Mann greift sich an die Brust (Bild: Colourbox)
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Angst vor Entladung des Defibrillators - Herz-Taktgeber mit Risiko?

Herzschrittmacher und implantierte Defibrillatoren sollen eigentlich Leben retten. Manche Patienten fühlen sich mit allerdings schlechter als ohne: weil sie sich der Technik ausgeliefert fühlen oder sie sich vor einer Entladung ängstigen. rbb Praxis hat mit PD Dr. Cora Weber gesprochen, wie man diesen Patienten helfen kann. Die Ärztin leitet die Abteilung Psychosomatik an der Park-Klinik Sophie Charlotte in Berlin-Charlottenburg.

Frau Dr. Weber, viele Patienten fühlen sich durch einen Herzschrittmacher oder Defibrillator stark belastet. Was genau stört sie und warum?

Die Patienten haben das Gefühl, dass der Herzschrittmacher – ein Fremdkörper, der den Herzrhythmus bestimmt – ihr Leben kontrolliert. Sie fühlen sich der Maschine ausgeliefert, weil sie der Technik nicht mehr entrinnen können. Es belastet sie sehr, dass sie nicht mehr selbstbestimmt leben können.

Andere Patienten entwickeln starke Ängste und sogar Depressionen. Wie kommt das?

Die Patienten ängstigen sich vor der unkontrollierbaren Entladung, ein Stromschock, der als sehr schmerzhaft und dramatisch empfunden wird und den sie als massiven Eingriff in ihre persönliche Körpersphäre erleben. Da diese Entladung unvorhersehbar ist, die Patienten also nicht wissen, wann es dazu kommt, sind sie ständig angespannt. Das mündet in Dauerstress, Ängste und teilweise Panikattacken. Um zu verhindern, dass eine Entladung eintritt, fahren viele ihre Aktivitäten zurück und schränken sich im Alltag ein. Die Lebensqualität nimmt dadurch rapide ab.

Wie viele Menschen mit Defibrillator und Herzschrittmacher fühlen sich davon gestört?

Studien zufolge hat etwa ein Drittel der Patienten Probleme damit. Die häufigsten Bedenken haben wir schon angesprochen, also Furcht vor der Entladung und das Abhängigkeitsgefühl vom Gerät. Die Patienten befürchten aber auch körperliche Missempfindungen und eine eingeschränkte Lebensqualität. Die häufigsten psychosomatischen Störungen, die sich daraus entwickeln, sind Ängste und Panikstörungen.

Offenbar entwickeln nicht alle Patienten psychische Probleme. Wer ist besonders gefährdet?

Das sind vor allem Patienten, die schon vor der Herzerkrankung ein weniger robustes Nervenkostüm hatten und insbesondere auch diejenigen, die in der Vergangenheit schon mal unter psychischen Krisen gelitten haben. Eine weitere Risikogruppe sind die Patienten, die bereits mehrfach Schockereignisse erlebt haben. Gefährdet sind aber auch jene Patienten, die nicht gut über ihre Herzerkrankung informiert sind und ihre Krankheit verdrängen.

Wie kann man diesen Patienten helfen?

Wir müssen die Patienten vor allem über die Grunderkrankung des Herzens und die Konsequenzen für Körper, Beruf und Privatleben aufklären. In diesem Rahmen sprechen wir mit ihnen auch über den Schrittmacher oder Defibrillator. Wenn ich als Patient über die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit dieser Geräte Bescheid weiß, fühle ich mich ihnen auch weniger ausgeliefert. Information schafft Sicherheit. Und wir müssen den Patienten klar machen, wie wichtig es ist, dass sie regelmäßig zu Nachuntersuchungen ihrer Herzfunktion wie zum EKG gehen und dass sie auch das Gerät regelmäßig von darauf spezialisierten Kardiologen warten lassen. Auch das gibt Sicherheit. Außerdem bieten wir als Psychosomatiker eine begleitende Kurzzeittherapie mit 10 bis 15 Gesprächen an. Das kann der Kardiologe zeitlich natürlich nicht abdecken. 

Die psychischen Probleme sind also bekannt. Wie gehen Ärzte den Patienten gegenüber damit um?

Hier hat sich in den letzten Jahren viel getan. Die kardiologischen Kollegen haben ein zunehmendes Problembewusstsein. Hierzu haben sicherlich auch Studien beigetragen, die zeigen, dass Depressionen und Ängste unabhängige Risikofaktoren für die Entstehung von Herzinfarkt bzw. die Prognose von Erkrankungen der Herzkranzgefäße sind. Wir stehen also mit vielen Kardiologen in engem Kontakt.

Es wäre sicherlich sinnvoll, die psychisch besonders gefährdeten Patienten mit einem Fragebogen oder aufgrund ihrer Anamnese frühzeitig herauszufiltern, um ihnen ein speziell auf ihre Bedürfnisse abgestimmtes Hilfsangebot offerieren zu können. Allerdings mangelt es gerade in ländlichen Regionen noch an guten Versorgungsstrukturen. Hier in Berlin und anderen großen Städten gibt es speziell ausgebildete Psychokardiologen, Ärzte also, die sich mit der Behandlung psychischer Störungen von Herzpatienten gut auskennen. In Brandenburg beispielsweise ist die psychotherapeutisch-ärztliche Versorgungssituation nicht so gut.  

Können denn die Angehörigen irgendwie helfen?

Zunächst einmal muss klar sein, dass der soziale Rückzug und das Verringern von Aktivitäten nicht nur Folge der Herzerkrankung sind, sondern auch von Ängsten und Depressionen herrühren kann. Auch die Angehörigen müssen darüber aufgeklärt werden, damit sie den Teufelskreis einer Angststörung oder einer Depression nicht aufrechterhalten.

Und was können die Patienten selbst tun?

Die Patienten sollten ein möglichst normales Leben führen. Dazu gehört es, sich nicht länger als Opfer und der Situation völlig hilflos ausgeliefert zu sehen. Sie sollten sich aktiv mit ihrer Krankheit und den gesundheitlichen Folgen auseinandersetzen, auch im ärztlichen Gespräch, um darüber unbegründete Ängste abzubauen. Vielen hilft es, mit Gleichgesinnten zusammen zu sein. Dafür eignet sich beispielsweise eine Herzsportgruppe, in der die Betroffenen gemeinsam und unter professioneller Aufsicht Sport treiben und damit wieder Vertrauen in ihre eigene körperliche Belastbarkeit gewinnen. 

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Dr. Weber.

Das Interview führte Constanze Löffler. 

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3D Herz in menschlicher Brust (Bild: Colourbox)
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