Interview | Digital Detox - Digitale Auszeit – öfter offline sein!
Morgens als erstes aufs Handy schauen und abends, vor dem Schlafengehen, wirft man noch schnell einen Blick auf den Bildschirm - immer mehr Menschen rutschen in eine Art digitalen Dauerkonsum. Mal eine Auszeit nehmen - das kann für jeden sinnvoll sein, sagt Gordon Schmid, Leiter einer Berliner Beratungsstelle für Internet-Sucht.
Herr Schmid, die meisten Menschen nutzen Computer und Smartphone, ohne gleich davon süchtig zu werden. Würden Sie denn jedem eine digitale Auszeit empfehlen?
Warum nicht? Wer ein Smartphone oder einen Laptop oder Computer regelmäßig nutzt, ist nicht automatisch süchtig, sonst wären dies nahezu alle hier in Deutschland. Aber man sollte ehrlich zu sich sein und selbstkritisch überprüfen, welchen Stellenwert die Endgeräte für einen haben. Hier kann eine digitale Auszeit Aufschluss darüber geben, auf was ich gut verzichten kann und auf was nicht.
Was ist so verkehrt daran?
Die digitale Welt fängt dann an, uns im Griff zu haben. So etwas kann Stress erzeugen. Jeder Mensch braucht auch Ruhezeiten, in denen er nicht erreichbar ist. Das bringt eine wichtige Entspannung für das gesamte Nervensystem. Wenn sich Menschen ernsthaft fragen: Wie nutze ich meine Geräte eigentlich? Und entspricht das eigentlich meinen Bedürfnissen? Dann kommt oft heraus, dass da eigentlich schon der Wunsch besteht, auch mal offline zu sein, ohne gleich nervös zu werden und Sorge zu tragen, etwas Wichtiges zu versäumen.
Gibt es denn klare Anzeichen für eine Online- oder Computersucht?
Das ist nicht so einfach. Wenn sie ein gebrochenes Bein haben, dann ist klar: da ist was kaputt. Bei der Computerspiel bzw. Onlinesucht ist das oft ein Prozess. Der ist einerseits gekennzeichnet durch zunehmenden Kontrollverlust. Also wenn ich merke, dass ich mein Nutzungsverhalten nicht mehr richtig unter Kontrolle habe, dass ich den Computer nicht um 22 Uhr runterfahre , obwohl ich es mir vorgenommen hatte, wenn ich bis zwei oder drei Uhr morgens im Internet bleibe, dann kann das so ein erstes Anzeichen sein. Oder wenn ich das Verlangen verspüre, online zu sein, auch in Zeiten, in denen ich bei der Arbeit bin. Wenn ich merke, dass ich mich mehr zurückziehe und mehr in der virtuellen Welt lebe. Wenn ich anfange, Freunde zu vernachlässigen, statt mich mit anderen zu verabreden lieber zuhause sitze. Wenn ich mehrere dieser Anzeichen bei mir wahrnehme, dann können das erste Anzeichen für eine Onlinesucht sein.
Ist das nicht ein Problem, das nur Jugendliche betrifft?
Jugendliche sind tatsächlich per se gefährdeter für jedes Suchtverhalten, weil bei ihnen die neurobiologischen Prozesse anders verlaufen als bei Erwachsenen. Aber auch mit 40, 50 oder 60 Jahren kann eine Onlinesucht auftreten, zum Beispiel dann, wenn eine Krise auftritt, wenn der Lebenspartner stirbt, wenn Arbeitslosigkeit eintritt. Dann ist die Versuchung groß, in die virtuelle Welt abzutauchen, um den negativen Gefühlen entgegen zu wirken. Dort ist dann alles bunt und schön - das sind gefährliche Situationen, in denen man vorsichtig sein muss.
Zu ihnen kommen ja regelmäßig Menschen in die Beratungsstelle, weil sie selbst das Gefühl haben, computerspielsüchtig geworden zu sein. Was raten Sie dann?
Die meisten, die zu uns kommen, haben den Wunsch, einfach nur selbst mehr Selbstkontrolle über das Spiel zu entwickeln und weniger im Netz unterwegs zu sein. Oft stellt sich dann aber heraus, dass es ohne Hilfsmaßnahmen nicht geht. Eine Möglichkeit ist dann, eine Sicherungssoftware herunterzuladen, die für das rechtzeitige Abschalten sorgt. Die Alternative ist eine vollkommene Abstinenz – abstinent vom Problembereich, hier dem Spiel. Gerade bei Computerspielsucht ist das oft die einzige Lösung. Das kann sehr hart sein, manche erleben das als eine Art virtuellen Selbstmord, wenn sie sich von ihrem Avatar verabschieden müssen.
Wie oft muss man denn zu Ihnen kommen, um eine Veränderung zu erreichen?
Wir haben rund 250 Klienten im Jahr und es sind viel die es schaffen, schon nach wenigen Beratungen erste, wichtige Veränderungen vorzunehmen. Wir erarbeiten dann gemeinsam eine individuell passende Lösung. Viele Klienten sagen, sie müssten sich doch täglich informieren und schon deshalb das Smartphone immer nutzen. Wir raten dann zum Beispiel, wieder auf die gute alte Zeitung zurück zu greifen. Manche Klienten kommen allerdings erst sehr spät zur Beratung, sie sitzen nur noch am Rechner, können gar keinen Stopp mehr finden. Dann ist es manchmal notwendig, dass wir sie zu einer stationären Therapie vermitteln, denn dann muss ein echter Cut erfolgen und das Problem in einem anderen Setting angegangen werden.
Für all die, die einfach nur mal digital Fasten wollen - was raten Sie?
Der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen: wie oft nutze ich welches digitale Gerät? Und dem dann gegenüber zu stellen: wie oft würde ich gerne tatsächlich online sein? Und dann kann man ganz gezielt Pausen einrichten. Zum Beispiel am Wochenende – sonntags ist man ab sofort immer offline. Dann ruft man eben die Freunde an, die man sehen will. Auch unter der Woche kann man gezielt Pausen einrichten, zum Beispiel immer abends nach 18 Uhr. Oft reicht eine kurze Information an Freunde oder Kollegen und die Sache ist akzeptiert. Es ist meist gar nicht so schwer. Man muss nur den ersten Schritt machen. Und der Gewinn ist erstaunlich. Ein Tag ohne digitale Kommunikation wird von manchen als richtiggehende Befreiung erlebt.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schmid.
Das Interview führte Angelika Wörthmüller