Interview l Risiko im Kopf - Autofahren mit Epilepsie
Anfang September 2019 ereignete sich ein tragischer Unfall in der Invalidenstraße in Berlin-Mitte. Ein epileptischer Anfall, durch den der Fahrer die Kontrolle über den SUV verloren hatte, war der Auslöser. Epilepsie gilt als eine der häufigsten Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Wann kann das zur Gefahr werden, auch für andere? Wie groß ist das Risiko der Teilnahme am Straßenverkehr? Die rbb Praxis hat beim Berliner Epileptologen Dr. Michael von Brevern nachgefragt.
Schätzungsweise fünf Prozent aller Menschen bekommen ein oder wenige Male in ihrem Leben einen epileptischen Anfall. Dabei entladen sich die Nervenzellen plötzlich rhythmisch und reißen gesunde Nervenareale oder das gesamte Gehirn mit sich. Die Nervenaktivität ist krankhaft übersteigert, es kommt zum epileptischen Anfall. Teile des Gehirns oder das gesamte Gehirn fallen für eine kurze Zeit komplett aus.
Von einer aktiven Epilepsie sprechen Experten, wenn die Anfälle von selbst, also ohne besonderen Anlass immer wieder auftreten. Jeder hundertste Deutsche ist von Epilepsie betroffen. Und dazu gehörte vielleicht auch der Fahrer eines SUVs, der am 6. September 2019 in der Berliner Invalidenstraße / Ecke Ackerstraße einen tödlichen Unfall verursachte.
Herr Dr. von Brevern, dürfen Menschen mit Epilepsie überhaupt Auto fahren?
Das ist durch die Leitlinie der Bundesanstalt für Straßenwesen, BASt, geregelt. Die gibt vor, wie Patienten mit Epilepsien hinsichtlich der Fahrtüchtigkeit beraten werden sollten. Es wird differenziert, ob jemand erstmalig einen Anfall hatte, ob dieser Anfall provoziert wurde - zum Beispiel durch Medikamente oder eine vorrübergehende Krankheit - oder ob es eine echte Epilepsie ist, bei der mit weiteren Anfällen gerechnet werden muss. Wenn jemand eine Epilepsie hat, dann gilt, dass er mindestens ein Jahr lang keinen Anfall gehabt haben darf, bevor er wieder Auto fahren darf.
Wie wird sichergestellt, dass Menschen mit echter Epilepsie tatsächlich nicht Auto fahren dürfen, wenn dieses Jahr noch nicht rum ist – wird das vermerkt?
Einer Behörde wird es nicht gemeldet, sondern der Arzt muss in seinen Akten dokumentieren, dass er den Patienten aufgeklärt hat, dass er für eine gewisse Zeit nicht fahrgeeignet ist. Außerdem sollte sich der Patient in gewissen Abständen dem Arzt wieder vorstellen, damit eben glaubhaft dokumentiert wird, dass er anfallsfrei bleibt, bevor er wieder Auto fährt.
Es gibt für Ärzte ja eine Schweigepflicht. Diese kann allerdings in besonderen Fällen gebrochen werden, wenn der Arzt beispielsweise den Eindruck hat, der Patient fährt trotzdem Auto und gefährdet dabei sich und die Umwelt. Dann kann man das melden. Aber da sind dann natürlich zwei Rechtsgüter, die im Widerspruch stehen: auf der einen Seite die Abwehr von Gefahren und auf der anderen Seite die ärztliche Schweigepflicht, das muss man abwägen.
Was genau ist Epilepsie? Wie würden Sie das definieren?
Epilepsie bedeutet, dass Anfälle auftreten, die mit einer pathologischen Erregungssteigerung des Gehirns zu tun haben und dass diese Anfälle die Neigung haben, immer wieder aufzutreten.
Jeder von uns kann einen epileptischen Anfall bekommen, zum Beispiel in bestimmten Ausnahmesituationen, wenn man mehrere Nächte hintereinander nicht schläft, bestimmte Drogen oder Medikamente genommen hat. Von einer richtigen Epilepsie spricht man erst dann, wenn die Anfälle häufiger kommen.
Ab welchem Punkt würde man dann genau sagen, dass eine Person an Epilepsie erkrankt ist?
Man hat früher gesagt: Ab dem zweiten unprovozierten Anfall hat man eine Epilepsie. Inzwischen spricht man auch nach einem einmaligen Anfall immer dann von einer Epilepsie, wenn die Untersuchungen darauf Hinweise geben, dass der Anfall durch etwas ausgelöst wird, was in Zukunft wieder zu Anfällen führen wird. Zum Beispiel, wenn ein Hirntumor der Auslöser ist, dann kann man schon nach einem einzigen Anfall von einer Epilepsie sprechen.
Was passiert bei einem epileptischen Anfall?
Die Nervenzellen im Gehirn fangen an, die Kontrolle zu verlieren. Sie werden sozusagen hyperaktiv. Im normalen Zustand gibt es im Nervensystem des Gehirns eine Bremse, die die Nervenzellen kontrolliert. Beim epileptischen Anfall versagt dieses System. Dann breitet sich eine elektrische Erregung über das ganze Gehirn aus.
Man wird bewusstlos und fängt an, an Armen und Beinen zu zucken. Manchmal ist es so, dass Anfälle auf eine Region im Hirn beschränkt bleiben, das sind die sogenannten fokalen Anfälle. Da kann es passieren, dass nur ein Körperteil betroffen ist.
In welchem Alter tritt Epilepsie üblicherweise auf?
Es gibt zwei Häufigkeitsgipfel: Bei Kindern und Jugendlichen und im höheren Alter. Im Kinder- und Jugendalter sind es häufig Epilepsien, die eine genetische Grundlage haben, wo also keine Strukturveränderung des Gehirns die Ursache ist.
Im höheren Alter können Schlaganfälle, Hirntumore oder andere Gehirnverletzungen Epilepsien auslösen.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Medikamente sind die Standardbehandlung. Da gibt es eine Menge an Wirkstoffen, mit denen man es in der Regel schafft, zwei Drittel der Patienten anfallsfrei zu bekommen. In selteneren Fällen kann eine Operation sinnvoll sein, wenn man zum Beispiel ein Hirnareal identifizieren kann, das den Anfall auslöst. Dann kann man das in bestimmten Fällen entfernen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Laura Will / aktualisiert am 17.10 2019