufschluss darüber, wie er mit seinen wichtigen Bildmotiven wie etwa Küste und Gebirge umging, welche Farben und Pauszeichnungen er einsetzte, aber auch wie andere ihn kopierten oder porträtierten.

Caspar David Friedrich:Das Eismeer, 1823/24 Öl auf Leinwand, 96,7 x 126,9 cm Hamburger Kunsthalle/bpk.(Quelle: Elke Walford)Caspar David Friedrich, Das Eismeer, 1823/24 Öl auf Leinwand, 96,7 x 126,9 cm

Ein japanischer Künstler als Gegenwartsposition

Doch nur allein das Wissen um seine Malweise mag sicherlich nicht ausreichen, um die anhaltende Faszination zu erklären. "Auge, Herz und Verstand" sind laut der Ausstellungsmachenden gleichermaßen gefragt, um einen persönlichen Zugang zu den stillen Bildern fnden zu können.

Die dramatischen Lichtstimmungen von zahlreichen Sonnenauf- und -untergängen sowie Nebelschwaden und Dämmerungen laden zur Kontemplation vor dem Bild ein, geben genügend Raum für eigene tiefgründige Gedanken.

Ergänzt wird die Schau durch eine Gegenwartsposition: Der japanische Künstler Hiroyuki Masuyama (*1968) rekonstruierte mit Fotomontagen Friedrichs Werke auf Leuchtkästen. Fast genauso zeitgenössisch wirkt das aus Hamburg geliehene, überraschend realistische "Eismeer" (1823-24), auch weil es an die visuelle Ästhetik aus Computerspielen erinnert.

Info

Caspar David Friedrich, Lebensstufen, um 1834 Öl auf Leinwand, 73 x 94 cm (Quelle:Museum der bildenden Künste Leipzig/M. Ehritt)
Museum der bildenden Künste Leipzig/M. Ehritt

Ausstellung in der Alten Nationalgalerie - Caspar David Friedrich "Unendliche Landschaften"

19.04.2024 - 04.08.2024

Im Caspar-David-Friedrich-Jubiläumsjahr 2024 ist die Berliner Präsentation Teil einer Reihe von thematisch eigenständigen Ausstellungen, die unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier stehen.

Die Ausstellung "Unendliche Landschaften" in der Alten Nationalgalerie ist vom 19. April bis zum 4. August zu sehen. Aufgrund des zu erwartenden Publikumsandrangs wird das Museum ab dem 5. Mai bereits um 9 Uhr öffnen - statt wie üblich 10 Uhr. Tickets für die Ausstellung können online gebucht werden, Restkarten gibt es täglich an der Kasse.

Die aktuelle Klimakrise und ihre Folgen konkret für die von Friedrich dargestellte Natur sind angesichts der Waldbrände 2022 in der sächsischen und böhmischen Schweiz hochbrisant. Diese Aufmerksamkeit nutzten auch Umweltaktivistinnen, die im März 2023 versuchten, das Bild "Der Wanderer über dem Nebelmeer" (1818) in der Hamburger Kunsthalle zu überkleben.

"Dafür kann ja Friedrich nichts!"

Und auch sonst ist das Oeuvre des Malers und seine Wahrnehmung politischer als es vielleicht auf den ersten Blick erscheinen mag. Historisch durch den Nationalsozialismus für germanischen Patriotismus instrumentalisiert, aber auch später von der DDR-Kulturpolitik rehabilitiert, wurde Friedrichs Kunst als Projektionsfläche für politische Ideologien genutzt.

Obwohl er sich selbst als deutschen Patrioten begriff, ist man seitens der Ausstellungsproduzent:innen bemüht, sein Werk von jeglicher Deutschtümelei zu befreien. Direktor Ralph Gleis sagt dazu beinahe etwas genervt: "Dafür kann ja Friedrich nichts!" Dennoch räumt er ein, dass Melancholie und Sehnsucht durchaus als deutsche Eigenschaften gelesen werden könnten.

Eine inhaltliche Aufarbeitung von Friedrichs Rezeptionsgeschichte wäre im Rahmen der Blockbuster-Ausstellung sicherlich auch für die gegenwärtigen Debatten rund um die Rolle der Kunst für die Politik durchaus aufschlussreich gewesen. Aber in Berlin wird schnell klar: Bitte nicht die Geburtstagsparty stören!

