Interview | Chancen und Risiken von CBD - Cannabidiol, eine unterschätzte Substanz?
Produkte mit dem Inhaltsstoff Cannabidiol (CBD) werden derzeit heftig diskutiert. CBD ist ein Inhaltsstoff der Hanfpflanze, der – anders als Tetrahydrocannabinol, kurz THC - weder berauschend, noch abhängig machend wirkt. Was CBD leisten kann, welche Produkte empfehlenswert sind und wo die Grenzen der Substanz liegen, darüber sprach rbb Praxis mit Dr. Eva Milz, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie aus Berlin.
Cannabidiol werden schmerzlindernde, angstlösende und entzündungshemmende Wirkungen zugeschrieben. Allerdings ist der Markt für CBD-Produkte sehr unübersichtlich. Es gibt Nahrungsergänzungsmittel aus dem Internet oder dem Drogeriemarkt. CBD kann aber auch auf Rezept verschrieben und in der Apotheke angefertigt werden.
Frau Dr. Milz, Sie setzen Cannabidiol seit drei Jahren bei Ihren Patienten ein. Warum schätzen Sie diese Substanz so sehr?
Das CBD spricht ein System an, das weitgehend unbekannt ist und zwar das Endocannabinoid-System, ein körpereigenes System, durch das Stress abgebaut wird. Dieses System wird durch das CBD nochmal mehr aktiviert und befördert. Wir alle haben ein körpereigenes Cannabinoid, das heißt abgekürzt Anandamid. Dieser Stoff erzeugt an den Nervenenden kleine "Glücksfeuerwerke" und die dienen dem Körper dazu, zu entspannen. Der Wirkmechanismus scheint so zu sein, dass das CBD den Abbau von Anandamid verringert. Das heißt, wenn wir regelmäßig CBD einnehmen, haben wir mehr von diesen Endocannabinoiden in unserem Körper und das heißt, wir haben mehr Kapazität um Stress abzubauen.
Was bewirkt das Cannabidiol ganz konkret?
Das CBD ist ein Stoff, der die Nerven stark schützt und er wurde in den USA auch zugelassen für die Behandlung von Epilepsie. Gerade meine Patienten, die stressbedingte Erkrankungen haben, die schlecht schlafen, die ängstlich sind, die sehr angespannt sind, profitieren in hohem Maße davon, dass CBD die Muskeln so gut entspannt. CBD macht sich sehr stark körperlich bemerkbar, wie ein Rückkoppelungsprozess, den die Patienten nutzen können. Das heißt, wenn ich den ganzen Tag muskulär angespannt bin, dann werde ich schneller kraft- und energielos und auch eher ängstlich und depressiv. Wenn ich aber die Muskeln entspanne, dann durchbreche ich diesen Kreislauf und die Patienten haben mehr Kraft zur Verfügung.
Es gibt CBD frei verkäuflich als Nahrungsergänzungsmittel. Worauf sollte man beim Kauf achten?
Da bei diesen Nahrungsergänzungsmitteln oft nicht klar ist, welche Stoffe darin enthalten sind, würde ich anfangs immer dazu raten, ein Produkt auszuprobieren, welches die reine Substanz enthält. Der Arzneistoff Cannabidiol ist seit 2016 verschreibungspflichtig, man bekommt es also nur auf Rezept in der Apotheke. Wem das aber zu teuer ist oder wer keinen Arzt findet, der ihm CBD auf Rezept verschreibt, der kann natürlich auch ein Nahrungsergänzungsmittel ausprobieren. Dabei muss man wissen, dass es derzeit nicht legal ist, solche Nahrungsergänzungsmittel zu kaufen. Das liegt daran, dass seit April 2019 alle CBD-haltigen Produkte zertifiziert werden müssen. Das soll gewährleisten, dass die Produkte keine Schwermetall-Rückstände oder Pestizide enthalten, dass klar ist, wieviel CBD enthalten ist und welche weiteren Inhaltsstoffe. Doch bislang hat noch kein einziges Produkt diese Zertifizierung erworben; wir befinden uns in einer Art Übergangszeit.
Wer dann doch diese CBD-haltigen Nahrungsergänzungsmittel nutzen will, sollte mit einer geringen Dosis anfangen. Wenn diese dann nicht hilft, dann sollte man nicht den Fehler machen und sagen, CBD bringt bei mir nichts, denn man weiß letztendlich nicht, was in dem Produkt drin war. In den Hanfextrakten sind bis zu 200 Inhaltsstoffe drin, die fast alle medizinisch etwas bewirken können.
Weil in letzter Zeit auch immer wieder von Verunreinigungen die Rede war, sollte man beim Kauf von CBD-Produkten zunächst vorsichtig eine kleine Menge probieren. Wenn das schon auf der Zunge brennt oder sehr unangenehm schmeckt, dann ist das kein gutes Zeichen. Andere Inhaltsstoffe, die ja auch nicht unbedingt deklariert sein müssen, können zudem allergische Reaktionen auslösen. Erst wenn die frei verkäuflichen CBD-Produkte alle das Zulassungsverfahren durchlaufen haben, hat man eine gewisse Sicherheit, dass das Produkt nicht verunreinigt ist.
Was ist der Vorteil eines CBD-Produktes aus der Apotheke?
Wenn man reines CBD als Kristall mit Öl mischt, dann weiß man ganz genau, wieviel Milligramm CBD in einem Tropfen enthalten ist. Da gibt es feste Rezepturen mit Anleitungen für die Herstellung nach der so genannten NRF-Vorschrift. In Berlin kenne ich einige Apotheker, die das machen und die sich gut mit der Herstellung von CBD-Produkten auskennen.
