Frau mit Glas Milch in der Hand greift sich an schmerzenden Bauch (Bild: Colourbox)
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Interview - Grummeln im Bauch: Nahrungsmittel Unverträglichkeiten

Laktose, Glutenunverträglichkeit, Nahrungsmittelallergie: Wann stecken hinter Beschwerden wie Bauchschmerzen Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten?

Vorbei die Zeit, als man Freunde einfach nur zum Essen eingeladen hat. Inzwischen gleicht die Abstimmung darüber wer was isst und essen darf einer ausgeklügelten Choreografie. Ist das alles nur Hype oder stecken hinter bestimmten Beschwerden tatsächlich Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten? rbb Praxis hat über die zwei häufigsten Intoleranzen mit dem Gastroenterologen Dr. Thomas Gotter aus Königs Wusterhausen gesprochen.

Supermärkte, Cafés, Restaurants - längst finden sich überall Produkte für Menschen, die wissen oder glauben auf Milch- oder Fruchtzucker schmerzhaft zu reagieren. Bei der Lebensmittelindustrie ist der "Trend" längst angekommen. Aber was steckt wirklich hinter den Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten? Was ist Hype und wie lässt sich die Diagnose stellen?

Herr. Dr. Gotter, die häufigsten Unverträglichkeiten sind die gegen Laktose (Milchzucker) und Fruktose (Fruchtzucker). Welche Beschwerden haben Patienten, die darunter leiden?
 
Die Betroffenen haben ganz ähnliche Symptome: Sie berichten, dass sie nach dem Konsum von Fruktose oder Laktose Bauchschmerzen oder gar Bauchkrämpfe entwickeln. Sie bekommen Blähungen und leiden manchmal auch unter Durchfall.

Was funktioniert bei Laktose- und Fruktose-Intoleranz im Körper nicht richtig?
 
Milchzucker ist ein so genannter Zweifachzucker, der im Dünndarm mit Hilfe eines Enzyms, der Laktase, ausgespalten und dann dort komplett aufgenommen wird. Fehlt die Laktase oder ist zu wenig vorhanden, gelangt der Milchzucker in den Dickdarm und wird von den dort ansässigen Bakterien verdaut. Dabei entstehen Abbaustoffe wie etwa Wasserstoff oder Methan, die zu den unangenehmen Symptomen führen.
 
Bei der Fruktose-Intoleranz liegt die Sache etwas anders: Ursache ist hier nicht ein Enzymmangel, sondern hier liegt, häufig genetisch bedingt, ein Mangel eines Transportproteins vor. Dadurch kann der so genannte GLUT-5-Transporter nicht an die Fruktose binden und sie somit nicht in die Dünndarmzellen schleusen.

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Wie entsteht eine Laktose- bzw. eine Fruktose-Intoleranz?
 
Es gibt eine primäre Laktose-Intoleranz, die genetisch bedingt ist, die betrifft zwischen 15 und 20 Prozent der Erwachsenen in Deutschland. Diese Menschen können, abgesehen von einer kurzen Phase als Säuglinge, gar keine Laktose verdauen. Das zeigt sich dann häufig im jungen Erwachsenenalter.
 
Andere erwerben erst im Laufe ihres Lebens eine Milchzucker-Unverträglichkeit, wobei es Auslöser gibt, wie etwa ein schwerer Magen-Darm-Infekt. Das Milchzucker spaltende Enzym wird in den Darmzotten des Dünndarms produziert. Wenn diese Zotten durch eine Erkrankung geschädigt werden - abflachen - können sie auch nicht mehr ausreichend Laktase bilden. Es kommt zu einer so genannten sekundären Laktose-Intoleranz.
 
Ähnlich ist es auch bei der Fruktose-Intoleranz. Da der für die Verdauung der Fruktose im Dünndarm zuständige GLUT-5-Transporter in den Darmzotten liegt, kann eine Schädigung der Darmzotten auch hier dazu führen, dass eine Fruktose-Intoleranz entsteht.

Wie wird eine Laktose- bzw. Fruktose-Intoleranz festgestellt?
 
An erster Stelle steht die Anamnese, also das ausführliche Gespräch zwischen Arzt und Patient oder Patientin. Dabei frage ich die Betroffenen, wann die Symptome auftreten, wonach die Symptome auftreten, wie lange die Beschwerden nach der Nahrungsaufnahme auftreten und ob die Beschwerden auch in der Nacht vorhanden sind. Letzteres ist wichtig, weil die Beschwerden oft bis zu zwei Stunden nach Nahrungsaufnahme auftreten. Das heißt: Auch nach einer milch- oder fruchtzuckerhaltigen Mahlzeit am Abend müssten die Symptome während der Nacht eigentlich abklingen. Bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen zum Beispiel ist das anders.
 
Besteht der begründete Verdacht auf eine Laktose- bzw. Fruktose-Intoleranz würde man einen Atemtest auf Wasserstoff in der Ausatemluft anschließen. Dafür trinken die Patienten eine Laktose- bzw. Fruktose-Lösung. Und danach wird im Abstand von 15 Minuten zum einen der Blutzucker gemessen und zum anderen pusten die Patienten in ein Gerät, welches die Wasserstoffkonzentration in der Ausatemluft misst. Ist dieser Wert erhöht und haben die Patienten die üblichen Beschwerden, wäre eine Laktose- bzw. Fruktose-Intoleranz nachgewiesen.
 
