Nachhaltigkeit | Beitrag | Lesedauer etwa 7 Minuten - Versandhandel: Vom Paketwahn zum Mehrwegpaket?
Es gibt viele Ideen für mehr Nachhaltigkeit beim Versand, von der Mehrfachtransportbox bis zum wiederverwendbaren Paket. Welches Produkt hat die Chance, sich durchzusetzen?
Wir verschicken immer mehr Pakete. Von 2003 bis 2023 hat sich die Anzahl der Sendungen in Deutschland von 1,8 auf mehr als 4,18 Milliarden pro Jahr mehr als verdoppelt (Quelle: Bundesverband Paket und Expresslogistik e. V.). Am Tag werden knapp 14 Mio. Sendungen an rund neun Millionen Empfängerinnen und Empfänger (privat und gewerblich) geliefert. Aber wie lässt sich diese steigende Flut von Paketen nachhaltig bewältigen?
Verbraucher wollen ökologischen Versand
Denn 53 Prozent der europäischen Onlinekäufer wünschen sich mehr Umweltfreundlichkeit vom Online-Handel, das zeigt der Online Shopper Survey 2022 von DHL eCommerce Solutions. Dies schließe auch die Lieferung und Verpackung mit ein. Die Bereitschaft, für solche eine Nachhaltigkeit zu zahlen, hält sich allerdings noch in Grenzen. Lösungen müssen also her. Einige Unternehmen verfolgen bereits einen nahe liegenden Ansatz. Er lautet: Mehrwegpakete.
Repack-Prinzip: Kund:innen wählen den Versand per Repack im Bestellprozess eines Shops aus und schicken den Repack-Plastikumschlag nach Erhalt der Ware wieder zurück. Dazu muss man ihn nur in den Briefkasten werfen.
Hürden: Viele Anbieter bieten den Repack-Versand gegen einen Aufpreis von 3 bis 3,90 Euro an. Im Gegenzug erhalten Kund:innen oft einen 10-Euro-Gutschein für den Einkauf in anderen Shops, die Repack verwenden. Sollten Kunden dadurch animiert werden, mehr zu bestellen, ist das wenig nachhaltig. Ein weiteres Problem ist, Kundinnen klarzumachen, dass sie die erhaltenen Umschläge unbeschädigt zurückschicken müssen - in einem Pilotprojekt von Tchibo mit Repack haben rund 80 Prozent der Verbrauchenden die Mehrwegverpackungen zurückgesendet. Außerdem lassen sich zerbrechliche Gegenstände schlecht per Repack versenden, da sie durch den Umschlag nicht ausreichend geschützt sind.
Ökologischer Fußabdruck: Die Herstellung und Rücksendung des Plastikumschlags verbraucht anfangs mehr CO2 als ein Pappkarton. Laut Repack schneidet ihr wiederverwendbarer Umschlag allerdings schon bei der zweiten Benutzung besser ab als ein vergleichbares Einwegpaket - zwischen 20 und 40 Sendungen sollen pro Repack möglich sein. Außerdem fällt kein Verpackungsmüll an.
Ein weiterer großer Knackpunkt ist allerdings, dass die Umschläge gereinigt werden müssen. Dafür gehen sie erst nach Estland und anschließend zum Onlinehändler. Das verschlechtert die Ökobilanz - ist allerdings nach Aussage eines Unternehmenssprechers immer noch ökologisch sinnvoller, als dieselbe Menge an Verpackungen neu zu produzieren.
Ausblick: Repack arbeitet nach eigenen Angaben mit über 130 festen Partnern zusammen, die meisten davon sind allerdings in Skandinavien und in den Benelux-Ländern. "Wir sehen generell eine große Bereitschaft vieler Onlinehändler, auf diesem Feld miteinander zu kooperieren und sich auszutauschen, statt sich miteinander im Wettbewerb zu wähnen. Ein Mehrwegsystem wie Repack kann halt nur gemeinsam aufgebaut werden", so Trowitz.
(Stand: 8/2023)
Box-Prinzip: Memo ist ein Versandhandel für Privat- und Geschäftskunden, der den Fokus auf nachhaltige Produkte legt. Bestellen Kund:innen bei Memo, können sie den Versand per Karton oder - ohne Zusatzkosten - oder per Memo-Box wählen. Diese Box gibt es in drei verschiedenen Größen. Sie besteht aus recyceltem Plastik und ist relativ robust. Ist die Bestellung angekommen, können Kundinnen die Box kostenlos per Zusteller oder Paketshop zurückschicken. Dafür haben sie zwei Wochen Zeit. Sie können die Box aber auch für eigene Zwecke behalten. In diesem Fall zahlen Kunden je nach Größe pro Box zwischen 18,95 und 27,95 Euro.
