Experteninterviews | Blutverdünner - Marcumar, Pradaxa & Co.
rbb Praxis-Autorin Angelika Wörthmüller sprach mit Prof. Dr. med. Matthias Endres, Neurologe und Direktor der Klinik und Hochschulambulanz für Neurologie an der Charité, sowie Prof. Dr. Hanno Riess, Internist und Stellvertretender Klinikdirektor der Charité, und Dr. Holger J. Gellermann, Medizinischer Direktor bei Boehringer Ingelheim, über die Vor- und Nachteile der neuen und alten Blutverdünnungspräparate.
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Interview mit Dr. Holger J. Gellermann, Medizinischer Direktor, Boehringer Ingelheim
Seit seiner Zulassung 2011 steht Pradaxa in der Kritik. Wie stehen Sie zu den Vorwürfen?
Pradaxa hat bislang schon 130.000 Schlaganfälle verhindert und ist deutlich sicherer als die Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten. Das haben nicht nur unsere Studien gezeigt sondern auch die, die die FDA in Auftrag gegeben hat. Trotz allem kommt es natürlich zu Nebenwirkungen, es kann zu Blutungen kommen. Diese haben wir immer an die Behörden gemeldet. Wir haben auch eine Transparenz-Initiative, die Sie unter www.pradaxa.de sehen können, so dass sie jede Zahl nachlesen können. Wir haben diese Zahlen natürlich mit den Behörden besprochen und die Behörden haben alle Daten geprüft und die Zulassung dann verlängert.
Sie sprechen von einer besseren Wirksamkeit von Pradaxa gegenüber den alten Blutverdünnern. Womit belegen Sie das?
Wir haben für die Rely-Studie, die wir für die Zulassung vorgelegt haben, 18.000 Patienten untersucht. Darin ist eindeutig erkennbar gewesen, dass Pradaxa wirksamer ist als die Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumar oder Warfarin. Es traten mit Pradaxa weniger Schlaganfälle und weniger Hirnblutungen auf. Diese Ergebnisse wurden inzwischen bestätigt. Die FDA, die amerikanische Zulassungsbehörde, hat 134.000 Patienten untersucht, die neu eingestellt wurden, entweder auf den alten Blutverdünner Warfarin oder auf Pradaxa , und konnte die Ergebnisse, die wir in unserer Zulassungsstudie hatten, bestätigen.
Warum gab es Todesfälle unter Pradaxa?
Die alten Vitamin K-Antagonisten führen ebenso wie Pradaxa zu einer Hemmung der Gerinnung. Diese Hemmung der Gerinnung birgt natürlich auch ein hohes Risiko, dass der Patient bluten kann und dass diese Blutungen schwer zu behandeln sind. Wichtig ist, dass das bei Pradaxa und den neuen Antikoagolantien seltener auftritt als bei den alten - das ist der wesentliche Vorteil. Ganz verhindern kann man diese Nebenwirkung wahrscheinlich nicht.
Sprechen Sie nur über Vor- oder auch über Nachteile von Pradaxa gegenüber den alten Blutverdünnern?
Für den Pateinten gibt es wie gesagt schlicht einen Überlebensvorteil. Dazu kommt: Vitamin-K-Antagonisten haben ein sehr lange Halbwertszeit, es dauert mehrere Tage, bis die Hälfte der Substanz abgebaut ist. Bei Pradaxa ist die Halbwertszeit etwa elf Stunden, und das führt zu einer größeren therapeutischen Breite. Damit sind routinemäßige Laborrollen nicht erforderlich. Wichtig ist aber, wie die Packungsbeilage auch sagt, darauf zu achten: wie ist die Nierenfunktion der Patienten, was ist das Alter des Patienten und vor allem: gab es schon einmal Blutungen? Die Nierenfunktion soll vor der Therapie einmal kontrolliert und dann regelmäßig im Laufe der Therapie, etwa einmal im Jahr. Das reicht aus, denn die Nierenfunktion fällt bei einem Pateinten normalerweise nicht rapide schnell ab, sondern nimmt im Alter langsam ab.
Es gibt für Pradaxa noch kein Anti-Dot, also kein Gegenmittel. Warum haben Sie mit der Markteinführung nicht gewartet, bis dieses Mittel entwickelt ist?
Es wäre für mich als behandelnder Arzt unethisch ein solches Präparat, das die Patienten schützt, nicht sofort auf den Markt zu bringen. Hochgerechnet konnten wir bisher durch Pradaxa 130.000 Schlaganfälle verhindern. Die Entwicklung des Antidots haben wir gleichzeitig betrieben. Aber unsere positiven Studienergebnisse haben wir erzielt, ohne dass bislang ein Anti-Dot vorhanden ist. Wir sind aber jetzt in der letzten klinischen Untersuchungsphase des Antidots und wir rechnen Mitte/Ende 2015 damit das Präparat zur Verfügung zu stellen.
Warum haben sie in den USA mit den Klägern einen juristischen Vergleich geschlossen und zahlen ihnen nun 650 Millionen US Dollar?
Das amerikanische Rechtssystem ist anders als das deutsche. In den USA bezahlen Sie Ihren Anwalt auch dann, wenn sie gewinnen. Und bei diesen hohen Kosten - wenn wir jeden einzelnen Fall durchgeklagt hätten, obwohl wir uns sehr sicher waren, dass wir wahrscheinlich jeden Fall gewonnen hätten - war es einfach eine Abwägung: was kostet es an Anwaltskosten und Experten um so ein langes Verfahren durch zu halten? Und es ist sehr klar geworden dass auch dann, wenn wir jeden dieser Fälle gewinnen, die Kosten höher wären als das, was wir jetzt für den Vergleich bezahlt haben. Es ist kein Schuldeingeständnis, sondern genau das Gegenteil. Wir wollten den Patienten, auch in den USA Ruhe, geben vor den zum Teil doch sehr aggressiven Werbeanzeigen, die es im Fernsehen gegeben hat, denn die Anwälte in den USA verdienen 40-60 % der Schadensersatzsumme selbst in ihre eigene Tasche und haben ein hohes Interesse daran, möglichst viele Pharmafirmen zu verklagen.
Könnten regelmäßige Laborkontrollen für alle Patienten die Sicherheit von Pradaxa erhöhen?
Wir haben in der Rely-Studie und auch in der Untersuchung, die die FDA gemacht hat, fest gestellt, dass die Patienten unabhängig von Laborkontrollen unter Pradaxa deutlich weniger Schlaganfälle und schwerwiegende Blutungen erleiden. Das ist ein wichtiger Hinweis um zu sagen: wir brauchen diese Laborkontrollen nicht. Bei weiterer Untersuchung unsere Studiendaten konnten wir zeigen, dass Faktoren wie Nierenfunktion, Alter und frühere Blutungen viel wichtiger sind als eine regelmäßige Messung von egal welchen Laborwerten. Aus diesem Grund haben wir und die Zulassungsbehörden entschieden, dass Pradaxa keine Laborkontrollen braucht, außer unter den in der Fachinformation beschriebenen besonderen Umständen.
In der Fachinformation haben wir die Ärzte darauf hingewiesen, besonders auf die Nierenfunktion, das Alter und die Frage eines erhöhten Blutungsrisikos zu achten.