Die Bestimmung des Blutzuckers ist ein zusätzlicher Test, falls Patienten zwar eine Laktose-Intoleranz haben, aber keinen überschüssigen Wasserstoff produzieren. Bei solchen, von Ärzten als "Non-Responder" bezeichneten Betroffenen, steigt der Blutzucker nach Trinken der Milchzuckerlösung nicht an, weil sie den Milchzucker nicht aufspalten können. Das ist also dann ein indirekter Nachweis für eine Laktoseintoleranz.

Was sagt Wasserstoff in der Atemluft über eine mögliche Nahrungsunverträglichkeit aus?
 
Wenn die Laktose bzw. die Fruktose im Dünndarm nicht aufgenommen wird, wandern beide Stoffe in den Dickdarm. Dort werden sie von den Bakterien im Dickdarm verdaut, wobei Wasserstoff entsteht. Dieser Wasserstoff wird dann wiederum vom Dickdarm aufgenommen und über das Blut zur Lunge transportiert und von dort abgeatmet. Das messen wir beim Atemtest. Wasserstoff in der Ausatemluft ist also ein Zeichen dafür, dass Laktose bzw. Fruktose im Dünndarm nicht richtig verdaut wird.

Wie zuverlässig kann eine Laktose- bzw. Fruktose-Unverträglichkeit festgestellt werden?
 
Es ist wichtig, eine Laktose-Intoleranz von einer Milcheiweißunverträglichkeit zu unterscheiden. Dabei reagiert das Immunsystem auf bestimmte Stoffe in der Milch mit einer allergischen Reaktion. Das kann auch mit Symptomen einher gehen, die sich nicht im Magen-Darmtrakt abspielen, wie etwa Kopfschmerzen oder Akne.
 
Manche Patienten haben allerdings auch beides, eine Milcheiweißunverträglichkeit und eine Laktose-Intoleranz und manchmal sogar noch eine Fruktose-Intoleranz.  Das ist dann für den Arzt nicht so leicht zu diagnostizieren und auseinanderzuhalten.

Was sollten Patienten tun, bei denen einen Laktose- bzw. Fruktose-Intoleranz festgestellt wurde?
 
Zunächst rate ich den Patienten auszutesten, wie viel Laktose sie überhaupt vertragen. Es gibt viele Betroffenen, bei denen geringe Mengen an Milchzucker keine Beschwerden verursachen. Viele Patienten sagen auch, dass wenn sie mal eine Weile keinen Milchzucker zu sich genommen haben, dass es ihnen besser geht und die Beschwerden erst zeitverzögert wieder auftreten. Das liegt daran, dass der Dünndarm Zeit hatte, Laktase zu produzieren, die dann - für eine begrenzte Zeit - vermehrt zur Verfügung steht. Um Beschwerden möglichst zu vermeiden, kann man auf laktosefreie Produkte zurückgreifen, die es inzwischen in großer Auswahl gibt. Es gibt auch die Möglichkeit, Laktase in Tablettenform einzunehmen. Das ersetzt dann die mangelnde Laktase im Dünndarm und erlaubt es - wenn man zum Beispiel zum Essen eingeladen ist -  auch laktosehaltige Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, ohne gleich Beschwerden zu bekommen.
 
Wer Fruktose nicht gut verträgt, sollte Obstsorten vermeiden, die viel Fruchtzucker enthalten wie bestimmte neue Apfelsorten (zum Beispiel Pink Lady) oder auch Weintrauben. Günstig sind Obstsorten, die viel Traubenzucker und wenig Fruchtzucker enthalten, zum Beispiel Bananen. Es kann auch helfen zum Obst zusätzlich Traubenzucker zu essen oder diesen zum Beispiel einem Obstsalat hinzuzufügen. Der Traubenzucker hilft nämlich, die Fruktose im Dünndarm besser aufzunehmen. Einen ähnlichen Effekt hat ein Medikament, welches das Enzym Glucose-Isomerase enthält. Diese Tabletten helfen, den Fruchtzucker im Dünndarm in gut aufnehmbaren Traubenzucker zu "verwandeln". Neu sind auch Präparate mit Milchsäurebakterien, die bereits im Dünndarm den Fruchtzucker spalten sollen.

Ist es auch Ihrer Sicht ein "Hype", dass so viele Menschen glauben, sie würden bestimmte Nahrungsmittel nicht vertragen?
 
Ja, das würde ich schon sagen. Allerdings muss man auch sagen, dass die Laktose-Intoleranz so häufig ist, dass wir doch bei rund fünfzig Prozent der Patienten tatsächlich eine Unverträglichkeit feststellen. Bei anderen Nahrungsmittelunverträglichkeiten, wie zum Beispiel der Zöliakie, wo kein Weizenkleber (Gluten) vertragen wird, gibt es deutlich mehr Menschen, die zwar über Symptome klagen, aber keine Zöliakie haben.

Ist es gefährlich, eine bestehende Nahrungsmittelunverträglichkeit zu ignorieren?
 
Nein. Die Betroffenen haben lediglich Beschwerden, aber kein Risiko, dass diese stärker werden oder andere Erkrankungen daraus entstehen.
 
Anders ist es bei der Zöliakie: Wird diese Erkrankung ignoriert, werden die Darmzotten geschädigt, was auch zu bösartigen Veränderungen bis hin zu Krebs führen kann.

Herr Dr. Gotter, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm

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