rbb Praxis Feature -
Egal, wann es geschieht – mitten bei der Arbeit im Stall, in der Schlosserei, im Büro, beim Abendessen oder im Urlaub – fast immer kommt ein Schlaganfall plötzlich und unerwartet. Viele Betroffene werden schnell und effizient versorgt. Doch mitunter werden die Anzeichen eines Schlaganfalls unterschätzt und falsch gedeutet. Der Film begleitet Schlaganfall-Patienten aus Berlin und Brandenburg.
Seite 2 von 2
Oft gibt es zu wenige Angebote
Doch die Fortführung von Rehabilitationsmaßnahmen und anderen Therapien nach der Entlassung aus stationären Einrichtungen ist häufig ein Problem. Gerade Menschen aus dem ländlichen Umfeld berichten immer wieder, dass längere Zeit vergeht, bis sie Ärzte finden, die ihnen hilfreiche Medikamente und Therapien wie Physiotherapie, Logopädie und Ergotherapie verordnen. Neurologen – also die Schlaganfall-Experten – haben zudem lange Wartezeiten. Ihre Zahl geht auf dem Land immer weiter zurück.
Zudem erhalten oft gerade ältere Menschen nach einem Schlaganfall nur eine beschränkte, geriatrische Rehabilitation. Jüngere Menschen hingegen bekommen meist eine intensive Neurorehabilitation. Das haben Studien gezeigt. Vermutlich besteht häufig die Vermutung, dass Ältere von der intensiven Behandlung wenig profitieren oder sogar überfordert sein könnten. Mehrere Forscher haben nun aktuell die Wirksamkeit einer vierwöchigen intensiven Neurorehabilitation bei älteren Menschen untersucht. Die Ergebnisse der an der St. Mauritius Therapieklinik in Meerbusch durchgeführten Verlaufsstudie belegen: Die Kombination aus Physio-, Ergo-, Sport- und Sprachtherapie hilft Menschen über 80 Jahren genauso gut wie Menschen zwischen 65 und 80 und Menschen unter 65 Jahren. Unabhängig vom Alter bringt jede Stunde mehr an Therapie ein Mehr an Erholung und ein Weniger an Pflegeabhängigkeit.
Die ambulante Langzeitreha füllt die Lücke
Nach der stationären, zeitlich begrenzten Rehabilitation könnten viele Patienten daher von einer ambulanten Langzeit-Rehabilitation profitieren. Dabei bekommen sie täglich eine hochwertige und intensive Rehabilitation. Die ambulante Langzeitreha schließt eine Lücke zwischen der Klinik und Zuhause. Da viele Patienten nach der Klinik noch erhebliche Defizite und Störungen haben, hat sie sich als weiterführende Betreuung bewährt, vor allem weil sie zeitlich zunächst nicht limitiert ist. Entsprechende Beschäftigungs- und Betreuungszentren für Schlaganfall-Patienten gibt es mittlerweile überall im Bundesgebiet. Ohne entsprechende Angebote mussten Betroffene früher sofort ins Pflegeheim ziehen, weil sie zu Hause nicht betreut werden konnten.
In der ambulanten Reha trainieren Therapeuten mit den Betroffenen jeden Tag, beispielsweise Orientierung, Konzentration und Gedächtnis. Ziel ist es vor allem, alltägliche Dinge wie anziehen, Essen bereiten und waschen wieder allein zu bewältigen – und sie so wieder zu selbständigen Menschen zu machen. Oft kann erst in einer langfristig geschützten Atmosphäre mit den entsprechenden Bemühungen über die Jahre eine solche Verbesserung erreicht werden. Durch die intensive medizinische und soziale Betreuung können viele der Schlaganfallpatienten auf ein selbstbestimmtes Leben hoffen – auch wenn sie selbst oft gar keine Ziele mehr formulieren.
