rbb PRAXIS Interview -
Brustkrebs ist die häufigste Krebserkrankung der Frau: Jedes Jahr erkranken 72.000 Patientinnen neu daran. Mit ihnen leiden auch ihre Partner. An der TU Braunschweig hat man ein Kurztraining für betroffene Paare entwickelt. Wie dieses Training den Menschen helfen kann, darüber hat rbb Praxis online mit Franziska Kopsch gesprochen. Die Psychologin betreut die Studie, welche die Wirksamkeit des Trainings untersucht.
Wie entstand die Idee zum Projekt "Seite an Seite"?
Seit den 1990er Jahren hat sich die junge Disziplin der Psychoonkologie zunehmend entwickelt. Es ist die Lehre der Psychologie, die sich mit den Folgen und Begleiterschei-nungen von Krebserkrankungen beschäftigt. Denn es hat sich deutlich gezeigt, dass Krebskranke spezielle Unterstützung bei diesem für sie einschneidenden Lebensereignis brauchen. Da wir uns in unserem Institut vor allem für die Beziehung zwischen Men-schen interessieren, lag es nahe, ein entsprechendes Training für Paare zu entwickeln.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Vorbild war ein bewährtes und wirksames Training aus Australien. Die Studie zu "Cancope" (englisch: Ich kann es bewältigen.) wurde nach der Jahrtausendwende von der Ar-beitsgruppe um Kim Halford, University of Queensland publiziert. Zunächst haben wir "Cancope" auch bei unseren Patienten in Braunschweig angewendet. Nachdem wir erste praktische Erfahrungen damit gesammelt hatten, wurde daraus „Seite an Seite“.
Warum sind Ihre Zielgruppe gerade Frauen mit Brustkrebs und deren Partner?
Zum einen ist Brustkrebs die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Das heißt, es gibt einen großen Betreuungsbedarf. Zum anderen verändert dieser Krebs das Körperbild der Frauen wie kaum eine andere Erkrankung; er geht beispielsweise einher mit Brustamputation und mit Libidoverlust durch die Hormontherapie. Das macht nicht nur der Frau schwer zu schaffen, sondern verändert auch die Paarbeziehung.
Warum eine Paartherapie – benötigt denn auch der Partner Unterstützung?
Der Partner ist bei einer Krebserkrankung besonders gefragt. Vor allem in der ersten Phase nach der Diagnose und während der Therapie übernimmt er alle möglichen Aufgaben, ist mehrfach belastet: Er sorgt für die Partnerin, kümmert sich um Haushalt und Kinder und muss arbeiten gehen. Hinter dem Paar-Training steht aber auch die Idee, dass der Mensch nicht ein einzelnes Individuum ist, sondern jemand, der mit vielen anderen Menschen in Beziehung steht: Partner, Kindern, Eltern. Er ist also Teil eines Systems – das ebenfalls Unterstützung bedarf.
Welche Probleme treten bei Paaren auf, bei denen ein Partner an Krebs erkrankt ist?
Viele Probleme entstehen erst, wenn die eigentliche Krebsbehandlung abgeschlossen ist und es darum geht, den Alltag miteinander zu organisieren. Erfahrungsgemäß führt die Krebserkrankung dazu, dass die Patientinnen ihren früheren Lebensentwurf überdenken – und nicht unbedingt in ihre alten Rollen zurückkehren möchten. Die Männer hin-gegen sind froh, dass endlich wieder alles in alten Bahnen läuft, die Frau ihre früheren Aufgaben übernimmt und sie mal wieder Zeit für sich haben. Diese Diskrepanz birgt viel Konfliktpotenzial.
Wie können Sie den Paaren helfen?
Oft genügt es schon, dass die Paare zu den mit uns vereinbarten Terminen miteinander reden. Im Alltag bleibt dazu häufig keine Zeit. Außerdem bieten wir einen geschützten Rahmen, in dem es leichter fällt, sich über sensible Themen wie die gemeinsame Sexualität auszutauschen.
Wie läuft das Training "Seite an Seite" genau ab?
Das Training besteht aus vier Doppelstunden. Jede Doppelstunde hat ein eigenes Thema, beispielsweise bespricht das Paar bei einem Termin, wie die Erfahrungen im Umgang mit der Erkrankung sie für ihr weiteres Leben stärken. Abgesehen davon bleibt bei je-dem Termin auch genug Zeit, selbstgewählte Themen zu besprechen. Und wir halten auch über die Zeit des Trainings hinaus mit den Paaren per Brief, Telefon und über per-sönliche Treffen Kontakt.
Ihr Training setzt erst nach der Akuttherapie ein. Warum?
Es hat sich gezeigt, dass die Paare in der ersten Zeit so sehr miteinander und mit der Erkrankung beschäftigt sind, dass Konflikte noch nicht sichtbar werden. Außerdem sind die Frauen durch die Therapie zeitlich stark eingebunden; zusätzlich dann noch das Training zu absolvieren, wird ihnen oft zu viel.
Derzeit untersuchen Sie, wie wirksam "Seite an Seite" ist. Gibt es erste Zwischenergebnisse?
Wir vergleichen in der Studie die Ergebnisse von Paaren, die direkt am Ende der Be-handlung mit dem Training beginnen, mit solchen, die noch sechs Monate darauf warten müssen. In dieser Zeit wird ihnen eine Entspannungstherapie angeboten. Erste Ergeb-nisse beziehen sich auf die Partnerschaftszufriedenheit: Die stieg durch das sofortige Training bei den Patientinnen stark, bei ihren Partnern leicht an. Ein weiterer Punkt, den wir untersucht haben, ist die Progredienzangst, die Angst also, die Patientin und Partner davor haben, dass die Erkrankung fortschreitet oder wiederkehrt. Nach dem Training sank diese Angst.
Ist das Training nur für Paare aus dem Raum Braunschweig gedacht?
Natürlich vereinfacht die räumliche Nähe zur TU Braunschweig dem Paar die Teilnahme am Training. Aber unsere Trainer sind sehr flexibel bei der Terminvergabe, so dass das Angebot allen Paaren bundesweit offen steht. Dank der Unterstützung durch die Wil-helm-Sander-Stiftung ist es übrigens kostenfrei.
Ihr Programm ist das einzige wissenschaftlich betreute Training in der Bundesrepublik. Wo können sich Paare ansonsten helfen lassen?
Ich empfehle ihnen, sich zunächst an die Krebsberatungsstelle des jeweiligen Bundes-landes wenden. Auch in den Familienberatungsstellen, die von Stadt, Kirche oder freien Trägern angeboten werden, wird entsprechende Hilfe angeboten. Die meisten dieser Angebote sind kostenfrei, gegen eine Spende erhältlich oder einkommensabhängig. Eine Paartherapie bei einem niedergelassenen Psychologen oder Psychotherapeuten ist relativ teuer. Je nach Wohnort und Therapeut müssen die Paare mit 100 bis 200 Euro pro Sitzung rechnen.