Macht Fluglärm krank? - Lärm ist nicht gleich Lärm
Fluglärm belastet Körper und Seele. Das ist bekannt und untersucht. Eine Lärmwirkungsstudie mit dem Namen NORAH wollte es aber noch genauer wissen. Über fünf Jahre wurden mehrere Tausend Menschen im Umkreis von Flughäfen untersucht und befragt. Dabei sind überraschende Erkenntnisse herausgekommen.
Wie wirkt sich Verkehrslärm auf die Lebensqualität von Menschen, auf ihre Gesundheit und die Entwicklung von Kindern aus? Das waren die drei wesentlichen Fragestellungen der NORAH Studie (Noise-Related Annoyance, Cognition and Health). Dazu berechneten die Forscher adressgenau die Belastung durch Flug-, Schienen- und Straßenlärm in einem Gebiet rund um den Frankfurter Flughafen. Diese Werte verglichen sie mit Daten über Gesundheit und Lebensqualität von über einer Million Menschen aus der Region. Darüber hinaus befragten die Wissenschaftler mehrere Tausend Menschen im Umkreis der Flughäfen Berlin Brandenburg, Köln/Bonn und Stuttgart.
Fluglärm belastet psychisch am meisten
Lärm kann objektiv gemessen werden. Ein Dauerschallpegel von mehr als 55 Dezibel gilt unter Forschern als potenziell gesundheitsgefährdend. Doch kommt es ganz wesentlich darauf an, in welcher Situation Menschen Lärm ausgesetzt sind. "Es sind immer die anderen, die Lärm machen. Wenn ich in die Wand bohre, dann ist das Geräusch ein willkommenes Feedback, das mir sagt, wie tief ich schon gekommen bin. Für den Nachbarn ist das einfach nur Lärm", sagt Prof. Dr. Rainer Guski Umweltpsychologe an der Universität Bonn und Studienleiter der NORAH Studie.
Als am stärksten psychisch belastend, hat sich in der NORAH Studie der Fluglärm herausgestellt. Vor allem Menschen, die dem Fliegen gegenüber negativ eingestellt sind, fühlen sich besonders belästigt. Sie sind auch am stärksten gefährdet, eine Depression zu entwickeln. Steigt die Belastung durch Fluglärm um zehn Dezibel, nimmt das Risiko für eine depressive Erkrankung um durchschnittlich 8,9 Prozent zu. Bei Straßenlärm steigt das Risiko pro zehn Dezibel um 4,1 Prozent, bei Schienenlärm um 3,9 Prozent.
"Dass wir bei den Gesundheitsrisiken einen so hohen Anteil von Depressionen als Folge von Lärm haben, das haben wir absolut nicht erwartet", sagt Rainer Guski. Depressionen entstehen unter anderem dann, wenn Menschen das Gefühl haben, einer Sache ausgeliefert zu sein und sich nicht dagegen wehren zu können. Das ist bei Verkehrslärm zweifelsohne der Fall. Allerdings zeigte sich in der NORAH Studie auch, dass bei sehr hohen Schallpegeln das Risiko für Depressionen wieder leicht sinkt. Die Forscher vermuten, dass manche Menschen, die besonders unter dem Fluglärm leiden, als Konsequenz ihren Wohnort wechseln.
Lärm geht aufs Herz
Lärm setzt auch dem Herz-Kreislaufsystem zu und kann Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzschwäche auslösen. In der NORAH Studie hat sich gezeigt, dass vor allem das Risiko für die Entwicklung einer Herzschwäche bei allen drei Verkehrsarten ansteigt – am deutlichsten beim Schienenverkehr. Auch das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall steigt beim Lärm durch Schiene und Straße deutlich an. Beim Fluglärm findet sich dieser Zusammenhang nur bei höheren Lärmpegeln. Und die werden im Flugverkehr seltener erreicht. "Gerade die höheren Belastungen oberhalb von 55 Dezibel sind beim Fluglärm seltener als beim Straßenverkehrslärm. Nur etwa zwei Prozent der einbezogenen Bevölkerung ist Dauerschallpegeln von mehr als 55 Dezibel Fluglärm ausgesetzt, demgegenüber 26 Prozent beim Straßenverkehrslärm, sagt Prof. Dr. Andreas Seidler, Leiter des Studienarms "Krankheitsrisiken".