Welche Dosierung empfehlen Sie für den Einstieg?
Eine gute Einstiegsdosis ist eine fünfprozentige Lösung, die in einem Tropfen 1,4 Milligramm CBD enthält - wenn sie denn als reine Lösung in der Apotheke hergestellt wurde. Bei den frei verkäuflichen Mitteln, weiß man eben nicht genau, wieviel Cannabidiol enthalten ist. Aber eine fünfprozentige Lösung eignet sich gut, um festzustellen, ob CBD bei jemandem wirkt. Die Dosis-Wirkungsbeziehung von Cannabidiol gleicht einer Gauß‘schen Normalverteilungskurve. Das heißt, die meisten Patienten profitieren von einer mittleren Dosis und man kann keinesfalls immer sagen: viel hilft viel.
Sie sind eine der wenigen Ärzte in Berlin, die CBD verschreiben. Warum beschäftigen sich so wenige Mediziner mit CBD?
Die Einstellung der Patienten auf die richtige Dosis Cannabidiol ist deutlich komplexer als bei sonstigen Arzneimitteln. Ich habe eine junge Angstpatientin, die nimmt nur zwei Tropfen morgens und ich habe einen anderen Patienten, der nimmt 235 Tropfen CBD. Von den Ärzten erfordert die Anwendung von Cannabidiol also eine genaue Beschäftigung mit dem Patienten. Hinzu kommt die Berührungsangst, die bei vielen schon auftritt, wenn sie die Silbe „Cannabi“ hören. Es wird nicht unterschieden zwischen Drogengebrauch, Cannabidiol und Cannabis auf Rezept. Das scheint auch ein Generationenproblem zu sein, denn ich höre von jüngeren Kollegen, dass sie sich sehr wohl einen breiteren Einsatz von CBD wünschen würden.
Welche Nebenwirkungen hat Cannabidiol?
CBD kann in hohen Dosierungen dafür verantwortlich sein, dass der Appetit nachlässt. Ich habe auch schon erlebt, dass sich die Präferenzen für bestimmte Lebensmittel komplett ändern. CBD kann auch den Antrieb verändern, allerdings in beide Richtungen: Bei manchen wird er gesteigert, bei anderen gehemmt. Man muss zudem wissen, dass es zu Wechselwirkungen zwischen CBD und anderen Medikamenten kommen kann, weil beides in der Leber verstoffwechselt wird. CBD hemmt ein bestimmtes Abbauenzym in der Leber und deshalb müssen mache Medikamente niedriger dosiert werden. Aufpassen müssen daher vor allem Patienten, die die Gerinnungshemmer Falithrom und Marcumar einnehmen, ebenso wie MAO-Hemmer, die gegen Depressionen eingesetzt werden und auch bestimmte Antiepileptika.
Gibt es Fälle, in denen CBD von der Krankenkasse gezahlt wird?
Ja und Nein. Cannabidiol ist auch in einem Fertigarzneimittel und in den seit März 2017 verkehrsfähigen Cannabisblüten und -extrakten enthalten, also in Medikamenten, die einen Betäubungsmittelstatus haben. Eine CBD-Rezeptur kann aber auf einem gewöhnlichen Rezept verordnet werden. Aktuell müssen diejenigen Patienten, die kein THC benötigen, die Kosten für Cannabidiol noch selbst tragen. Es gibt auch immer wieder Einzelfallentscheidungen, hauptsächlich bei privaten Kassen. Wenn ich das Cannabidiol selbst bezahle, muss ich im Durchschnitt mit 60 bis 100 Euro pro Monat rechnen, je nach Dosis.
Was für ein Potenzial hat CBD in Zukunft aus Ihrer Sicht?
Ich sehe in meiner Praxis ja viele Patienten, die es nicht schaffen, Stress abzubauen und die dann zu Alkohol, Beruhigungsmitteln und sogar Opiaten greifen. Ich habe viele Patienten, die es durch CBD geschafft haben, vom Alkohol wegzukommen. Die haben gemerkt, dass durch CBD gar nicht so viel Anspannung entsteht, die sie sonst immer mit Alkohol abgebaut haben. Ich würde mir sehr wünschen, dass bei viel mehr Patienten mit stressbedingten Erkrankungen zunächst CBD eingesetzt wird. Ich glaube, dass so vielen erspart würde, zum Beispiel von Beruhigungsmitteln aus der Gruppe der Benzodiazepine abhängig zu werden. Man hat auch festgestellt, dass CBD bei Schlaganfallpatienten den Untergang von Nervenzellen eingrenzen kann, hier also einen schützenden Effekt hat. Und ich glaube, da besteht auch bei anderen Nervenerkrankungen noch ein präventives Potenzial.
Wie wird in anderen Ländern mit CBD umgegangen?
Vorreiter sind hier Kanada, Teile der USA, Australien und Israel, weil dort auch aktiver mit Cannabis gearbeitet wird. Es gibt eine Gruppe von Ärzten, der ich auch angehöre, die sich international austauscht. Da geht es immer wieder darum, wie und in welchen Dosierungen und bei welchen Erkrankungen wir das CBD besser nutzen können. Der Schritt in die Allgemeinheit fehlt uns bislang aber noch.
Vielen Dank für das Gespräch, Dr. Eva Milz!
Das Interview führte Ursula Stamm.