- "Die Hoffnung stand den ganzen Tag im Raum"
Wird ein Kind vermisst, lebt die ganze Familie in einem kaum zu ertragenden Ausnahmezustand. Manchmal jahrelang, wie im Fall Georgine. Das Mädchen kehrte 2006 nicht von der Schule nach Hause zurück.
"Ich wünsche mir nur meine Tochter, dass sie nach Hause kommt", sagt Vesna Krüger kurz nach ihrem Verschwinden. Die Frau mit kurzen, dunklen Haaren sieht müde aus.
250 bis 300 Menschen werden in Deutschland täglich als vermisst gemeldet und ungefähr genauso viele Fälle aufgeklärt. Ungefähr die Hälfte der Vermissten sind Kinder und Jugendliche.
Die 14-jährige Georgine verschwindet am 25. September 2006 auf dem Weg von der Schule nach Hause. Sie nimmt den Bus M 27 und steigt an der Haltestelle Stendaler Straße in Moabit aus, fast direkt vor ihrer Haustür. Nur wenige Minuten später wird ihr Handy ausgeschaltet.
50 Prozent der Vermissten-Fälle klären sich innerhalb der ersten Woche. Nach einem Monat sind bereits über 80 Prozent aufgeklärt. Der Anteil der Menschen, die länger als ein Jahr vermisst werden, liegt bei nur etwa drei Prozent. Georgine ist so ein Fall: Sie wird mittlerweile seit zwölf Jahren vermisst.
"Familien vermisster Kinder werden stark belastet. Die Trauerarbeit, die normalerweise einsetzt, wenn etwas Schlimmes passiert, wenn jemand stirbt, kann nicht so gut in Gang kommen, weil wir noch die Hoffnung haben, dass sie vielleicht doch noch lebt oder doch noch wiederkommt", sagt der Psychologe Prof. Dr. Andreas Bechdolf bei "Täter - Opfer - Polizei".
"So gehen wir nicht durch die Phasen, abschließen zu können und wieder etwas Neues beginnen zu können".
Symptome des Trauerns treten auch bei Angehörigen Vermisster auf: Sie können nicht schlafen, fühlen sich niedergedrückt und diese Symptome bleiben oft lange bestehen. "Die Bewältigung eines solchen Ereignisses, wenn jemand vermisst wird ist schwieriger, als wenn man die Ursache kennt, auch wenn diese manchmal ganz schlimm ist", so Bechdolf.
Georgines Mutter braucht bald selbst Hilfe, wird schwer krank. Georgines Schwester Michelle ist damals erst sechs Jahre alt. Sie startet später mit der Familie einen Videoaufruf an Georgine. "Das hilft", sagt Prof. Dr. Andreas Bechdolf: "Es ist gut, wenn man etwas unternehmen kann, um das Unglück, das Ereignis, aufzuklären. Das hilft auch die Ohnmacht abzubauen."
Jetzt im April gab es einen neuen Hinweis im Fall Georgine. Ein anonymer Anrufer behauptet, sie sei in einem Waldstück in Brieselang, westlich von Berlin-Spandau vergraben. Die Polizei sucht einen Tag das Waldstück ab - die Familie ist in Aufruhr: "Die Hoffnung stand den ganzen Tag im Raum", sagt Michelle, die kleine Schwester. Am Ende wurde nichts gefunden, was auf Georgine hingewiesen hätte.
Die Suche wird eingestellt - das Hoffen geht weiter.