Interview - 'Die Terminservicestellen wird es weiter geben'
Ab April sollen die Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) auch Termine für Psychotherapeuten vermitteln. Gut ein Jahr ist es her, dass die Callcenter starteten, damals mit der Prämisse die Wartezeit auf einen Termin beim Facharzt zu verringern. Zeit, eine Bilanz zu ziehen – und einen Ausblick zu wagen, was sich ab April ändert.
rbb Praxis hat mit Kai Vogel, Leiter des Teams Gesundheit und Pflege bei der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., gesprochen.
Ab dem 1. April 2017 vergeben die Servicestellen auch Termine für Psychotherapeuten. Wie realistisch ist das Vorhaben?
Ich bin gespannt, inwieweit die Terminservicestellen die mitunter monatelangen Wartezeiten im Bereich der Psychotherapie abfangen werden. Viele Patienten sind verzweifelt, weil es ihnen schlecht geht, sie aber keinen Termin bekommen. Ich habe keine Vorstellung davon, ob sich auf diesem Weg der Therapeuten-Mangel lösen lässt.
Wie genau stellt sich der Gesetzgeber die Vergabe der Termine vor?
Das wird wohl ähnlich funktionieren wie bei den anderen Fachärzten: Die Therapeuten melden freie Termine und werden dafür teilweise finanziell belohnt.
Ist diese zusätzliche Funktion nicht von Vornherein zum Scheitern verurteilt?
Ich weiß es nicht. Ich stelle mir die Terminfindung auf jeden Fall schwieriger vor als bei den anderen Facharztgruppen.
Der Gesetzgeber hat weitere Veränderungen angekündigt, die dieses Problem lösen sollen.
Psychotherapeuten sollen nach ersten Verlautbarungen künftig eine Notfallsprechstunde anbieten. Sechs Einheiten - bei Kindern und Jugendlichen bis zu zehn Einheiten - zu je mindestens 25 Minuten geben dem Therapeuten Zeit, behandlungsbedürftige Erkrankungen, Krisen- und Ausnahmezustände frühzeitig zu erkennen. Bei einem vollen Kassensitz muss der Therapeut wöchentlich 200 Minuten Sprechstundenzeit zur Verfügung stellen. Pro Woche muss er 100 Minuten telefonisch für seine Patienten erreichbar sein.
Seit Anfang 2016 gibt es die Terminservicestellen. Sie sollen die Wartezeiten auf Facharzttermine verringern und die Vorzugsbehandlung von Privatpatienten verhindern.
Die schnellere Terminvergabe gelingt in vielen Fällen. Die finanziellen Anreize, gesetzlich und privat Versicherte unterschiedlich zu behandeln, können die Terminservicestellen aber keinesfalls beheben. Hierzu müssten die unterschiedlichen ärztlichen Gebührenordnungen angeglichen werden.
Die Ärzte sind angehalten, den KVen ihres jeweiligen Bundeslandes Termine zu melden. Wie gut klappt das?
Die Ärzte sind durch die KVen dazu aufgerufen. Sie bekommen vielfach etwas Geld dafür, wenn sie freie Termine für gesetzlich versicherte Patienten melden. Ich kann nicht einschätzen, wie gut die Ärzte in den einzelnen Bundesländern gemeldet haben. Doch meinen Informationen zufolge konnten die meisten Anfragen termingerecht vermittelt werden.
Die Ärzte können digital melden; die Patienten müssen telefonieren, um einen Termin zu bekommen. Ist das noch zeitgemäß?
Hier müssen der Gesetzgeber und die KVen selbst nachbessern. Es würde der Sache guttun, wenn die Patienten beispielsweise sehen könnten, wo welcher Arzt ist. Vielleicht ist einer drei Kilometer weiter entfernt, er kann ihn aber besser erreichen. Zudem macht eine Online-Vergabe von Terminen das Ganze transparenter. Die Ärzteschaft hat bislang die digitale Terminvermittlung leider nicht umgesetzt. Aus meiner Sicht könnten so unter Umständen sogar Personalkosten in den Callcentern eingespart werden.
Eine erste Auswertung der KVen im vergangenen Jahr ergab, dass sich die Wartezeiten nicht groß geändert haben. Etwas mehr als ein Drittel der Patienten wartetet mehr als drei Tage auf einen Termin – im Vergleich zu den letzten drei Jahren blieb das Ergebnis unverändert. Wie sieht Ihre Bilanz nach einem Jahr aus?
Nach meinen Informationen haben die Mitarbeiter in den Callcentern im ersten Jahr etwa 110.000 Termine vermittelt. Bei etwa 580 Millionen ambulanten Behandlungsfällen ist das eine geringe Zahl, da stimme ich zu. Betrachtet man jedoch den einzelnen Patienten, der ein dringliches gesundheitliches Problem hat, ist das jedes Mal ein wichtiger Erfolg.
