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Die C/O-Galerie in Berlin zeigt eine Retrospektive des fast 85-jährigen japanischen Fotografen Daido Moriyama, dessen Werke ikonografisch für das Zusammentreffen japanischer Tradition mit westlicher Bildsprache steht. Gut drei Jahre hat die Arbeit an der Ausstellung gedauert, in Berlin werden nun neben rund 250 Arbeiten und raumgreifenden Bildinstallationen auch Dutzende noch nie zuvor ausgestellter Fotobücher und Magazine gezeigt.
Ein streunender Hund, fotografiert 1971. Daido Moriyamas frühe Schwarzweißfotos - Symbolbilder für ein Japan im Umbruch, eine Gesellschaft auf der Suche nach ihren Wurzeln.
Später fotografiert er auch die vielen Gesichter des modernen Japan, immer wieder auch diesen einen Stadtteil von Tokio, das Vergnügungsviertel Shinjuku, für ihn die "Heimat" seiner Fotografie.
Jetzt zeigt das Foto-Ausstellungshaus C/O Berlin die erste große Retrospektive des Werks von Daido Moriyama in Deutschland.
Gerade erst sind die Fotos aus São Paulo, dem vorigen Ausstellungsort angekommen.
Sophia Greiff, Kuratorin
"Dieses Bild des Stray Dogs, des streunenden Hundes, wird auch oft als metaphorisches Selbstporträt Moriyamas gedeutet, weil er eben selbst auch wie so ein streunender Hund durch die Straßen zieht. Ihn fasziniert das urbane Leben, der Alltag, die Theatralität des Alltags."
Moriyamas Credo: Die Straße ist das Leben.
Sein Werkzeug: Eine Kompaktkamera, mit der er Schnappschüsse macht, planlos, wie aus der Hüfte. Die Bilder: oft körnig, verwackelt, unscharf – gewollt unvollkommen.
So wird er in den Sechziger Jahren zum Pionier der Street Photography. Das Gefühl des Getriebenseins, der zwanghaften Neugier auf das Leben der Stadt lässt auch den heute 84-jährigen nicht los.
Daido Moriyama, Fotograf
"Ich zittere, bin immer nervös, wenn ich die Stadt erkunde. Besonders auf der Straße, da ziehen so viele Dinge an einem vorbei. Es sind niemals dieselben Situationen und immer neue, immer andere Gefühle, besonders wenn ich Menschen fotografiere. Ich versuche immer, diesen besonderen Moment festzuhalten, in dem wir einander begegnen."
Wie er fotografiert, verändert damals den Blick auf das Medium – und auf Japan. Moriyamas Fotografie des Augenblicks erzählt von einer Zeitenwende, der Verwestlichung der Gesellschaft, dem Einbruch der Konsumkultur.
Ohne politisches Programm, mit seinen Bildern dokumentiert Moriyama Entfremdung, Verlust - die dunklen Seiten dieses neuen, amerikanisch geprägten Japan.
Daido Moriyama, Fotograf
"In der Welt meiner Fotografie – der Welt, die ich erschaffe - gibt es keinen Anfang, kein Ende. Es ist eine Welt, die sich ständig verändert, in der nichts bleibt, wie es ist. Die immer in Bewegung ist. Nein, ich würde sagen: Eine Welt der sich bewegenden Reize."
In Moriyamas Atelier in Tokio gibt es keine Fotos an der Wand, aber viele Bildbände im Regal.
Was der Fotograf und Jäger bei seinen Streifzügen erbeutet, all die zahllosen, intuitiven Eindrücke publiziert er in Büchern und Zeitschriften: das Foto als Serie, nicht als Ikone.
Anfang der Siebziger Jahre arbeitet Moriyama zeitweise in New York. Seine Foto-Collage von Leuchtreklamen am Times Square zeigt er schließlich einem erwartungsvollen Galerie-Publikum.
Sophia Greiff, Kuratorin
"Und statt die Bilder schön gerahmt an die Wände zu hängen, hat er einen Fotokopierer in die Galerie gestellt, hat alle seine Bilder kopiert und reproduziert und hat dann so Ad-hoc-Fotobücher mit Heftklammern zusammengeheftet."
Die Kamera ein Kopiergerät, die Fotografie: ein Druckvorgang. Die Bilder: schnell konsumierbar, zugänglich für alle, en passant - so, wie sie entstanden sind.
In Shinjuku machte Daido Moriyama sein erstes Foto - seit 60 Jahren tut er es immer wieder. Die Stadt: Ein offener Raum, in dem ihm überall menschliche Leidenschaft begegnet, die Emotion des Augenblicks.
Daido Moriyama, Fotograf
"Die Bilder gehören dem Betrachter. Ich würde mich freuen, wenn meine Fotos beim Betrachter eine Erinnerung wachrufen würden. An etwas, das sie früher einmal selbst gesehen haben. Darum geht es und nicht darum, ob die Bilder in Japan oder in Berlin gezeigt werden."
Es gehe ihm nicht um Kunst, sagt Daido Moriyama, sondern um das, was die Wirklichkeit in den Bildern hinterlässt: Erinnerung, Schönheit und Schmutz, die Verlorenheit eines streunenden Hunds.
Autor: Andreas Lueg