Mann mit Nackenschmerzen im Home-Office (Quelle: imago/Westend61)
Bild: imago/Westend61

Interview | Tipps für Home-Office und Alltag - Schlechte Sicht - schmerzender Rücken

Viele Menschen arbeiten derzeit im Homeoffice unter schwierigen Bedingungen. Häufig hapert es an einer guten Arbeitsumgebung. Ungeeignete Sitzmöbel, kleine Bildschirme und generell die Zunahme an digitaler Bildschirm-Kommunikation fordern uns. Dass Augen und Rücken dabei eine untrennbare Einheit bilden, ist weniger bekannt.

rbb Praxis sprach darüber mit Physiotherapeutin Gefa Naegler aus Berlin-Wilmersdorf.

Wie hängen Augen und Rücken zusammen?

Die Augen sind unser wichtigstes Gleichgewichtsorgan. Das heißt, die Augen sind dafür verantwortlich, dass der Körper die Vertikale, also das Lot zur Schwerkraft einhalten kann. Das heißt aber auch, dass die Augen die zugehörige Muskulatur steuern, die dieses Aufrechthalten ermöglicht. Dazu gehört die Rückenmuskulatur ebenso, wie die Muskulatur auf der Körpervorderseite.

Welche Faktoren können dieses Gleichgewicht stören?

Viele Arbeitsplätze im Homeoffice sind nicht sehr ergonomisch. Das führt dann typischerweise dazu, dass man mit dem Kopf quasi in den Bildschirm "reinkriecht". Dann wird die Halswirbelsäule nach vorne geschoben und dann entsteht in den ersten beiden Wirbeln, die direkt am Kopf sind, ein Knick. Wenn auf diese beiden Wirbel durch die "Schildkrötenhaltung" zu viel Druck ausgeübt wird, dann wird dieses ganze Augen-Körper-Muskelsteuerungssystem durcheinandergebracht.

Was kann man ganz konkret tun, um diese Fehlhaltung zu vermeiden?

Als erstes würde ich allen empfehlen, die eine Brille bei der Computerarbeit brauchen, sich eine "Computerbrille" anfertigen zu lassen. Ich sehe ganz häufig bei den Menschen, die Gleitsichtbrillen tragen, dass sie die Nase nach oben nehmen müssen, weil sie durch den unteren Teil der Brille gucken. Dadurch wird die Situation noch verschärft. Ich habe tatsächlich eine Handvoll Patient*innen, die mit der Empfehlung ihre Probleme komplett losgeworden sind.
 
Eine andere Stellschraube für gesundes Arbeiten am Computer, ist die Position des Bildschirms zu den Augen. Es gibt diese Optimaleinstellung, dass man den Bildschirm so vor sich stehen hat, dass man leicht nach unten schaut. Die Nase sollte also leicht nach unten gerichtet sein. Dann sind hinten die obersten Kopfgelenke entlastet und dann kommt es auch nicht zu Kopfschmerzen und müden Augen.

Wie kommt es aber konkret zu Rückenschmerzen durch diese Fehlhaltungen?

Der Mensch hat ja viele Funktionen, die er nicht bewusst ansteuert; wir nennen das Automatismen oder Reflexe. Das bekannteste Beispiel ist, dass man auf eine heiße Herdplatte fasst und die Hand sofort wegzieht, bevor man bewusst registriert hat, dass sie heiß ist. Um den Körper immer senkrecht zur Schwerkraft zu halten, arbeitet der Körper auch mit diesen Automatismen und Reflexen. Diese Reflexe werden über die Augen gesteuert. Wenn ich den ganzen Tag sitze, entsteht eine Dysbalance zwischen den Muskeln auf der Körpervorderseite und denen auf der Körperrückseite. Man hat in der Sitzhaltung die Beine die ganze Zeit angewinkelt, man sackt so ein bisschen in sich zusammen und der "Sitzling" hat dann ein Problem damit, dass die Körpervorderseite verkürzt ist und die Körperrückseite geschwächt. Wenn ich dann aufstehe und die Position zur Schwerkraft wieder einnehmen will, dann steuern die Augen diese Reflexe, damit ich nicht umfalle. Sie müssen aber gleichzeitig mit einem System arbeiten, das nicht mehr ganz ausbalanciert ist. Dann wird die Rückenmuskulatur angesteuert, obwohl sie gerade total geschwächt ist und dann kann es zu einer Überlastung kommen, die mit Verspannungen und Schmerzen einher geht - einfach und allein, weil die Rückenmuskulatur nicht in der Lage ist, diesen Reflexen zu entsprechen.

