Interview | Behandlung bei Krebs - Immuntherapie – mit neuen Strategien gegen Krebs
Für Krebspatienten gibt es inzwischen viele neue Therapiemöglichkeiten, die immer mehr Krebspatienten überleben lassen: zum Beispiel die Immuntherapie, bei der der Körper selbst die Krebszellen bekämpft. Prof. Dr. Ulrich Keilholz arbeitet und forscht seit über 30 Jahren in der Krebsmedizin. In der Präzisierung der Krebstherapie liegt ihm nach die Zukunft.
Herr Professor Keilholz, wie kommt es überhaupt dazu, dass das Immunsystem vor dem Krebs "in die Knie" geht?
Krebszellen haben ganz unterschiedliche Strategien, sich dem Immunsystem zu entziehen. Die Grundprinzipien sind, dass sie sich entweder verstecken, indem sie Merkmale nicht auf der Oberfläche zeigen, die in der Zelle drin sind. Erst durch das zur Schau stellen dieser Merkmale können Immunzellen ja überhaupt gegen "Feinde" des Körpers, wie auch Viren und Bakterien vorgehen. Fehlen diese Merkmale, kann das Immunsystem sie nicht erkennen. Oder Krebszellen verhindern dass die Immunzellen aktiv werden, indem sie Botenstoffe ausschütten, die die Immunzellen lahm legen. Hinzu kommt, dass gerade die Tumoren, die relativ langsam wachsen, sich nicht sehr von gesunden Körperzellen unterscheiden und das Immunsystem gar keinen Anlass sieht, gegen sie vorzugehen.
Mit welchen Strategien versucht nun die Immuntherapie den "Tricks" der Krebszellen zu entgehen?
Wenn wir wissen, wie der Tumor sich dem Immunsystem entzieht, dann können wir versuchen, dagegen vorzugehen. Da gibt es zum einen neue Medikamente, die sogenannten Checkpoint Inhibitoren. Die setzen an der Stelle an, wo die Krebszelle die Aktivität der Immunzellen ausbremst und das ist der sogenannte Checkpoint. Das Medikament enthält Antikörper, die die Blockade des Checkpoints aufheben und letztlich den Immunzellen erlauben, wieder aktiv zu werden. Das kann man kombinieren mit Substanzen, die dem Immunsystem überhaupt erlauben, in das Tumorgewebe herein zu gehen. Wenn aber das Immunsystem die Tumorzellen gar nicht als fremd erkennt, dann muss man andere Dinge machen. Da gibt es zum Beispiel die Möglichkeit der Tumorimpfung oder die Maximalvariante, dass man die Immunzellen selber genetisch verändert. Bei dieser sogenannten CAR (chimäre Antigenrezeptoren)-T-Zelltherapie werden Immunzellen des Patienten gewonnen, im Labor vermehrt und gentechnisch verändert. Sie tragen dann einen Rezeptor auf ihrer Oberfläche, der in der Lage ist, ein Antigen auf den Tumorzellen zu erkennen und diese zu attackieren. Die Tumorimpfung war einer der ersten Ansätze der Immuntherapie bei Krebs und man kann sagen, dass sie in der Lage ist, ein bis zwei Prozent der Immunzellen wieder "scharf" zu machen. Bei der CAR-T-Zelltherapie sind das aber 30 bis 40 Prozent der Immunzellen und das ist eine ganz andere Kraft, die da frei gesetzt wird.
Wie erfolgreich sind diese neuen Immuntherapien? Und wie sehr sind sie schon in der Praxis angekommen?
Man muss sagen, dass zum Beispiel die CAR-T-Zelltherapie in Deutschland noch gar nicht zugelassen ist. Sie wird bislang nur im Rahmen klinischer Studien angewendet. Von den Checkpoint-Inhibitoren kommen zunehmend mehr Medikamente auf den Markt, Ende September ist gerade erst wieder ein Präparat zugelassen worden. Da schauen wir auf Behandlungszeiten von etwa zwei Jahren. Es gibt Tumorerkrankungen, da wirkt die Immuntherapie recht gut, wie das Melanom; da sprechen inzwischen 60 bis 70 Prozent der Patienten an. Bei den meisten klassischen Tumoren wie Kopf- und Halskarzinomen, Lungenkarzinom, Blasenkarzinom und Magenkarzinom ist es so, dass ungefähr 20 Prozent der Patienten ansprechen. Bei weiteren zehn bis fünfzehn Prozent, kann man die Erkrankung stabilisieren. Das heißt, es profitieren etwa ein Drittel bis 40 Prozent der Patienten von einer alleinigen Checkpoint Therapie. Das versuchen wir jetzt auf sechzig, siebzig Prozent durch die Kombinationen mehrerer Medikamente zu steigern. Und auch durch die Kombination von etablierten Krebstherapien wie Chemo- und Strahlentherapie mit der Immuntherapie.
