- Etzin
Bäuerlich bescheiden und doch ein Ort mit "historischem Sinn" - so beschreibt Fontane Etzin und seine Kirche.
Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Band III "Das Havelland":
Alles verrät Wohlhabenheit, aber zugleich jenen bescheidnen Sinn, der sich in Treue und Anhänglichkeit an das Überlieferte äußert. Das Dorf ist noch ein Dorf; nirgends das Bestreben, ins Städtische hineinzuwachsen und aus der schmalen Bank unterm Fenster eine Verande zu machen. Der Hahn auf dem Hofe und die Schwalbe am Dache sind noch die eigentlichen Hausmusikanten, und die Bauerntöchter, die eben ihr Geplauder unterbrechen und mit ruhiger, nirgends von Gefallsucht zeugender Neugier dem Schritt des Fremden folgen, haben noch nichts von jener dünnen Pensionstünche, die so leicht wieder abfällt von der ursprünglichen Stroh- und Lehmwand.
Die Kirche des Dorfs, am entgegengesetzten Ende gelegen, entzieht sich unsrem Auge, seit wir in die Dorfgasse eingetreten, aber die Bilder und Szenen um uns her lassen uns auf Augenblicke vergessen, daß es eben die Etziner Kirche und nichts anderes war, was uns hierher führte. Die Bilder wechseln von Schritt zu Schritt. Hier stellt sich ein alter Fachwerkbau, von einem schmalen Gartenstreifen malerisch eingefaßt, wie ein Familienhaus mitten in die Dorfgasse hinein und teilt den Fahrweg in zwei Hälften, wie eine Insel im Strom; dort an den Zäunen entlang liegt allerhand Bau- und Bretterholz, und die Kinder beim Anschlagspiel lugen mit halbem Kopf über die Stämme hinweg. Die Arbeit ruht, die lichten Kronen der Lindenbäume werfen ihren Nachmittagsschatten voll und breit auf die Dorfgasse, und wir schreiten frisch und aller Müdigkeit bar darüber hin, als lägen Binsenmatten vor uns ausgebreitet. So haben wir das Dorf passiert, und auf leis ansteigendem Hügel erblicken wir endlich die Kirche wieder, in die der eben herzukommende Küster uns nun freundlich und willfährig einführt.
Das Innere der Kirche ist wie das Dorf selbst: schlicht und einfach, wohlhabend, sauber, eine wahre Bauerndorfkirche, aber doch anders, wie sonst solche Kirchen zu sein pflegen. Denn die Gotteshäuser alter Bauerndörfer zeichnen sich im Gegensatz zu den Patronatskirchen gemeinhin durch nichts als durch eine äußerste Kahlheit aus, durch die Abwesenheit alles Malerischen und Historischen; die Generationen kommen und gehen, kein Unterschied zwischen dem Dorf und seinem Felde, ein ewiger Wechsel zwischen Saat und Mahd. Leben, aber keine Geschichte. So sind die Bauerndörfer, und so sind ihre Kirchen. Nicht so Etzin. Hier war zu allen Zeiten ein historischer Sinn lebendig, und so hat hier die Gemeinde Bildnisse derer aufgestellt, die dem Dorfe mit Rat und Tat vorangingen, sein »Wort und Hort« waren – die Bildnisse seiner Geistlichen. Wenn sich solcher Bildnisse nur vier in der Etziner Kirche vorfinden, so liegt es nicht daran, daß die Etziner seit 150 Jahren sich jemals ihrer Pflicht entschlagen und ihre alte Pietät versäumt hätten, sondern einfach daran, daß die Etziner Luft gesund und die Etziner Feldmark fruchtbar ist. Die Etziner Geistlichen bringen es zu hohen Jahren, und wenn wir die Inschriften und Zahlen, die sich auf den betreffenden Bildern und Grabsteinen in und außerhalb der Kirche vorfinden, richtig gelesen haben, so füllen die Namen dreier Prediger den ganzen weiten Raum des vorigen Jahrhunderts aus. Die Bilder dieser drei Geistlichen, von denen übrigens der mittlere, der Held dieser Geschichte, nur ein kurzes Jahrzehnt der Etziner Gemeinde angehörte, hängen, von Bändern und Brautkronen heiter eingefaßt, links vom Altar an einem der breiten Manerpfeiler, und das helle Sonnenlicht, das durch die geöffneten Kirchenfenster von allen Seiten eindringt, macht es uns leicht, die Namen zu lesen, die mit dünnen weißen Schriftlinien auf schwarze Täfelchen geschrieben sind. Die Namen sind: Andreas Lentz, August Wilhelm Geelhaar und Joachim Friedrich Seegebart.
Video: „Theodor Tour nach Etzin“ aus der Sendung „Theodor“ vom 08.06.2008. Autorin: Juliane Kerber, Kamera: Guido Kilbert