Interview | Nach dem Schlaganfall - Wieder besser sehen
Nicht mehr sehen zu können bedeutet für die Betroffenen ein großes Stück Lebensqualität zu verlieren. Bei einer Hirnschädigung, meist durch Schlaganfall, kommt es häufig zu einer Schädigung der Sehbahn, die zu einer "Halbseitenblindheit" führt, also einem Ausfall einer Gesichtsfeldhälfte vor beiden Augen auf derselben Seite. Mit einem Training, bei dem man das fehlende Gesichtsfeld abscannt, können Teilerblindete diesen Verlust ausgleichen.
Frau Prof. Trauzettel-Klosinski, lässt sich Sehen tatsächlich wieder erlernen, wenn man einmal durch eine Hirnschädigung sehbehindert ist?
Bislang haben wir keinen Hinweis darauf, dass sich das Hirngewebe wieder regeneriert, mit dem wir sehen. Wenn die Sehrinde, die im Bereich des Hinterkopfes liegt, beispielsweise infolge eines Schlaganfalles geschädigt ist, lässt sich unsere Sehkraft nicht erneuern. Aber Patienten können durch ein spezielles Augenbewegungstraining lernen, Gesichtsfeldausfälle wettzumachen. Das Auge lernt, die fehlenden Anteile auszugleichen.
Wie genau äußern sich Gesichtsfeldausfälle?
Sie schränken die Betroffenen in ihrem gesellschaftlichen Leben stark ein: Durch die fehlende Information auf der blinden Seite entsteht eine räumliche Orientierungsstörung. Die Patienten stoßen gegen Gegenstände oder Menschen auf der blinden Seite, finden ihren Weg nicht mehr richtig und es fällt ihnen schwer, sich im Supermarkt zu orientieren.
Wie umfangreich lässt sich Sehen wieder rehabilitieren?
Einigen Menschen gelingt es durch das Training, ihr komplettes Blickfeld abzuscannen. Die meisten können so gut kompensieren, dass sie ihren Alltag wieder normal meistern.
Welche Voraussetzungen müssen die Patienten dafür mitbringen?
Die Patienten, die dafür in Frage kommen, haben einen teilweisen Ausfall des Gesichtsfeldes, nämlich nur auf einer Seite, aber vor beiden Augen. Er entsteht, wenn Sehrinde oder Sehbahn geschädigt sind. Bei ihnen ist also das so genannte zentrale Sehen innerhalb des Gehirns gestört. Das passiert nach einem Schlaganfall oder auch nach einem Schädel-Hirn-Trauma infolge eines Unfalls.
Was genau trainieren die Patienten?
Die Patienten lernen durch Suchaufgaben, mit Hilfe von Augenbewegungen wieder Dinge zu sehen, die eigentlich außerhalb ihres Gesichtsfeldes liegen. Zum Ende des Trainings führen wir mit den Patienten einen Tischtest durch. Dabei müssen sie Alltagsgegenstände wie Schere oder Radiergummi auf einem Tisch finden. Im Vergleich zum Tischtest vor Beginn des Trainings gelingt ihnen die Suche am Ende viel schneller.
Wie lange müssen die Patienten üben, um das Blickfeld optimal abzudecken?
In unserer Studie haben die Patienten sechs Wochen lang an je fünf Tagen jeweils am Vor- und Nachmittag je 30 Minuten geübt – insgesamt also 30 Stunden. Danach setzen sie das Training sehr gut im Alltag um. Bei einigen wenigen Patienten empfehlen wir, auch danach mit Hilfe unserer Software zu trainieren.
Woher bekommen Patienten diese Software?
Die Patienten können sie direkt im Internet bestellen oder sie sprechen ihren Augenarzt, Neurologen oder Hausarzt an.
Können sie die Übungen allein zu Hause durchführen?
Ja, das ist der Vorteil unseres Programms, die Patienten können das Training am heimischen Computer durchführen. Es ist sehr, sehr einfach aufgebaut und alltagsrelevant. Auch nach Entlassung aus dem Krankenhaus und nach dem Ende der Reha können die Patienten damit ihr Sehvermögen weiter verbessern.
Welche zukünftigen Entwicklungen sind absehbar, von denen durch Hirnschädigung sehbehinderte Menschen profitieren könnten?
Wir gehen davon aus, dass die Trainingsmethoden in der Zukunft noch weiter optimiert werden, indem beispielsweise Sehreize mit Reizen für das Gehör kombiniert werden. Dadurch lässt sich das Sehen ersten Untersuchungen zufolge noch weiter verbessern.