Was sind die Nebenwirkungen der neuen Immuntherapien?
Bei Tumorimpfungen sind das ja eher schwache Immunstimulationen, da gibt es ganz wenig Nebenwirkungen, aber es passiert auch wenig an Wirkung. Wenn wir das Maximum nehmen, die CAR-T-Zelltherapie, wo wir das Immunsystem wirklich als Armee gegen den Tumor verändern, dann passiert relativ viel, da gibt es schwere Allgemeinsymptome, wie Fieber, Kreislaufstörungen, Flüssigkeitsveränderungen im Körper, Das lässt sich gut beherrschen, erfordert aber auf jeden Fall einen stationären Krankenhausausaufenthalt, teilweise sogar Intensivüberwachung über einige Stunden oder wenige Tage. Die Checkpoint-Inhibitoren sind anders, wenn man so eine Infusion gibt, passiert erst mal gar nichts. Das Immunsystem wird ja erst langsam in die Lage versetzt, gegen Ziele zu arbeiten, die es vorher nicht gekannt hat. Dann können aber nach einigen Wochen Durchfall auftreten oder Atemnot oder Störungen von Hormondrüsen. Das erfordert eine Überwachung, geht aber meist ambulant. Wenn die Nebenwirkungen aber stärker werden, muss man in ein Krankenhaus gehen, das sich mit der Immuntherapie auskennt und das diese Nebenwirkungen auch frühzeitig erkennt und behandelt. Denn das Immunsystem kann sich auch gegen körpereigene Strukturen richten und das muss man verhindern.
Was kosten die neuen Immuntherapien?
Die Größenordnung einer Checkpoint Immuntherapie liegt im Moment pro Patient so um die 80.000 bis 100.000 Euro pro Jahr. Viele Patienten werden kürzer behandelt, manche länger. Die CAR-T-Zelltherapie ist nochmal deutlich teurer, einen endgültigen Preis für Deutschland kenne ich bisher noch nicht. In den USA wird ein hoher Preis verlangt, aber das liegt daran, dass das eine einmalige Therapie ist, die eine Intensivüberwachung erfordert. Die CAR-T-Zelltherapie lässt sich in Zukunft sicher auch günstiger anbieten, wenn sie im großen Stil angewendet wird, im Moment sind das nur kleine Patientengruppen und da ist der Aufwand relativ hoch. Zunächst sind diese Immuntherapien nur in wenigen Spezialfällen zur Anwendung gekommen. Wenn diese Therapien nun für immer mehr Krebserkrankungen anwendbar sind, dann muss man anfangen, über den Preis zu reden, weil unsere Gesundheitssysteme sonst über Gebühr belastet werden. Diese Diskussionen finden gerade statt, und mit denen werden wir uns die nächsten fünf Jahre noch beschäftigen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Krebstherapie?
Die Zukunft der Krebstherapie wird sehr viel präziser sein. Wir werden sehr viel mehr Diagnostik machen, dass wir nicht nur schauen, was für ein Tumor liegt vor, sondern auch, warum liegt dieser Tumor vor und wie interagieren die Tumorzellen mit den Immunzellen. Daraus ergeben sich die Möglichkeiten zielgerichteter Therapien, Immuntherapien alleine oder im Kontext mit den klassischen Behandlungsverfahren wie Chemo- und Strahlentherapie. Neben der Immuntherapie gibt es ja auch noch den gesamten Bereich der personalisierten Krebsmedizin. Tumoren, die wenige Mutationen aufweisen, sind mit der Immuntherapie schwer zu behandeln. Aber hier greifen Medikamente, die spezifisch für bestimmte Genmutationen von Tumoren hergestellt werden. In Kombination mit diesen personalisierten Therapien können wir, hoffentlich, immer mehr Menschen helfen, den Krebs zu überleben und eine gute Lebensqualität zu erlangen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Keilholz.
Das Interview führte Ursula Stamm