Interview l Hilfe für das Leben im Alter - Erkennen, wann Eltern Hilfe brauchen
Wenn Angehörige pflegebedürftig werden, ist das meist ein schleichender Prozess - den allerdings viele gerne verdrängen. Denn sowohl den Betroffenen selbst, wie auch den Angehörigen ist das Thema Pflege unangenehm. Auf was sollten Angehörige achten? Die rbb Praxis hat nachgefragt.
Frau Brockmeier, woran merken Angehörige, dass beispielsweise die Eltern im Alter Hilfe benötigen?
Mir ist über die Jahre aufgefallen, dass Klienten häufig kommen und erzählen, dass die Eltern sie nicht mehr in die Wohnung gelassen haben oder Treffen nur noch außerhalb der Wohnung stattfinden. Das ist schon mal ein Hinweis, dass etwas nicht rund läuft. Oder aber, wenn man beobachtet, dass die Wohnung vernachlässigt aussieht - auch das ist ein Anzeichen der Überforderung. Das Problem ist allerdings, wenn man die Eltern darauf anspricht, wird die Hilfe meistens abgelehnt.
Wie kann man Angehörige trotzdem davon überzeugen, dass eine Unterstützung hilfreich wäre?
Das ist immer schwierig. Wir hatten bei uns im Pflegestützpunkt in letzter Zeit viele Hochaltrige, also Menschen, die über 90 Jahre alt waren. Die wollten sich auch nicht helfen lassen. Da muss ich erst mal den Angehörigen erklären, dass diese Ablehnung ganz normal ist. Schließlich waren diese Menschen ein Leben lang autark und haben alles gut geregelt bekommen. Dass jetzt Hilfe nötig ist, wollen sie sich nicht eingestehen.
Dazu kommt, dass sie sehen, dass die Kinder meistens keine Zeit haben. Fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist oft unvorstellbar. In so einem Fall hilft nur Fingerspitzengefühl und Ehrlichkeit. Man muss sagen, dass man eine Veränderung bemerkt und gemeinsam eine stimmige Lösung finden will. Die Pflegebedürftigen sollten unbedingt in den Prozess miteinbezogen werden. Ansonsten werden sie verschreckt, machen dicht und lehnen alles ab.
Es geht wirklich darum, mit Kleinigkeiten anzufangen, zum Beispiel erst mal eine Reinigungskraft anzubieten. Wichtig ist es auch noch, immer eine Pause zu machen, bevor die nächste Hilfe initiiert wird. Erfahrungsgemäß wird Unterstützung dann besser angenommen.
Außerdem empfehle ich Kindern, deren Eltern die Hilfe total ablehnen, erst mal einen Info-Ordner in die Wohnung der Eltern zu legen. Da sollten Informationen zu praktischen Pflege-Angeboten in der Nähe drin sein, zum Beispiel dem fahrbaren Mittagstisch. Die meisten schauen dann doch rein und denken darüber nach. Ansonsten muss man als Angehörige/r dranbleiben und kontinuierlich Hilfe anbieten.
Auf welche Reaktionen muss ich mich noch einstellen?
Neben der Ablehnung gibt es auch den Fall, dass ältere Menschen die Hilfe annehmen und dann gar nichts mehr alleine machen wollen. Da wird dann die ganze Familie eingespannt und alle sind nur noch am Organisieren. Deshalb sollte auch immer genau nach den Ressourcen des älteren Menschen geschaut und gut überlegt werden, was sie noch alleine können.
Wie erkläre ich einem Angehörigen mit Demenz, dass eine Hilfe unabdingbar ist?
Da kommt es darauf an, ob der Angehörige eine Demenz hat und sein Krankheitsbild sieht oder ob es jemand ist, der gar nicht einsichtig ist. Wenn letzteres der Fall ist, gebe ich denn Tipp nicht zu fragen, sondern einfach zu machen. Vielen Angehörigen ist nicht bewusst, dass sie mit einer Frage einen Demenzkranken auch in eine Ecke drängen können, wo er oder sie sich entscheiden muss und damit überfordert ist.
Bei Demenzkranken sollte man auf jeden Fall Beratung annehmen und genau beobachten, wie lange man es laufen lassen kann. Der Betroffene muss nicht gleich ins Heim, sondern sollte so lange wie möglich in seinem häuslichen Umfeld bleiben. Da weiß er zum Beispiel, in welcher Schublade die Gabel liegt. Und wenn da mal eine Socke drin ist, ist das auch nicht schlimm, wenn sonst noch vieles klappt. Hier gilt auch: Nach und nach Hilfsangebote installieren, das heißt mit langsamen Schritten ein gutes Pflegesetting gestalten.
Woran erkenne ich, dass eine Pflege zu Hause nicht mehr möglich ist und nur noch ein Heim in Frage kommt?
Wenn Personen mit im Haushalt wohnen, muss man darauf achten, dass die Bezugspersonen vor lauter Pflege nicht auf der Strecke bleiben. Die Kinder der Betroffenen müssen dann auch darauf achten, dass der gesunde Elternteil nicht zu sehr belastet ist. Immerhin pflegt man in Deutschland im Schnitt zwölf Jahre. Man hat nichts davon, Partner bis zum Ende der eigenen Kräfte zu pflegen und dabei selbst krank zu werden. Dem Pflegbedürftigen bringt das übrigens auch nichts.
Schwierig wird es auch, wenn Menschen Weg- und Hinlauftendenzen haben. Das ist oft bei Demenzkranken so. Da muss man denjenigen auch vor Gefahren schützen. Zudem ist es schwierig, wenn es trotz Pflegedienst mit dem Essen und Trinken zu Hause nicht mehr klappt. Dann muss auch eine Unterbringung in Betracht gezogen werden.
Viele Menschen haben ein schlechtes Gewissen ihre Eltern oder Großeltern in ein Altenheim zu bringen. Was raten Sie da?
Das hängt viel damit zusammen, dass man den Angehörigen oft verspricht: Du kommst nie in ein Heim. Wenn es dann trotzdem sein muss, sehen das viele als persönliches Versagen. Die meisten sehen nicht, dass sie davor viel getan haben, um den Angehörigen so lange wie möglich zu Hause zu lassen.
Außerdem hat jeder das Recht zu sagen: bis hierhin und nicht weiter. Dabei geht es auch um Selbstfürsorge. Natürlich ist ein Heim auch der letzte Ausweg. Es gibt aber übrigens auch ältere Menschen, die im Heim noch mal aufblühen.
Im Ernstfall wünschen sich viele Familien, dass sie mal früher über das Thema Pflege gesprochen hätten. Wann ist ein guter Zeitpunkt?
Ich empfehle es, sich schon frühzeitig mit den Eltern zusammenzusetzen und über eine Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung zu sprechen. Dabei kommen die Themen Pflege und Heimversorgung ohnehin auf. Wenn man sozusagen in guten Zeiten darüber spricht und die Angehörigen die Wünsche der Betroffenen kennen, ist es später einfacher, zu handeln.
Frau Brockmeier, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Laura Will