Hürden: Die größte Version der Memo-Box ist 60 cm breit und 32 cm hoch. Richtig große Gegenstände lassen sich also noch nicht versenden. Das Problem, dass Kund:innen nicht verstehen, dass sie die Boxen zurückschicken müssen, besteht laut Memo nicht. Demnach werden mehr als 90 Prozent der Boxen wieder zurückgeschickt.
Ökologischer Fußabdruck: Laut Memo wurden manche Boxen schon mehr als 250 Mal hin- und hergeschickt. Ob es eine maximale Sendungsanzahl gibt, konnte man bis jetzt nicht feststellen auf der Website des Unternehmens wird den Boxen eine "fast unbegrenzte Lebensdauer" attestiert. Kund:innen können die Memo-Box auch nutzen, um bei Memo gekaufte Wertstoffe wie Tonerpatronen oder CDs zu entsorgen. Dazu müssen sie die Wertstoffe in die Box packen und zurückschicken.
Ausblick: Die Box hat sich bei Memo etabliert, und das Interesse der Kund:innen wächst. Eigentlich wird die Box nur von Memo selbst benutzt, aber das Unternehmen sei offen für Anfragen von anderen Versandhändlern, die die Box nutzen wollen, so eine Unternehmenssprecherin. Das könnte bedeuten, dass die Box in Zukunft häufiger bei mehr Unternehmen zum Einsatz kommt.
(Stand: 9/2023)
Box-Prinzip: Das Prinzip von Sendmepack ist einfach: Das Start-up handelt mit gebrauchten Kartons, vornehmlich aus dem Einzelhandel, und wandelt diese in ein Mehrwegprodukt um. Etwa 300 Onlineshops kaufen die "geretteten Kartons", die mit einem QR-Code versehen werden, derzeit auf und verschicken sie weiter. Dank Code können die Kund:innen sehen, wie sie selbst zur Kartonrettung beitragen. Die Kartons können dann an einer von etwa 60 Rückgabestationen in Deutschland abgegeben werden, um dann erneut in den Kreislauf zu kommen.
Technische Ausstattung: Das Unternehmen nutzt Kartons, die erst einmal unterwegs waren und nach eigenen Angaben eigentlich direkt in der Presse landen würden. Diese werden in verschiedenen Logistikunternehmen aufbereitet und an Logistiker und Versandhändler weiterverkauft. Bringt ein Endkunde den Karton zurück, wird er wieder aufbereitet - so soll ein Sendmepack ca. drei bis fünf Mal wieder eingesetzt werden können. Das selbst beschriebene Ziel des Unternehmens ist es, das Recycling so lang wie möglich herauszuzögern.
Kosten: Die Kartons gibt es in den Größen S bis XL, die Kosten liegen bei 10 bis 23, 50 Euro für je 20 Stück.
Hürden: Die Rückgabestationen sind mit 60 in ganz Deutschland nicht gerade viele. Zudem müssen die Endkund:innen so natürlich selbst aktiv werden, um auch einen Karton zu retten. Letztlich sind es auch Anbieter wie die oben beschriebenen, die eine Hürde für die Mehrfach-Verwendung von Kartons darstellen. Denn ab 2030 gelten höhere Mehrwegquoten für bestimmte Branchen. Dann könnte es zu einem massiven Trend an wiederverwendbaren Plastikverpackungen kommen, weil diese robuster sind. Für die Gründer von Sendmepack wegen der höheren Emissionen beim Transport nur eine halbgare Lösung.
Ökologischer Fußabdruck: Dadurch, dass der Recyclingprozess verzögert wird und insgesamt weniger Kartons produziert werden müssen, können mit den Sendmepack Mehrwegkartons Wasser, Holzfasern und CO2- eingespart werden. Außerdem wird tonnenweise weniger Verpackungsmüll produziert, der nicht entsorgt werden muss.
Ausblick: Zukünftig wollen die Macher von Sendmepack Spezialkartons, etwa für Weinflaschen oder Fahrräder, mit ins Sortiment aufnehmen. Diese sind teuer in der Herstellung - und so lohnt sich der Mehrweg doppelt.
(Stand: 8/2023)
App-Prinzip: Die App Repacket gehört zum Beratungs-Unternehmen Grüne Projektmanufaktur. Die Macher wollen mit der App Endkundinnen und - kunden ermöglichen, ihre gebrauchten Pakete möglichst einfach einer Zweitverwertung zuzuführen. Dafür werden mit der App Handel und Kundschaft vernetzt: Die Verbrauchenden können den Karton in einem der kooperierenden Geschäfte abgeben - und der alte Karton landet wieder in einem Laden, wo er ein zweites Mal benutzt werden kann. Seit einer vor Kurzem erfolgten Aktualisierung der App können sich Händler:innen als Abgabestationen eintragen. Somit können Privathaushalte bei diesen Stationen Kartons abholen, sollten sie welche zum verschicken brauchen. Eine Reaktion auf die häufige Rückmeldung von einigen Händler:innen, dass sie eher zu viele Kartons Kartons haben und welche abgeben wollen.
