Interview | Pseudarthrose - Anstoß für den Knochen
In Deutschland erleiden knapp zwei Millionen Menschen jährlich einen Knochenbruch. Etwa zehn Prozent dieser Frakturen heilen nicht richtig aus. Was können Ärzte und Patienten dafür tun, dass Knochen gesund verheilen?
Die rbb Praxis hat mit Prof. Wolf Petersen, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin-Wilmersdorf gesprochen.
Herr Prof. Petersen, wie oft begegnen Ihnen in Ihrem ärztlichen Alltag Pseudarthrosen?
Im Martin-Luther-Krankenhaus sehen wir etwa alle zwei Wochen ein solches Falschgelenk. Das ist also keine Rarität. Erfreulicherweise heilen aber die meisten Knochenbrüche oder Frakturen innerhalb weniger Wochen aus.
Wie erkennen Sie die Pseudarthrose?
Anhand des klinischen Bildes – die Patienten klagen Monate nach einem Knochenbruch über Schmerzen – und mit Hilfe der Röntgenuntersuchung. Wir Ärzte unterscheiden zwischen einer sogenannten hypertrophen und einer atrophen Pseudarthrose, also zwischen einer mit überschießender und einer mit mangelhafter Gewebeneubildung.
Und was sehen Sie dann auf der Röntgenaufnahme?
Die hypertrophe Form stellt sich mit zwei aufgetriebenen Knochenenden dar. Sie entsteht vor allem dann, wenn der Knochen während der Heilung nicht ausreichend ruhig gestellt war. Bei der atrophen Variante entdecken wir einen größeren Spalt zwischen den Bruchenden. Sie treffen wir bei Patienten an, die einen offenen Bruch erlitten haben, bei denen sich der Bruch infiziert hat oder – wie bei einer Schussverletzung – die Patienten viel Knochengewebe eingebüßt haben.
Was genau passiert bei einer Pseudarthrose?
Die Knochenfragmente wachsen nach einem Bruch nicht zusammen.
Welche Komplikationen treten noch bei der Frakturheilung auf?
Bei geschlossenen Brüchen können die Knochen fehlerhaft zusammenwachsen. Das führt zu Fehlstellungen wie X- und O-Beinen. Sie begünstigen eine spätere Arthrose. Bei offenen Frakturen ist das größte Risiko die Infektion. Operativ behandelte Frakturen führen zu den üblichen Problemen bei einer OP: Es entstehen Blutgerinnsel, welche die Gefäße verstopfen, oder die Wunde infiziert sich.
Wie heilt gesunder Knochen normalerweise? Wie sind die biologischen Abläufe?
Zunächst blutet es in den Spalt zwischen den Frakturenden. Dann wandern Stammzellen ein und bilden Knorpel. Dieses sogenannte Kallusgewebe überbrückt den Frakturspalt und stabilisiert die Fraktur. Nach und nach mineralisiert der Knorpel und härtet zum Knochen aus.
In welchen Phasen ist die Heilung besonders fragil, also wann muss der Patient vorsichtig sein?
Gerade die erste Zeit nach einem Knochenbruch ist problematisch. Die Frakturenden sind noch instabil, es laufen entzündliche Prozesse ab, das Gewebe ist geschwollen. Je länger die Heilung voranschreitet, desto stabiler wird der Knochen. Abhängig davon, wo der Bruch lokalisiert und wie der Knochen gebrochen ist, dauert es sechs bis acht Wochen, bis der Patient die Fraktur wieder belasten darf.
Was behindert die gesunde Knochenheilung?
Wenn der Knochen nicht ausreichend ruhig gestellt ist – entweder, weil der Patient sich viel bewegt oder weil der Bruch nicht angemessen versorgt wurde. Die Bewegung zerstört den neu gebildeten Knorpel, der Heilungsprozess startet wiederholt von vorn, die beiden Enden treiben kolbenförmig auf. Auch eine Entzündung erschwert die Heilung.
Wie kann der Patient die Heilung unterstützen?
Ganz wichtig ist die schnelle Therapie. Wenn jemand einen Unfall oder ein Trauma erlitten hat und über Knochenschmerzen klagt, sollte er rasch zum Arzt gehen. Für die sichere Diagnose einer Fraktur ist ein Röntgenbild unerlässlich.
Außerdem sollte sich der Patient an die Empfehlungen von Arzt und Physiotherapeut halten. Von Mitteln, die das Knochenwachstum fördern und die beispielsweise in der Osteoporose-Therapie eingesetzt werden, rate ich grundsätzlich ab. Auch die vermehrte Einnahme von Vitamin D und Kalzium ist bei gesunden Menschen nicht notwendig.
Nun ist trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch eine Pseudarthrose entstanden. Wie behandeln die Ärzte diese?
Größere Defekte füllen wir mit Implantaten auf, die entweder vom Patienten selbst stammen, beispielsweise aus dem Beckenkamm oder vom Schienbein. Oder wir nutzen Fremdmaterial. Um die Heilung selbst zu begünstigen, setzen wir die Stoßwellentherapie ein.
Was passiert da genau?
Zunächst markieren wir die erkrankte Stelle auf der Haut. Danach wird der Schallkopf des Stoßwellengerätes auf die markierte Region ausgerichtet. Energiedichte und Impulszahl werden eingestellt und dann die Region mit Stoßwellen "beschossen". Die Stoßwelle fördert die Bildung knochenbildender Hormone, sogenannter Knochenwachstumsfaktoren. Sie geben das Signal, dass sich im Gewebe neue Knochenzellen bilden.
An welchen Methoden zur besseren Frakturheilung forscht die Wissenschaft?
Es gibt zahlreiche Wachstumsfaktoren, die das Knochenwachstum günstig beeinflussen. Versuche, diese für eine bessere Knochenheilung zu nutzen, laufen bislang nur im Labor und nicht am Patienten.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Petersen.
Das Interview führte Constanze Löffler