-
Armand Isaac Dorville wurde in Paris geboren und war als Rechtsanwalt eine bekannte Person des öffentlichen Lebens in Frankeich. Außerdem besaß er eine Kunstsammlung mit rund 450 Werken, darunter "Ein Platz in La Roche-Guyon" von Camille Pissaro. Nach der Besetzung von Paris durch die Wehrmacht floh er 1940 nach Südfrankreich, wohin er einen Teil seiner Sammlung mitnehmen konnte. Er lebte bis zu seinem Tod 1941 in seinem Schloss in der Dordogne. Da er kinderlos war, setzte er als Erben seine Geschwister und Nichten ein. Sie versteigerten den Nachlass. Auch seine Erben waren als Juden massiv von Verfolgungsmaßnahmen betroffen und hatten nicht die Möglichkeit, an das Geld heranzukommen. Armand Dorvilles Schwester, ihre zwei Töchter und zwei Enkelinnen, wurden deportiert und 1944 in Auschwitz ermordet. Das Gemälde von Camille Pissaro kam in den 1960er Jahren nach Berlin und wurde 2021 an die Nachfahren von Armand Dorville restituiert.
Im vierten Arrondissement von Paris liegt ein kleiner Teesalon. Francine Kahn kommt öfters hierher. Immer, wenn sie das Shoah-Mahnmal in der Nähe besucht. Wir wollen hier über einen Verwandten von ihr sprechen – Armand Dorville.
Francine Kahn, Großnichte von Armand Dorville
"Als ich ein Kind war, jung war, hat meine Mutter, die seine Nichte war, immer von Onkel Armand gesprochen. Armand Dorville – der große Anwalt. Hier ist eine Karikatur von ihm. Er trägt eine Anwaltsrobe. Sehr selbstsicher."
Sie hat ihn nicht selber kennengelernt – Armand Dorville starb 1941. Vor einigen Jahren erfährt Francine über eine Anwaltskanzlei, dass Sie Anspruch auf ein Erbe hat – ein Erbe, von dem sie nichts wusste.
Francine Kahn, Großnichte von Armand Dorville
"Und in diesem Moment habe ich eine andere Seite von ihm entdeckt. Die des Sammlers."
In der Wohnung des Kunsthändlers Cornelius Gurlitt waren 2016 auch Kunstwerke gefunden worden, die sich dem Vorbesitzer Armand Dorville zuordnen ließen. Der Beginn einer langen Recherche. Auch in der Alten Nationalgalerie findet sich später ein Werk, dass einst im Besitz Dorvilles war. Ein Gemälde des Impressionisten Camille Pissarro. Für den Provenienzforscher Sven Haase ist die Rückseite eines Gemäldes oft interessanter als das Kunstwerk selbst.
Sven Haase, Provenienzforscher Staatliche Museen Berlin
"Spannend in unserem Fall ist zum Beispiel: Armand Dorville ist hier verzeichnet. Es gibt einen Sticker, der sein Eigentum ausweist. Dorville und die Adresse im Pariser Westen, wo Armand Dorville gewohnt hat. Dann haben wir einen Hinweis, wo wir es gekauft haben, von Arthur Tooth and Sons, die Galerie, wo die Nationalgalerie es erworben hat, 1961. Was die Rückseite uns nicht erzählt ist die Geschichte des Verlustes und der Auktion 1942, das heißt, die dramatische Geschichte des Bildes."
1940 überfallen die Deutschen Frankreich – Hitler marschiert in Paris ein, der französische Marschall Petain beginnt die Kollaboration, das Vichy-Regime.
Historische Rede Petain
"Franzosen, heute beginne ich die Kollaboration."
Francines jüdischer Großonkel zieht sich auf sein Schloss in der Dordogne zurück. Er stirbt dort 1941. Ein Jahr später wird seine 450 Werke umfassende Kunstsammlung in Nizza versteigert – zunächst auf Wunsch der Familie Dorvilles.
Sven Haase, Provenienzforscher Staatliche Museen Berlin
"Der Grund wird sein, dass die Familie damit ihre Flucht finanzieren möchte. Die Behörden des Vichy-Regimes bekommen Wind von der Sache und so wird noch am ersten Auktionstag die Auktion und der Bestand unter Zwangsverwaltung gestellt. Die Kunstsammlung wird verkauft, allerdings haben die Erben Dorvilles keinen Zugriff mehr auf den Erlös, der auf ein Sperrkonto gestellt wird."
Fünf jüdische Verwandte von Armand Dorville werden 1944 deportiert und in Auschwitz ermordet.
Francine Kahn, Großnichte von Armand Dorville
"Nicht nur seine Sammlung war verschwunden. Seine Familie war verschwunden. Seine Schwester Valentine, die zwei Töchter hatte. Monique… Denise… und die Enkelinnen Dominique und Marie-France. Es war zu schwer – darüber wurde nicht geredet."
Wenige Straßen weiter befindet sich das Kunstdepot CCART. Hier kommt auch Raphael Falk dazu, ein weiterer Nachfahr- und Erbenvertreter. Hier sind einige der 25 Kunstwerke untergebracht, die die Erbengemeinschaft von verschiedenen Museen inzwischen zurückerhalten hat.
Raphael Falk, Erbengemeinschaft Armand Dorville
"Den Kunstraub anzuerkennen bedeutet, uns etwas Gerechtigkeit zurückzugeben."
Francine Kahn, Großnichte von Armand Dorville
"Wenn uns ein Werk zurückgegeben wird, heißt es, dass ein Museum oder ein Privatbesitzer anerkennt, dass die Familie beraubt worden ist."
Raphael Falk, Erbengemeinschaft Armand Dorville
"Diese Anerkennung tun uns gut. Sie erscheint uns wichtig, es ist eine Aufgabe für die Gegenwart und die Zukunft."
"Hier haben wir den Aufkleber von der Versteigerung im Juni 1942 im Hotel Savoi in Nizza."
2020 wurde das Gemälde von Camille Pissarro an die Erben zurückgegeben – und für Berlin wieder angekauft. Eine französische Anwaltskanzlei hatte die Nationalgalerie auf die Geschichte Dorvilles hingewiesen. Es war ein eindeutiger Fall – nur 1961, beim Ankauf, war Provenienz noch kein Thema.
Am Shoah-Denkmal in Paris sind die Namen der 76.000 deportierten französischen Juden eingraviert. Auch die der fünf ermordeten Verwandten von Francine und Raphael.
"Sie war erst zwei Jahre alt."
"Sie war vier Jahre alt."
"Sie war 23."
Francine Kahn, Erbengemeinschaft Armand Dorville
"Sie sind denunziert worden. Wenn Valentine und ihre Töchter und Enkelinnen das Geld bekommen hätten, hätten sie ganz sicher emigrieren können."
Raphael Falk, Erbengemeinschaft Armand Dorville
"Wir haben die Aufgabe zu erinnern, und die Erinnerung weiterzugeben. Es ist eine Aufgabe, die nie endet."
Autor: Steffen Prell