Infos und Hintergründe - Organspende - das Ende der Talfahrt?
Nach den Organspende-Skandalen der letzten Jahre steigt die Spenderbereitschaft der Deutschen wieder langsam an. Dazu haben möglicherweise auch Änderungen des Transplantationsgesetzes von 2012 und 2013 beigetragen, die Missbrauch verhindern sollen. rbb Praxis über Hintergründe und Fakten zur Organspende.
Die Organspende in Zahlen
Der Bruch in der Spendenfreudigkeit war 2011. Während damals noch 343 Organe im ersten Jahresquartal gespendet wurden, waren es 2012 nur noch 275, Tendenz fallend. Erst langsam erholt sich die Öffentlichkeit wieder von den schlechten Nachrichten über Skandale bei der Organvergabe. Im ersten Quartal 2015 wurden immerhin schon wieder 242 Organe gespendet. Auch die Einstellung der Deutschen zur Organspende ist wieder deutlich positiver, wie eine bundesweite Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter rund 4.000 Bürgern in 2014 gezeigt hat. 35 Prozent der Befragten hatten 2014 einen Organspende-Ausweis in der Tasche, ein Jahr zuvor waren es nur 28 Prozent. 80 Prozent der Befragten stehen einer Organspende positiv gegenüber. 71 Prozent sind grundsätzlich damit einverstanden, dass man ihnen nach dem Tod Organe und Gewebe entnimmt. 2013 waren es drei Prozent weniger. Dennoch reicht die Zahl der Organspenden bei weitem nicht aus: Rund 10.000 Organe, sprich Herz, Nieren, Lunge, Leber, Bauchspeicheldrüse und Darm werden jedes Jahr benötigt. Nach Angaben der Vergabestelle Eurotransplant warten fast 8.000 Menschen auf eine neue Niere, 1.300 auf eine neue Leber und 850 auf ein neues Herz.
Transplantation gesetzlich geregelt
In Deutschland ist die Organspende durch das Transplantationsgesetz geregelt. Hierzulande gilt die sogenannte erweiterte Zustimmungslösung für die Entnahme von Organen. Das heißt: Jeder, der für eine Organentnahme infrage kommt, muss seine Zustimmung zu Lebzeiten gegeben haben oder seine Angehörigen äußern sich nach seinem Tod dazu ("erweiterte Zustimmungslösung"). Seine Einstellung zur Organspende kann jeder mit Hilfe des Organspende-Ausweises kundtun oder auch in einem Patiententestament niederlegen. Liegt keine solche schriftliche Willenserklärung vor, wird der Arzt die Angehörigen nach dem "mutmaßlichen Willen" des Verstorbenen fragen. Letztlich entscheidet aber der Arzt, die Angehörigen müssen keine Verantwortung für oder gegen eine Organspende übernehmen. In anderen Ländern wie etwa Spanien, Frankreich und Italien ist die Organentnahme mit der sogenannten Widerspruchslösung geregelt. Das bedeutet, dass jeder nach seinem Tod zum Organspender werden kann, wenn er dem nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat. Die Einführung dieser Widerspruchslösung in Deutschland ist derzeit nicht zu erwarten.
Das seit 1997 geltende Transplantationsgesetz wurde 2012 und noch einmal 2013 geändert. 2012 wurde die so genannte Entscheidungslösung eingeführt. Im Gesetzestext heißt es: "Jede Bürgerin und jeder Bürger soll die eigene Bereitschaft zur Organ- und Gewebespende prüfen. Um eine informierte und unabhängige Entscheidung zu ermöglichen, sieht das Gesetz eine breite Aufklärung der Bevölkerung zu den Möglichkeiten der Organ- und Gewebespende vor." Eine Entscheidung wird gewünscht, ist aber nicht verpflichtend; deshalb sprechen manche Kritiker von einer "abgespeckten Entscheidungslösung". Die Krankenkassen schicken seither alle zwei Jahre ihren Versicherten einen Organspende-Ausweis zu, mit der Aufforderung, sich für oder gegen eine Organspende auszusprechen.
Eine weitere Neuerung des Transplantationsgesetzes von 2012 betrifft die Einführung sogenannter Transplantationsbeauftragter. Sie sollen dafür sorgen, dass in den Entnahmekrankenhäusern alles seinen gesetzlich geregelten Gang geht. Außerdem informieren sie Ärzte und Pflegepersonal zur Organspende. Im Sommer 2013 wurde das Transplantationsgesetz noch einmal verändert. Ärzte, die Manipulationen an Wartelisten für ein Spenderorgan vornehmen oder bewusst gegen Richtlinien verstoßen, können künftig mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren belangt werden. Außerdem muss die Bundesärztekammer, die für die Richtlinien, nach denen Organe vergeben werden, zuständig ist, genau diese dem Bundesgesundheitsministerium zur Genehmigung vorlegen. Damit soll eine staatliche Rechtsaufsicht über die Vergabe-Richtlinien sichergestellt werden. Vor wenigen Wochen wurde der in den Göttinger Organspende-Skandal von 2012 verwickelte Arzt Aiman O., frei gesprochen. Das war unter anderem nur deshalb möglich, weil die entscheidende Novelle des Transplantationsgesetzes, welche Manipulationen an Wartelisten unter Strafe stellt, erst 2013 in Kraft getreten ist.