Technische Ausstattung: Die App funktioniert denkbar einfach: User und Userinnen können Rückgabestationen in der Nähe suchen.Die Rückgabestationen können in einem Kurzprofil anzeigen, welche Art von Kartons sie annehmen. Es gibt Repacket sowohl für iPhones als auch für Android-Handys. Mittlerweile wurde sie nach Unternehmensangaben mehr als 40.000 Mal heruntergeladen.
Kosten: Die App ist kostenlos.
Hürden: Das Prinzip von Repacket ergibt dann einen Sinn, wenn es ausreichend Rückgabestationen gibt, die mitmachen - und dort dann auch wirklich alle - noch verwertbaren - Kartons angenommen werden. Im Sommer 2023 sind laut den Gründern mehr als 300 Rückgabestationen - also Händler:innen - Teil des Repacket-Systems. Flächendeckend ist das noch lange nicht.
Ökologischer Fußabdruck: Wie bei Sendmepack wird durch die Repacket-App der Recyclingprozess hinausgezögert - Wasser, Holzfasern und CO2- werden eingespart. Im Rahmen einer Bachelorarbeit wurde in Kooperation mit Repacket eine Analyse durchgeführt, welche ökologischen Potentiale durch die Wiederverwendung eines Versandkartons erreicht werden können: "Dabei wurde die folgende These aufgestellt: Das Global Warming Potential eines Kartons liegt bei 0,31 kg CO2--Äquivalenten." Durch eine Wiederverwendung können laut der Forschenden ca. 45 Prozent der Treibhausgase eingespart werden, da ein weiterer Herstellungsschritt entfällt. Wichtig ist, dass Verbrauchende keine weiten Wege mit dem Auto zurücklegen müssen, um die Kartons abgeben zu können. Repräsentative Zahlen, wie viele Kartons über Repacket bislang "gerettet" wurden, gibt es noch nicht.
Ausblick: Für die Zukunft soll das Netz an Rückgabestationen ausgebaut werden. Außerdem arbeitet die Grüne Projektmanufaktur aktuell an einer neuen Version der App. Diese macht es dann möglich, die Menge an geretteter Kartons zu zählen.
(Stand: 10/2023)
Die Mehrweg-Ideen müssen zu den Abläufen passen
Was tun die Paketdienstleister wie DHL, GLS und DPD selbst, um den Versandhandel nachhaltiger zu gestalten? Alle Unternehmen arbeiten oder arbeiteten nach eigenen Angaben bereits an der Entwicklung von nachhaltigen Verpackungen.
Bei DHL wurden innerhalb der vergangenen Jahre verschiedene Alternativen zum Einwegpaket getestet. Wichtig sei dabei dabei zum einen, den Einsatz von Einweg(plastik)-Materialien zu reduzieren, zum anderen, die Qualität der Verpackungen zu erhalten - auch, um zum Beispiel Beschädigungen mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt zu vermeiden.
GLS arbeitet mittlerweile mit den Mehrwegpaket-Anbietern Hey Circle und Boomerang zusammen. Die Suche hat lange gedauert, laut GLS waren die einzelnen Produkte schwierig in die Standardprozesse einzubinden seien und somit höhere Kosten verursachten.
Auch DPD hat 2023 Pilotprojekte durchgeführt, eines mit Hey Circle und dem deutschen Bekleidungshersteller Trigema, das andere mit Boomerang. Dabei wurde unter anderem die Praxistauglichkeit der wiederverwendbaren Mehrweg-Versandverpackungen unter realen Bedingungen getestet.
Wird Mehrweg im Versandhandel zum Standard?
Das Mehrwegpaket ist da, aber bisher nur in Nischen des Onlinehandels. Die große Frage ist: Startet es irgendwann voll durch? Christof Trowitz von RePack glaubt fest daran: "Wir kommen um das 'Mehrweg'-Konzept nicht herum. Es geht letztlich um einen Bewusstseinswandel, ein kollektives Verständnis für den Begriff 'Kreislaufwirtschaft' und dessen ungeheure Wichtigkeit. Unsere Vision ist, dass eines Tages Mehrweg der neue Standard ist."
Ein Beitrag von SUPER.MARKT, erstmalig publiziert am 11.09.2023, aktualisiert am 27.11.2024.