Implantierbarer Gehstimulator
Mitunter gehen Patienten auch ihre eigenen Wege. Michael A. aus Templin mit einer geplatzten Gefäßaussackung (Aneurysma) im Beitrag bleibt trotz intensiver Reha-Maßnahmen halbseitig gelähmt; besonders belastet ihn sein schleppender Fuß, mit dem er überall hängen bleibt. Doch er findet sich mit seinem unsicheren Gang nicht ab und sucht selbst nach Hilfen. Im Internet recherchiert er Informationen über ein neues technisches Hilfsmittel: einen implantierbaren Gehstimulator.
Der funktioniert so: Durch einen Fußschalter werden beim Auftreten Signale gesendet. Der Empfänger wurde vorher im betroffenen Bein während einer mehrstündigen Operation am Wadenbeinnerv implantiert. Von dort aus stimuliert dieser den zuständigen Muskel, der Fuß hebt und senkt sich beim Gehen.
Hilfe zur Selbsthilfe
Eine ganz wichtige Rolle für das Leben nach dem Schlaganfall kann neben der medizinischen und therapeutischen Behandlung die Selbsthilfe spielen. Selbsthilfegruppen sind selbstorganisierte Zusammenschlüsse von Betroffenen und deren Angehörigen. Sie tauschen sich über Therapien, über gute und schlechte Ärzte und über neue Hilfsmittel aus.
Allein unter dem Dach der Deutschen Schlaganfallhilfe sind mindestens 500 Selbsthilfegruppen versammelt. Diese Gruppen sind größtenteils von Schlaganfall-Betroffenen und/oder ihren Angehörigen gegründet. Fast jede Gruppe wird von Fachärzten und Therapeuten vor Ort unterstützt. Allen gemeinsam ist: Sie treffen sich regelmäßig, meist einmal im Monat.
Verhindern, dass sich ein Schlaganfall ereignet
Rund 70 Prozent der Schlaganfälle könnten ohnehin durch präventive Therapien verhindert werden, glauben Spezialisten. Wichtigster Punkt: Risikofaktoren vermeiden. Einige kann man durch eine Veränderung der Lebensführung, andere durch Medikamente beeinflussen. Entsprechend sollte jeder auf seine Gesundheit und das Gewicht achten. Oft sind es ein paar Kilo zu viel gepaart mit Fettstoffwechselstörungen, Diabetes und Bluthochdruck, die aus einem nur übergewichtigen Menschen einen Hochrisiko-Patienten machen. Verhindern ließe sich das durch mehr Bewegung und eine gesündere Ernährung.
Mit dem Alter steigt die Gefahr
Auch das zunehmende Alter ist ein Risikofaktor: Je älter man wird, desto größer ist das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Männer sind häufiger und früher betroffen als Frauen. Jenseits des 50. Lebensjahres sind deshalb Vorsorgeuntersuchungen sinnvoll, insbesondere dann, wenn bereits Eltern, Großeltern oder Geschwister einen Schlaganfall hatten. Patienten mit ausgeprägten atherosklerotischen Veränderungen der hirnversorgenden Halsschlagadern weisen ein hohes Risiko für Schlaganfälle durch einen Gefäßverschluss auf. Aktuelle Studien beschäftigen sich damit, ob ihnen besser eine Gefäßstütze eingesetzt oder die Engstelle mit einer Operation beseitigt werden sollte.
Ältere sollten einen jugendlichen Blutdruck anstreben
Die meisten Menschen, die einen Schlaganfall erleiden, hatten zuvor über viele Jahre einen erhöhten Blutdruck. Eine konsequente Blutdruckkontrolle ist deshalb die beste Präventivmaßnahme, um Behinderungen zu reduzieren oder einen vorzeitigen Tod durch einen Schlaganfall zu verhindern, empfehlen die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). Aktuell zeigen die Ergebnisse der US-amerikanischen SPRINT-Studie, dass auch ältere Menschen einen „jugendlichen“ Blutdruck anstreben sollten. Ein gesunder jüngerer Mensch hat einen Blutdruck von 120 zu 80 mm Hg. Bei den meisten Menschen steigen mit zunehmendem Alter die Blutdruckwerte langsam an. Das lässt sich mit Medikamenten ausgleichen. Galt früher die Regel, dass der obere Wert 100 plus Lebensalter entsprechen darf, empfehlen Ärzte heute auch im Alter niedrigere Werte.