Hirntod - irreparable Schäden
In Deutschland dürfen Organe nur dann entnommen werden, wenn zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod eines Menschen festgestellt haben. Diese Ärzte dürfen weder an dem Entnahme- noch an dem Vergabeverfahren der Organe beteiligt sein. Vom "Hirntod" spricht man, wenn Groß- und Kleinhirn sowie der Hirnstamm irreparabel zerstört sind. Man spricht dann vom Gesamthirntod. Damit verbunden ist der Verlust jedweder Wahrnehmung, des Denkens, der Steuerung der Atmung und der zentralen Steuerungsfähigkeit aller Körperfunktionen. Das alles kann geschehen, auch wenn ein Mensch künstlich beatmet und sein Herz durch Maschinen am Schlagen gehalten wird. Das Gehirn ist dann etwa durch ein Schädelhirn-Trauma oder eine Hirnblutung so stark geschädigt, dass es von der Durchblutung abgekoppelt ist. Seine Zellen zerfallen, auch wenn der übrige Körper noch künstlich durchblutet wird. Dieser nur scheinbare Widerspruch ist sicher mit ein Grund, warum der Hirntod als Kriterium für eine Organspende von manchen angezweifelt wird. Er ist aber nach wie vor DAS Kriterium für die Feststellung des Todes eines Menschen.
Der Hirntod muss auch deutlich vom "tiefen Koma" unterschieden werden, welches ein Zustand tiefer Bewusstlosigkeit ist, aus der der Betroffene nicht erweckbar ist. Ein Wiedererwachen aus diesem Koma ist allerdings möglich und die Hirnfunktionen des Betroffenen sind teilweise erhalten und mittels EEG auch nachweisbar. In den allermeisten Fällen sterben Menschen allerdings nicht den Hirntod, sondern haben einen Herz-Kreislaufstillstand – dann kommen sie als Organspender nicht infrage. In deutschen Krankenhäusern sterben jährlich rund 400.000 Menschen, doch nur bei etwa einem Prozent, also 4.000 Verstorbenen, tritt der Hirntod vor dem Herzstillstand ein.
Ablauf der Organspende
Wurde der Hirntod von zwei unabhängigen Ärzten bestätigt und liegt das Einverständnis zur Organspende vor, kann die Entnahme der Organe in die Wege geleitet werden. Hierfür ist seit 2000 die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) zuständig. Sie koordiniert alle am Prozess der Organentnahme Beteiligten: Angehörige, Intensivmediziner, Pflegepersonal, Eilkuriere, Transplantationschirurgen und nicht zuletzt die Vergabestelle für Organe – Eurotransplant. Entnahme und Vergabe von Organen sind in Deutschland organisatorisch getrennt. Die DSO ist für die Entnahme, Eurotransplant für die Vergabe von Organen zuständig. Eurotransplant, mit Sitz im holländischen Leiden, arbeitet länderübergreifend - neben Deutschland auch noch für Belgien, Holland, Luxemburg, Österreich, Slowenien und Kroatien.
Nicht alle Krankenhäuser dürfen Organe entnehmen, sondern nur spezielle Entnahmekrankenhäuser, welche die räumlichen und personellen Voraussetzungen für eine Organentnahme vorweisen können. In Deutschland sind das rund 1.350 Entnahmekrankenhäuser. Transplantiert werden dürfen Organe nur in den ca. 50 speziellen Transplantationszentren Deutschlands. Steht kein geeigneter Chirurg für die Organentnahme zur Verfügung oder ist kein zweiter Arzt für die Feststellung des Hirntodes vor Ort, kann von der DSO qualifiziertes Personal vermittelt werden. Der Koordinator der DSO veranlasst auch die notwendigen Laboruntersuchungen. Mit ihnen werden Blutgruppe und Gewebemerkmale des Spenders ermittelt, sowie gefährliche Infektionen ausgeschlossen. Die entnommenen Organe werden konserviert und dann zum entsprechenden Transplantationszentrum gebracht, wo der Empfänger schon auf die Operation vorbereitet worden ist. Nach der Transplantation informiert der Koordinator der DSO die Angehörigen des Spenders über den Verlauf der Transplantation, unter Wahrung der Anonymität des Empfängers. Der Spender wird nach der Organentnahme aufgebahrt und kann dann von den Angehörigen beerdigt werden.
Organspende-Ausweis - jeder kann selbst entscheiden
Die Krankenkassen schicken ihren Versicherten alle zwei Jahre einen Organspende-Ausweis. Man kann ihn aber auch im Internet oder bei seinem Hausarzt bekommen. Auf dem Ausweis sind fünf Wahlmöglichkeiten aufgeführt: Man kann generell einer Organ- und Gewebespende zustimmen, sie komplett ausschließen, nur bestimmte Organe spenden oder bestimmte Organe von der Spende ausschließen. Oder man kann die Entscheidung auf eine Person seines Vertrauens übertragen. Seine Bereitschaft zur Organspende kann man ab dem 16. Lebensjahr kundtun, seinen Widerspruch ab dem 14. Lebensjahr. Der im Organspende-Ausweis dokumentierte Wille kann jederzeit verändert werden, indem man den alten Ausweis vernichtet und seine geänderte Einstellung in einem neuen Ausweis festhält.
Wenn kein Spenderorgan eines Verstorbenen: Lebendorganspende
Neben der Entnahme von Organen nach dem Tod eines Menschen, können bestimmte Organe wie Nieren oder Teile der Leber auch von Lebenden gespendet werden. Der Spender muss in diesem Fall volljährig sein und nach einer gründlichen Aufklärung seine Einwilligung gegeben haben. Zudem muss der Lebendspender gesund sein und er darf sein Organ nur dann spenden, wenn zu dem jeweiligen Zeitpunkt kein Spenderorgan eines Verstorbenen zur Verfügung steht. Als Empfänger kommen Verwandte ersten und zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte sowie dem Spender nahestehende Personen infrage. Eine Kommission überwacht dieses Verfahren, um den Handel mit Organen, welcher in Deutschland strafbar ist, zu unterbinden.