Essen & Trinken | Beitrag | Lesedauer etwa 4 Minuten - Pilze sammeln: Beratung statt Vergiftung
Hobby-Pilzsammler sind immer öfter mit Pilz-Apps auf der Suche. Kann man sich auf die Pilzbestimmung der Apps verlassen?
Die Sonne scheint, die Luft ist noch etwas feucht - perfektes Wetter, um in die Pilze zu gehen. Immer öfter dabei: Pilzbestimmungs-Apps auf dem Smartphone. Klingt ja auch erstmal super praktisch: Pilz scannen, Ergebnis anzeigen, fertig ist der sichere Pilz-Genuss. Doch ein SUPER.MARKT-Test zeigt: Wer sich allein auf die App verlässt, begibt sich im schlimmsten Fall sogar in Lebensgefahr.
Drei Pilze-Apps im Test
Für SUPER.MARKT haben sich unsere Testerin und Tester jeweils eine Pilz-Erkennungsapp heruntergeladen: die kostenlose "Pilze-App", "Pilze 123" für 35 Euro und der kostenlose, aber nicht werbefreie "Pilze-Erkenner". Mit dabei ist außerdem der Potsdamer Pilzexperte Wolfgang Bivour. Er kennt die allermeisten der etwa 4.000 Großpilzarten Europas und ist der Versuchsleiter.
Den ersten Pilz - ein dickschaliger Kartoffelbovist - erkennen alle drei Apps sofort. Doch hier zeigen sich schon erste Unsicherheiten: "Pilze 123" ordnet den Pilz als stark giftig ein. Pilzexperte Bivour widerspricht: "Das ist ein bisschen übertrieben, er ist schwach giftig."
Der "Pilze-Erkenner" liegt zwar richtig, spuckt aber nur den lateinischen Namen aus - umständlich, wenn man den deutschen Namen dann im Internet suchen muss.
Pilze werden nicht richtig erkannt
Beim nächsten Pilz sind sich die Apps nicht mehr einig. Von Frauentäubling über rosablättriger Helmling bis zu Schneescheidenstreifling ist alles dabei. Die "Pilze-App" schlägt mehrere Ergebnisse vor, einige davon essbar, andere wiederum nicht essbar. Das verunsichert unsere Testerin. Bei "Pilz-Erkenner" wird nach jedem Schritt Werbung eingeblendet. Bivour erkennt den Pilz sofort "Das ist ein Blaugrüner Reiftäubling". Er sagt aber auch, dass man bei einem Täubling nicht erwarten könne, dass die App ihn zweifelsfrei erkennt. Denn die feinen farblichen Unterschiede sind vermutlich für die Scansoftware nicht ausreichend erkennbar.
Und dann wird es - milde ausgedrückt - abenteuerlich: Die Pilzsammler haben eine grünen Knollenblätterpilz gefunden. Allerdings erkennen sie ihn nicht und nutzen die Apps. Mit erschreckendem Ergebnis: Nur die Pilze-App erkennt den tödlichen Pilz. Allerdings gibt sie nach einem weiteren Scan mehrere Pilze zur Auswahl an. Ganz sicher kann man sich also nicht sein. Die beiden anderen Apps versagen und erkennen einmal sogar einen Speisepilz.
Nur Pilze essen, die man sicher bestimmen kann
Das Problem: Zur fehlerfreien Bestimmung von Pilzen müssen auch die nicht sofort sichtbaren Teile der Pilze genau betrachtet werden. Im Test war die Knolle, aus der der Knollenblätterpilz wächst, unter Laub vergraben und dadurch für die Apps nicht zu sehen. Aber auch beim zweiten Versuch mit der Knolle im Scan konnten die Apps keine fehlerfreie Bestimmung liefern. Auch die Farbgebung am Schirm oder Stiel kann über giftig oder ungiftig entscheiden. Manchmal sind es nur Nuancen. In ihren AGB schließen die App-Anbieter übrigens eine Haftung aus.
Pilzbestimmung lernen
Wie der Test zeigt, ist die Kunst der Pilzbestimmung keine leichte. Hier setzt die neue und kostenlose App ID-Logics an: Statt mit einem Foto-Scan, müssen Anwender:innen verschiedene Fragen zum Aussehen, Geruch und sonstigen Beschaffenheit des Pilzes beantworten. Am Ende werden ein oder mehrere Pilze, auf die die Antworten zutreffen angezeigt. Klickt man auf die Art, erhält man weitere Informationen, z.B. wo die Pilze wachsen, ob sie genießbar sind, usw.
Die App ist in einem Gemeinschaftsprojekt des BUND Niedersachsen, der Deutschen Gesellschaft für Mykologie und der Leibnitz Universität Hannover entstanden. Die Idee: Menschen, die keine pilzkundigen Familienmitglieder oder Freunde haben, können mit der App die ersten Schritte der Pilzbestimmung erlernen. Wer die Pilze noch nicht zweifelsfrei bestimmen kann, verlässt sich besser nicht allein auf die App. Die Funde sollten laut Entwicklern trotzdem einem Pilzsachverständigen vorgelegt werden.
Tödliche Pilze
Für die Nutzung aller Pilzbestimmungsapps gilt: Nicht allein auf die Nachschlagewerke verlassen! Nur wer einen Pilz wirklich kennt, sollte ihn auch essen. Schon ein einzelner Knollenblätterpilz kann tödlich sein. "Wenn Sie natürlich mehrere Knollenblätterpilze gegessen haben, dann ist die Vergiftung so schwer, dass Sie durchaus daran sterben können. Intensivmedizin hin oder her", sagt Dr. Hugo Kupferschmidt vom Giftnotruf Berlin/Charité gegenüber SUPER.MARKT.
Bei Unsicherheit zur Pilzberatung
Wer sich mit seinen Funden nicht sicher ist, kann auch eine kostenlose Pilzberatung in der Region machen oder eine:n Pilzsachverständige:n kontaktieren. Dafür ist es allerdings am besten, wenn der ganze Pilz mitgebracht wird, also auch der Teil, der in der Erde verborgen liegt. Die Funde vorzusortieren hilft ebenfalls. Weil ein frisch gesammelter Pilz innerhalb der ersten ein bis zwei Tage in der Pfanne landen sollte, empfiehlt es sich, vor der Sammeltour Beratungszeiten zu recherchieren. Manchmal müssen auch Termine mit Pilzexpert:innen ausgemacht werden. Ansonsten kann der Verzehr zu Übelkeit oder Durchfall führen. Achtung: Ist ein Pilz feucht, glasig, glitschig oder riecht muffig, ist er nicht mehr genießbar.
Im Notfall
Sie haben selbstgesammelte Pilze gegessen und Vergiftungserscheinungen? Dann rufen Sie umgehend den Giftnotruf an oder begeben sich in medizinische Behandlung. Den Giftnotruf erreichen Sie für Berlin und Brandenburg rund um die Uhr unter der Nummer 030-19240.
Ein Beitrag von Katharina Pencz und Felix Krüger, 27.08.2024.