Wer sich dennoch in den bewegenden Stimmungen des Malerstars ganz unpolitisch verlieren und ausführlich zu seinem Schaffen informiert werden möchte, ist in den beeindruckenden Räumen der Alten Nationalgalerie sehr gut aufgehoben.

Sendung: Radio3, 19.04.2024, 15:00 Uhr

Beitrag von Julia Sie-Yong Fischer

4 Kommentare

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  1. 4.

    "...warum will denn hier keiner was dazu sagen... "? Kann ich Ihnen beantworten: Weil die Leserschaft auf diesem Portal an Kunst alter Meister desinteressiert ist, weil der Eintrittspreis nicht genannt wird und weil sich kein Grund zum Meckern finden lässt, da der Künstler seit 184 Jahren tot ist.
    Meine Lieblingsmaler waren schon immer Friedrich und Spitzweg. Ich bin gespannt, ob das Gemälde "Neubrandenburg im Morgennebel" von 1816 in der Ausstellung zu sehen ist. Der gelb gefärbte Himmel war Folge des Jetstreams nach dem Vulkanausbruch des Tambora im Jahre 1815 und war meines Wissens Motiv bei mehreren Künstlern dieser Zeit.

  2. 3.

    Sehr schön, aber ein bisschen hochgejazzt finde ich die Ausstellung schon.
    Mir hat CDF schon immer sehr gefallen, weil er die Mächtigkeit der Natur ganz toll darzustellen vermochte. Und doch wurde er unfreiwillig zum Zeitzeugen - nämlich bei den "Kreidefelsen auf Rügen", denn die dargestellten Wussower Klinken existieren nun leider nicht mehr, weil das Meer an dem weichen "Gestein" nagt.
    Schade, aber nur zu beeinflussen, wenn man sehr aktiv immer wieder Steinpackungen davor versenken würde. Oder oben auf dem Lande das Eindringen von Feuchtigkeit verhindern würde. Nur stellt sich die Frage nach dem Wozu/Rechtfertigung und nach den Kosten. Auch irgendwo illusorisch, weil die Natur halt in Veränderung ist - stets. Modern gesehen, hat er, so glaube ich, genau das dargestellt. Man vergleiche: Mönch am Meer. - Mönch (!)

  3. 2.

    ...warum will denn hier keiner was dazu sagen...
    Ja, dann fang ich also mal an.

    Äh, hallo, ich bin der Klaus und ich fand früher CDF langweilig, weil er für mich so altmodisch aussah und das Ganze auf mich ziemlich kitschig gewirkt hat.
    Das war früher.
    Inzwischen bin ich älter, viel älter, und ich muss sagen, CDF gefällt mir immer besser, je öfter ich sein Bilder im Original anschaue.
    Er ist neben William Turner inzwischen mein Lieblingsmaler der Romantik.
    Ich freue mich sehr auf den Besuch der Ausstellung.

  4. 1.

    "Dafür kann ja Friedrich nichts!"

    Dieses etwas seufzerhaft vorgetragene Zitat lohnt, sich die jeweiligen Umstände zu vergegenwärtigen: Nichts könnte jemals ohne Politik sein und nichts könnte erschöpfend definiert werden nur durch Politik. Auch Caspar David Friedrich bewegte sich indirekt im polit. Kontext seiner Zeit, das ist ihm erst einmal nicht zu verdenken und es wäre m. E. zu kurz gegriffen, früher lebende Zeitgenossen das gleiche Wertesystem abzuverlangen wie den heutigen. Eher geht es dabei darum, ob jemand den "Türspalt" in Richtung heutiger Zeit genutzt hat oder zäh und krampfhaft im Althergebrachten stehenblieb.

    Den Werkprozess offensichtlich zu machen, finde ich prima. Eine architektonische Analogie dazu ist die so bez. Bischofsburg in Ziesar: Jede versetzte Mauer wird kenntlich gemacht, die Steinschichten sind punktuell aufgeschnitten.

    Die Werke von Caspar David Friedrich haben nach meiner Empfindung etwas Meditatives. Ich bin neugierig auf die Ausstellung !

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