Wie kann man das verhindern?

Durch bewegtes Sitzen! Man sollte die Muskulatur auch beim Sitzen die ganze Zeit arbeiten lassen, zum Beispiel durch mobile Sitzauflagen wie Ballkissen oder Sattelsitze, das bringt schon ganz viel. Und zwischendurch einfach im Stehen arbeiten und die Sitzperioden nicht länger als zwei Stunden andauern zu lassen. Bewegtes Arbeiten ist der Schlüssel dazu, dass die Muskulatur nicht in einen unguten Schwächezustand gerät.
 
Man kann sich natürlich auch eine Uhr stellen, die einen nach einer halben Stunde daran erinnert, die Position zu verändern, aber das kann unter Umständen die Konzentration sehr stören. Eine Möglichkeit ist, immer dann, wenn man sowieso aufsteht, um zur Toilette zu gehen oder sich etwas zu essen zu machen, bestimmte Übungen einzubauen. Zum Beispiel drei Kniebeugen, bevor man sich wieder hinsetzt. Oder, wenn man durch die Wohnung läuft zu versuchen, den oberen Türrahmen anzutippen oder den Lichtschalter mit den Füßen anzumachen. Das sind so kleine Bewegungen, die sehr gut sind, weil sie den Körper immer mal wieder aus dieser "Schlumpfhaltung" herausbringen und aktivieren.

Kann man auch die Augen direkt entlasten?

Ja. Die Augen selbst haben ja auch eine Muskulatur. Wie erholsam es ist, nicht immer nur auf einen Bildschirm zu starren, erfahren wir alle, wenn wir im Urlaub sind und auf weite Berge oder das Meer schauen können, "soweit das Auge reicht". Viele berichten dann, dass ihre Sehqualität zugenommen und die Haltungsprobleme abgenommen haben. Für das Homeoffice bedeutet das, dass man zwischendurch bewusst auch mal in die Weite schauen sollte und im Idealfall auch rausgeht, dorthin, wo man nicht gleich auf die nächste Häuserwand schaut.

Danke für das Gespräch, Gefa Naegler.
Das Interview führte Ursula Stamm.

Übungen

  • Übung 1: wie die feinen Fräuleins

  • Übung 2: mit sanftem Druck gegen Schmerzen

  • Übung 3: der Klassiker

Auf einen Blick

Zusammenhang von Augen und Rücken

  • Über die Gleichgewichtsfunktion der Augen werden die Muskeln auf Körpervorder- und rückseite direkt angesteuert. Probleme mit den Augen verursachen Probleme im Rücken, aber auch umgekehrt!

  • Ein bekanntes Beispiel ist das "Hineinkriechen" in den Bildschirm durch falsch eingestellte Bildschirme oder unpassende Brillen. Diese "Schildkrötenhaltung" belastet besonders die oberen beiden Halswirbel und stört die Koordination von Augen und Körpermuskulatur.

  • Ein richtig eingestellter Bildschirm (Nase leicht nach unten), eine Computerbrille und "bewegtes Sitzen" können diesen Teufelskreis durchbrechen. Dafür braucht man nicht unbedingt ergonomische Sitzmöbel. Ein flexibles Sitzkissen für den Stuhl und der Wechsel zwischen Arbeiten im Sitzen und Stehen, können schon ausreichen.