Interview | Albträume - Schlecht geträumt?
Warum haben wir Albträume? Und ab wann sollten wir ärztliche Hilfe suchen, weil die Träume chronisch werden? Reinhard Pietrowsky, Professor für Klinische Psychologie, beschäftigt sich seit rund 20 Jahren mit dem Thema (Alb-)Traum. Dazu gekommen ist der Psychologe quasi selbst im Schlaf. Er hatte einen Albtraum, der ihn tagsüber einfach nicht mehr losließ.
Herr Prof. Pietrowsky, wann ist ein Traum ein Albtraum?
Es gibt auf der einen Seite klare Kriterien, was einen Traum zum Albtraum macht. Nämlich, dass es sich um einen Traum handelt mit extrem unangenehmem Inhalt, der üblicherweise die Bedrohung des eigenen Lebens, der Sicherheit oder persönlichen Integrität betrifft; dass dieser Traum sehr gut und detailliert erinnert werden kann und dass man nach dem Erwachen schnell orientiert ist. Auf der anderen Seite ist es natürlich immer ein subjektiver Eindruck und eine subjektive Entscheidung, ob man einen Traum als so bedrohlich einschätzt, dass man sagt, hier war das eigene Leben oder die eigene Sicherheit betroffen. Auf jeden Fall geht ein Albtraum immer mit einem starken negativen Gefühl einher, was meistens Angst ist. Es kann aber auch Ärger, Wut, Scham oder Ekel sein.
Was können die Auslöser für einen Albtraum sein?
Albträume können ohne Auslöser auftreten. Es muss also nicht immer einen bestimmten oder bekannten Auslöser geben. Es ist jedoch so, dass in belasteten Lebenssituation, wenn man also besonders gestresst ist, sei es durch Prüfungen oder familiäre oder berufliche Probleme, häufiger Albträume hat. Dabei kann es sein, dass sich diese Probleme direkt in den Albträumen widerspiegeln: etwa dass man träumt, eine Prüfung nicht zu bestehen.
Es kann aber auch sein, dass die Albträume in solch stressreichen Lebensphasen gar nichts direkt mit den Belastungen zu tun haben. Woran man oft denkt, ist die Frage ob vielleicht grausame Filme oder Geschichten zu Albträumen führen. Dazu ist zu sagen, dass dies bei Kindern und Jugendlichen auftreten kann, bei Erwachsenen eher selten. Aber selbst dann ist es meistens so, dass die Kinder nicht gleich in derselben Nacht von diesen Monstern oder dieser Horrorgeschichte träumen, sondern oft erst einige Nächte später.
Was sind typische Albtraum-Szenarien?
Typische Albtraum-Szenarien sind Verfolgung durch Menschen, Tiere oder Monster, Fallen ins Bodenlose, das Nichtbestehen von Prüfungen, der eigene Tod oder der Tod von Familienangehörigen, schwere Erkrankungen. Bei Menschen, die ein psychisches oder körperliches Trauma erlebt haben, ist es häufig so, dass sie dieses Trauma immer wieder im Albtraum erleben, also etwa den Verkehrsunfall, den Überfall oder die Vergewaltigung immer wieder träumen. In diesen Fällen, in denen also tatsächlich Vorgefallenes geträumt wird, sprechen wir von posttraumatischen Albträumen.
Wann sind Albträume chronisch – wann ganz normal?
Albträume sind chronisch, wenn man länger als ein halbes Jahr regelmäßig Albträume hat. Normal ist es, wenn man als Erwachsener hin und wieder - etwa alle paar Monate - einmal einen Albtraum hat und auch nicht sonderlich unter diesen Albträumen leidet. Kinder und Jugendliche haben im Allgemeinen viel häufiger Albträume. Bei ihnen ist es auch noch normal, wenn sie über einen Zeitraum von einigen Monaten etwa wöchentlich Albträume haben. Nur wenn die Albträume bei Kindern nicht mehr verschwinden oder mit sehr starken Belastungen einhergehen, ist das nicht mehr normal.
Haben Frauen andere Albträume als Männer?
Zunächst einmal haben mehr Frauen Albträume als Männer, was vermutlich daran liegt, dass Frauen kreativer oder offener sich selbst gegenüber und für neue Erfahrungen sind. Die Albtrauminhalte zwischen Männern und Frauen sind nicht so unterschiedlich. Aber Frauen träumen eher von Versagenssituationen oder Krankheiten, während Männer eher Opfer von Verfolgung sind. Auch dass man im Albtraum selbst zum Täter wird, ist bei Männern etwas häufiger als bei Frauen.
Eine Möglichkeit, Albträumen zu begegnen, ist die Imagery Rehearsal Therapy – kurz IRT. Was heißt das konkret?
IRT heißt konkret, dass man seinen Albtraum verändert, also dass man sich einen neuen Verlauf für den Albtraum ausdenkt, der nicht mehr bedrohlich ist. Man schreibt quasi ein neues Drehbuch für seinen Albtraum. Dieses erfolgt in der Regel zusammen mit einem Therapeuten, der einen dabei unterstützt. Diese neue Traumgeschichte stellt man sich dann immer wieder intensiv vor. Daher der Name "imagery rehearsal", was so viel bedeutet wie "Proben in der Vorstellung". Durch diese wiederholte intensive Vorstellung der neuen Traumgeschichte kommt es dazu, dass der Albtraum "überschrieben" wird, d. h. der neue und nicht bedrohliche Traum setzt sich an die Stelle des Albtraums. Damit werden die Albträume immer weniger. Wenn sie doch noch auftreten, werden sie im Allgemeinen als nicht mehr so bedrohlich und beängstigend empfunden.
Ein neues Drehbuch, das hört sich einfach an. Doch wo finde ich einen Therapeuten, der mich bei der Therapie unterstützt?
Die Therapie ist relativ einfach, und sie macht vor allem viel Spaß und dauert auch nicht lange. In der Regel ist sie in acht Therapiesitzungen abgeschlossen. Die Therapie kann von psychologischen Psychotherapeuten durchgeführt werden. Viele niedergelassene Psychotherapeuten oder Psychotherapeuten in Kliniken kennen das Verfahren bereits oder sie können sich über das Therapiemanual damit vertraut machen.
Eine persönliche Frage zum Schluss: Was für ein Traum hat sie bewogen, sich mit dem Thema näher zu beschäftigen?
Das war ein Traum, in dem mir von hinten in den Rücken geschossen wurde. Ganz genau kann ich mich an den Traum auch nicht mehr erinnern, aber ich weiß noch, dass ich ganz deutlich den Einschuss in meine Wirbelsäule spürte und dann dachte "Jetzt ist es aus, jetzt musst Du sterben". Und dann bin ich vor Schreck aufgewacht. Ich war natürlich zuerst erleichtert, dass es nur ein Traum war, das war mir sofort klar. Aber trotzdem habe ich den Schmerz im Rücken noch weiterhin gespürt und der Traum hat mich wirklich noch den ganzen Tag beschäftigt, weil er so real war und ich sogar den vermeintlichen "Schmerz" von dem Einschuss richtig spüren konnte. Obwohl ich in Wirklichkeit – Gott sei Dank - noch nie einen Schuss verspürt habe und auf mich nie geschossen wurde.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pietrowsky.
Das Interview führte Pia Kollonitsch