- Baumgartenbrück
Hier kommt Fontane aus dem Schwärmen gar nicht heraus und lobt die "seltene Schönheit des Platzes". Zur Augenweide kommt der Gaumenschmaus im Gasthaus.
Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Band III "Das Havelland":
Aber die lachenden Tage von Baumgartenbrück brachen doch erst an, als, vor etwa vierzig Jahren, aus dem hier stehenden Brückenwärterhaus ein Gasthaus wurde, ein Vergnügungsort für die Potsdamer schöne Welt, die mehr und mehr anfing, ihren Brauhausberg und ihren Pfingstberg den Berlinern abzutreten und sich eine stille Stelle für sich selber zu suchen. Sie verfuhren dabei kurz und sinnig wie die Schweizer, die ihre Allerwelts-Schönheitspunkte: den Genfer und den Vierwaldstätter See, den Fremden überlassen, um an irgendeiner abgelegenen Stelle der Glarner Alpen »ihre Schweiz für sich« zu haben. Die Potsdamer wählten zu diesem Behufe Baumgartenbrück.
Und es war eine vorzügliche Wahl! Es vereinigt sich hier alles, was einem Besuchsorte zu Zierde und Empfehlung gereichen kann: Stille und Leben, Abgeschlossenheit und Weitblick, ein landschaftliches Bild ersten Ranges und eine vorzügliche Verpflegung. Hier unter den Laubgängen zu sitzen, nach einem tüchtigen Marsch oder einer Fahrt über den See, ist ein Genuß, der alle Sinne gefangennimmt; nur muß man freilich die Eigenart des Platzes kennen und beispielsweise wissen, daß hier nur eines getrunken werden darf: eine Werdersche.
Mit der Werderschen, und wir treten damit in eine bukolische Betrachtung ein, ist es nämlich ein eigen Ding. Sie ist entweder zu jung oder zu alt, entweder so phlegmatisch, daß sie sich nicht rührt, oder so hitzig, daß sie an die Decke fährt; in Baumgartenbrück aber steht sie im glücklichen Mittelpunkt ihres Lebens; gereift und durchgeistigt, ist sie gleich weit entfernt von schaler Jugend wie von überschäumendem Alter. Die Werdersche hier hat einen festen, drei Finger breiten Schaum; feinfarbig, leicht gebräunt, liegt er auf der dunkeln und doch klaren Flut. Der erste Brauer von Werder ist Stammgast in Baumgartenbrück; er trinkt die Werdersche, die er selber ins Leben rief, am besten an dieser Stelle. Er ist wie ein Vater, der seinen früh aus dem Hause gegebenen Sohn am Tisch eines Pädagogen wohlerzogen wiederfindet.
Baumgartenbrück, trotz des Verkehrs, der an ihm vorübergleitet, ist ganz ausgesprochen ein stiller, lauschiger Platz; vor allem kein Platz prätentiöser Konzerte. Kein Podium mit Spitzbogenfaçade und japanischem Dach stellt sich hier, wie eine beständige Drohung, in die Mitte der Versammlung hinein, und keine Riesenplakate erzählen dem arglos Eingetretenen, daß er gezwungen sei, zu Nutz und Frommen eines Abgebrannten oder Überschwemmten zwei Stunden lang sich ruhig zu verhalten. Diese Ungemütlichkeiten haben keine Stätte unter den Bäumen von Baumgartenbrück.
Hier ist nur der böhmische Musikant zu Hause, der des Weges zieht und mit dem Notenblatt sammelt. Ehen treten wieder ihrer sieben ein, stellen sich schüchtern seitwärts, und wohl wissend, wie gefährlich jedes Zaudern für sie ist, beginnen sie sofort. »Il Bacio« eröffnet den Reigen. Wohl ist es hart. Die Posaune, mit beinah künstlerischem Festhalten eines Tones, erinnert an das Nachtwächterhorn alter Tage; die Trompete kreischt, der Triangel bimmelt erbärmlich. Wie immer auch, seid mir gegrüßt!
Video: "Die Rückkehr des Theo F.“ produziert von Antenne Brandenburg (Idee + Konzept: Kira Hausmann/ Andreas Flügge)