Die meisten Menschen kennen die Mistel wahrscheinlich durch eine Weihnachtstradition, bei der man sich unter ihren Zweigen küsst. Doch tatsächlich hat das Präparat aus dem Extrakt der Mistel, das unter die Haut gespritzt wird, seit rund 100 Jahren in Deutschland eine große Tradition in der anthroposophischen Medizin - als Hilfe für Krebspatienten. Seit rund 20 Jahren wird die Misteltherapie medizinisch erforscht - und mindestens genauso lange ist ihre Wirkung gegen den Krebs umstritten. Ein Grund ist der Mangel an Belegen durch gute klinische Studien, also solche an Menschen. Trotzdem verwenden bis zu 80 Prozent der Brustkrebspatientinnen beispielsweise Mistelpräparate im Rahmen ihrer Behandlung. Motiv: Verbesserung der Lebensqualität. Dr. Friedemann Schar, Leiter des Onkologischen Zentrums am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, sieht in der Misteltherapie hohes Potential:
"Viele Menschen leiden - an der Tumorerkrankung selber oder auch an der Therapie, die sie machen müssen, beispielsweise eine Chemotherapie. Und hier hat die Mistel eindeutig und mittlerweile auch von den Daten her gut belegt einen Effekt die Lebensqualität zu verbessern oder die Nebenwirkungen konventioneller – und notwendiger – Therapien zu mildern. Trotzdem ist es auch richtig: Wir brauchen mehr Forschung zum Thema: Nachweis einer Lebensverlängerung."
Anlass zum Glauben an einen lebensverlängernden Effekt gaben mehrere Studien, deren Design aber auch von vielen Befürwortern der Misteltherapie kritisiert wurde. Der Wunsch nach guten klinischen Studien ist deshalb auch nach Jahrzehnten der Forschung groß. Weiter ist die Wissenschaft mit Belegen zur Steigerung der Lebensqualität von Krebspatienten: das betrifft zum Beispiel die krebsassoziierte Fatigue, unter der 60-80 Prozent der Krebspatienten während oder nach einer Chemo- oder Strahlentherapie leiden.
Das Potential der Misteltherapie macht sie für interdisziplinäre Onkologen interessant. Auch in Sachen Immuntherapie: Die Idee dahinter ist, die Fähigkeiten der körpereigenen Abwehr beim Kampf gegen Krebszellen besser zu nutzen. Dass der Mistelextrakt in Laborstudien Immunzellen beeinflusst, ist fürviele Forscher in diesem Zusammenhang interessant. Auch nach 100 Jahren Präparaten ist die Mistel nicht etabliert, es lohne sich aber, sie weiter zu erforschen.