An der Studie hatten mehr als 9000 Hochdruckpatienten im Alter über 50 Jahre teilgenommen. Bei der Hälfte strebten die Ärzte eine Blutdrucksenkung auf den Wert von 120 mm Hg an, bei der anderen Hälfte waren 140 mm Hg der Zielwert. Die kürzlich auf der Jahrestagung der American Heart Association in Orlando/Florida vorgestellten Ergebnisse zeigen: Eine intensivere Blutdruckkontrolle bereits nach wenigen Jahren senkt die Zahl der Herz-Kreislauf-Ereignisse um 25 Prozent und die Zahl der Herz-Kreislauf-Todesfälle um 43 Prozent. Die positiven Effekte waren so eindrucksvoll, dass die Studie vorzeitig beendet wurde. Die Ergebnisse werden in den USA und sicherlich auch in Deutschland zu einer Veränderung der Empfehlungen führen, sind Experten sicher.
Und nicht nur das: Die konsequente Normalisierung der Blutdruckwerte werde langfristig auch die Zahl der Schlaganfälle senken. So nahm in der SPRINT-Studie die Zahl der Schlaganfälle zwar nur um elf Prozent ab und der Unterschied war statistisch nicht signifikant. Dieser geringe Einfluss könne jedoch mit der kurzen Beobachtungszeit von etwas über drei Jahren zusammenhängen, vermuten Fachleute. Schließlich sind die meisten Schlaganfälle Folge einer allmählichen Gefäßverkalkung in den Hals- und Hirnarterien, die sich über viele Jahre entwickelt. Viele Langzeitstudien zeigen, dass ein normaler Blutdruck der beste Schutz vor einem Schlaganfall ist.
Vorhofflimmern ist ein signifikanter Vorbote
Eine weitere Studie zeigt, dass bis zu 9400 Schlaganfälle vermeidbar wären, wenn ältere Patienten systematisch auf Vorhofflimmern gescreent würden. Nach Angaben der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft gehen 25 Prozent aller Schlaganfälle in Deutschland pro Jahr auf Vorhofflimmern zurück. Da Vorhofflimmern bei Betroffenen in Deutschland aber häufig nicht diagnostiziert wird, würden Präventionsmöglichkeiten gegen erstmaligen Schlaganfall nicht ausgeschöpft. Einige Experten fordern daher ein generelles Screening zur Erkennung von Vorhofflimmern bei Patienten über 65 Jahren. Ärzte sollten zunächst den Puls ertasten und bei Unregelmäßigkeiten ein EKG einsetzen, so ihr Vorschlag. Dies sei kostengünstiger als der unmittelbare EKG-Einsatz, aber ebenso effektiv. In der Fläche sind solche Screenings bisher nicht die Regel. So wird nach Aussage einiger Schlaganfallexperten ein großes Potenzial zur Verhinderung eines erstmaligen Schlaganfalls verschenkt.
Auch die medikamentöse Prävention macht Fortschritte
Deutliche Fortschritte sind in der jüngsten Zeit auch bei der medikamentösen Schlaganfallprävention zu sehen. Zwar setzen sich bei Patienten mit Vorhofflimmern immer mehr die neuen direkt wirksamen oralen Antikoagulanzien (DOAK) durch. Das Risiko für Hirnblutungen minimiert sich dabei im Vergleich zu Marcumar. Allerdings hatte man bislang im Falle einer tatsächlichen Hirnblutung unter DOAK im Gegensatz zu Vitamin-K-Antagonisten kein spezifisches Gegenmittel. Dies könnte sich nun mit dem Einsatz des monoklonalen Antikörper Idarucizumab ändern. Er wurde kürzlich in den USA als Gegenmittel zu Dabigatran zugelassen, die europäische Zulassungsbehörde EMA dürfte in Kürze folgen. Gegenmittel für die sogenannten Faktor-Xa-Hemmer sind ebenfalls in der Entwicklung. Auch sie würden die DOAK-Therapie noch sicherer machen.
Film von Cornelia Fischer-Börold
Infotext: C. Löffler / B. Wagner