Aber mit welchem Aufwand?
Die KVen habe ohne Zweifel einigen Aufwand für die Terminvermittlung. Hier gibt es Möglichkeiten zur Nachbesserung. Zum einen würden zusätzliche digitale Angebote vieles erleichtern. Andererseits könnte man überlegen, wo eine zentralisiertere Vergabe Sinn macht.
Warum nutzen so wenige Patienten den Dienst?
Bislang wissen noch zu wenige von den Terminservicestellen. Die Ärzteschaft hat sie bislang nicht beworben. Nur das Bundesgesundheitsministerium, die Krankenkassen und die Verbraucherzentralen weisen darauf hin. Es herrscht auch Unwissenheit darüber, welche Termine vermittelt werden: Die Patienten brauchen – bis auf Augen- und Frauenarzt – eine Überweisung vom Hausarzt, auf der mit einem Code aus Zahlen und Buchstaben der Termin als dringlich gekennzeichnet ist. Andere Terminwünsche, etwa für Routineuntersuchungen, fallen nicht in den Aufgabenbereich der Terminservicestellen. Es werden keine Wünsche nach einem bestimmten Arzt oder einem bestimmten Termin berücksichtigt.
Die Ärzteschaft sagt, sie brauchen die Terminservicestellen nicht. Sie rufen die Fachkollegen auf dem kurzen Dienstweg an und kümmern sich um einen Termin für ihre Patienten.
Einige Patienten fallen hier durchs Raster, neu zugezogene beispielsweise, die noch keinen Hausarzt haben. Das Argument der kollegialen Vermittlung von Terminen funktioniert offenbar nicht immer. Ansonsten würden sich nicht über 100.000 Patienten an die Terminservicestellen wenden.
Auf welche Termine müssen die Patienten immer noch warten?
Das sind vor allem Facharzttermine bei Neurologen, Orthopäden, Hautärzten und Rheumatologen. Auf dem Land ist es schwieriger, einen Termin zu bekommen als im Ballungsgebiet, in ärmeren Stadtbezirken wie Berlin-Marzahn schwieriger als in Wilmersdorf oder Charlottenburg.
Woran liegt das?
Gerade in ländlichen Regionen fehlt es an Fachärzten. Wenn in Brandenburg weit und breit kein Rheumatologe ist, kann ich dem Patienten auch keinen Termin vermitteln. Hier wünsche ich mir, dass die KVen zukünftig mehr steuern. Internist ist nicht gleich Internist. Wenn es an Rheumatologen fehlt, darf der freie Internisten-Sitz eben nicht an einen Lungenfacharzt vergeben werden, von dem es schon fünf in der Region gibt. Und die KV kann schon heute in überversorgten Regionen Kassensitze aufkaufen.
Die KVen und Ärzte halten nicht viel von den Terminservicestellen; die Kassen und Verbraucherstellen sind Befürworter. Warum gehen die Meinungen so auseinander?
Die KVen und Ärzte sprechen von einer kostenträchtigen Institution, die sie nicht brauchen, weil sie Facharzttermine auf dem kurzen Dienstweg mit den Kollegen absprechen. Außerdem argumentieren sie, dass Deutschland europaweit das Land mit den geringsten Wartezeiten für Patienten ist. Verbraucherzentralen und Krankenkassen befürworten die Einrichtung, da es eine Notwendigkeit dafür gibt – auch wenn diese regional unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Pauschale Aussagen sind hier unangebracht, jeder einzelne Patient ist wichtig!
Die KVen wurden gezwungen, die Terminservicestellen einzurichten, obwohl sie nicht davon überzeugt sind. Das Ganze passiert mit dem Geld der Ärzte, die das ebenfalls nicht wollen. An welcher Stelle ist hier etwas schief gelaufen?
Letztendlich ist es das Geld der Versicherten, das für deren Versorgung verwendet wird. Ich finde es in einem solidarischen Krankenversicherungssystem nicht in Ordnung, die medizinische Notwendigkeit zur Behandlung des Einzelnen gegenüber den Kosten der Allgemeinheit zu stellen oder gar eigene ökonomische Interessen in den Vordergrund zu rücken. Jeder einzelne Patient, der einen Arzttermin benötigt, ist relevant. Die Terminservicestellen müssen sich aber noch einspielen, die personellen Ressourcen regional angepasst werden. Mehr Transparenz auf Seiten der Ärzte würde der Unternehmung guttun.
Wann wird das Projekt für gescheitert erklärt?
Ich gehe nicht davon aus, dass das aktuell passiert. 2020 werden die Terminservicestellen evaluiert; dann sehen wir weiter. Solange die KVen keine Alternative anbieten, was mit den Patienten passiert, die trotz Dringlichkeit keine Facharzttermine bekommen, sind Terminservicestellen notwendig! In welcher Form, das werden wir sehen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Constanze Löffler