Für die Forscher eher überraschend war ein anderer Befund. Lange Zeit ging man davon aus, dass chronische Lärmbelastung den Blutdruck steigen lässt. In der NORAH Studie haben Probanden über drei Wochen ihren Blutdruck dreimal am Tag gemessen. "Wir haben keine Abhängigkeit des Blutdrucks von der Lärmbelastung gefunden, bei keiner der Lärmarten, die untersucht worden sind", fasst Prof. Dr. Thomas Eikmann, Leiter der Blutdruckstudie, zusammen.
Schlafqualität - eine Sache der Einstellung?
Lärm kann den Schlaf empfindlich stören und schlechter Schlaf erhöht das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen, Depressionen und Fettstoffwechselstörungen. In der NORAH Studie wurden mehr als 200 schlafgesunde Probanden über zwei Jahre zunächst durch Studienmitarbeiter verkabelt und die Schlafqualität gemessen, später dann auch in Selbstmessung. Erhoben wurden unter anderem Daten wie Herzfrequenz und nächtliche Bewegungen.
Die Untersuchung begann 2011 nach Einführung einer sogenannten Kernruhezeit am Frankfurter Flughafen zwischen 23 und 5 Uhr. Es zeigt sich, dass die Menschen weniger häufig während der Nacht aufwachten, also besser durchschliefen, insgesamt ihren Schlaf aber als schlechter einstuften. Auch hier könnte wieder die Einstellung zum Fluglärm eine Rolle spielen. 2011 wurde in Frankfurt am Main eine neue Landebahn eröffnet. "Der Lärm stört mehr, wenn er zunimmt, also bei gleichem Dauerschallpegel haben die Menschen nach einem Ausbau eine höhere Belästigung als die Menschen, die den gleichen Dauerschallpegel vor dem Ausbau hatten", erläutert Diplom-Psychologe Dirk Schreckenberg, Leiter der Lebensqualitätsstudie von NORAH.
Kinder lernen schlechter
In bisherigen Studien zur Lärmbelastung bei Kindern wurden vor allem schlechte Leseleistungen bei stark von Fluglärm belasteten Kindern festgestellt. In der NORAH Studie untersuchten die Forscher aber auch Schulen, die einer Lärmbelastung unter 60 Dezibel ausgesetzt waren. Doch auch bei diesen Schülern zeigten sich deutliche Einschränkungen in der Leseleistung und den sprachlichen Fähigkeiten. "Bei einer Zunahme des Fluglärms um zehn Dezibel verzögert sich die Leseleistung um etwa einen Monat"; sagt Prof. Dr. Maria Klatte, Leiterin der NORAH-Kinderstudie. Das klingt zunächst nicht viel. Wenn man aber bedenkt, dass diese Kinder dauerhaft einem erhöhten Lärmpegel ausgesetzt sind, so können die Folgen durchaus gravierend sein.
Lärm ist nicht gleich Lärm
Lärm macht nicht automatisch krank. Es kommt stark darauf an, wie belastend dieser empfunden wird. Je negativer Menschen der Lärmquelle gegenüber eingestellt sind und je weniger Möglichkeiten sie haben, die Situation zu kontrollieren, desto belastender wirkt sich der Dauerschallpegel aus. Dennoch haben sich in der NORAH Studie erhöhte Risiken vor allem für Herzschwäche und Depressionen gezeigt, denen sich die Menschen nicht einfach so entziehen können. Hier kommt dem Staat die Aufgabe zu, Menschen vor Lärm zu schützen, so wie es zum Beispiel die Verkehrslärmschutzverordnung vorsieht.