Fontane Stock und Zylinder - rbb
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Fontane Stock und Zylinder | Bild: rbb

- Saarmund

Die verschollene Nutheburg von Saarmund findet auch Fontane nicht. Aber die Flusslandschaft beflügelt auch so seine Fantasie.

Die Nuthe herrscht hier, die Nuthe gibt den Charakter

Theodor Fontane

Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Band IV „Spreeland“:

Saarmund, ein Zauche-Städtchen, ist an dem Wiedervereinigungspunkte zweier Nuthe-Arme gelegen, von denen der kleinere, nur auf eine kurze Strecke hin abgezweigte den Namen der Saare führt. Daher denn also Saarmund.

Die Nuthe selbst entspringt auf dem Hohen Fläming bei Jüterbog, in Nähe des historischen Dorfes Dennewitz, wendet sich nordwärts und fließt endlich bei Potsdam, unter Sumpf und Wiesen versteckt, in die Havel. Wer tagelang an Rhin oder Finow, an Stobber oder Löcknitz, an Nieplitz oder Notte herumgewandert ist, der blickt, wenn er eines Flusses wie die Havel wieder ansichtig wird, auf ihre blauen und seenreichen Flächen, als zöge die Wolga an ihm vorüber. Der Maßstab ist eben alles.

Und zu diesen Kleinsten, denen die bescheidne Aufgabe zufällt, andre Kleine zu heben oder groß zu machen, gehört denn auch die Nuthe, die nur das eine vor ihresgleichen voraushat, schon in weit zurückliegender Zeit (ja damals mehr denn später) ein Grenzfluß, eine Trennungslinie gewesen zu sein.

Alles, was die Nuthe trennte, hieß zwar nur Teltow und Zauche, wird mithin in den großen Büchern nicht verzeichnet stehn; aber es traf sich nichtsdestoweniger, daß, auf ein ganzes Jahrhundert hin, diese zwei Namen zwei Welten bedeuteten und schieden. Die Zauche, durch Albrecht den Bären unterworfen, war christlich und deutsch, der Teltow, den alten Göttern treu verblieben, stak noch in Heiden- und Wendentum. Das war die Zeit, als die Nuthe ihre großen historischen Tage zählte; das war das Jahrhundert der »Nutheburgen«. Ob diese letzteren Aggressiv- oder Defensivpunkte waren, ob sie die Deutschen bauten, um von der Zauche her den Teltow zu erobern, oder ob sie die Wenden bauten, um der vordringenden Eroberung einen Damm entgegenzusetzen – diese Fragen werden nie mehr gelöst werden; alle Aufzeichnungen fehlen, und die Schlüsse, die man aus diesem und jenem gezogen hat bleiben einfach Hypothese. Die Nutheburgen jener ersten christlichen Epoche sind tot, hingeschwunden für immer. Aber um ebendeshalb vielleicht zählen sie zu den Lieblingen märkisch-archäologischer Forschung. Es ist wenig mehr als ihre Namen, was man kennt. An den Flügeln lagen: Potsdam und Trebbin, im Zentrum: Beuthen und Saarmund.

Saarmund, unter diesen vier Nutheburgen vielleicht die verschollenste, genoß dafür des Vorzugs eines poetischen Namens. Daß er an diesem Punkt überhaupt entstehen konnte, war das Resultat einer Nuthe-Großtat. Arm, aber edel und vielleicht auch all das Herrliche vorahnend, das hier einstens erblühen werde, zweigte die Nuthe selbstsuchtslos einen Wasserarm von sich ab, und wohl zugleich auch aus eigner schmerzlicher Erfahrung wissend, was eines Namens Wohlklang bedeute, gab sie diesem abgezweigten Arme den Namen Saare mit auf den Lebensweg. Und siehe da, die Vorahnung hatte nicht getrogen. An ebender Stelle, wo (wie schon erzählt) ins alte Nuthe-Bett die kaum geborene Saare wieder einmündet, erwuchs Saarmund. Im Rücken der Stadt aber, an den Südhängen der Zauche-Hügel, entstanden Weinberge über Weinberge, so daß Deutschland ein paar Jahrhunderte lang der Auszeichnung genoß, einen doppelten Saarwein zu produzieren: einen kur-trierschen bei Saarbrück und einen kur-märkischen bei Saarmund. Unbestrittner an Ruhm waren freilich die Saare-Krebse, die die Chronisten nicht müde werden zu preisen, »insonderheit auch die großen Alande, die noch angenehmer sind als Zander«.

Um Saarmund und seine Saare, soviel muß zugegeben werden, schwebt ein gefällig-romantischer Klang, aber die tiefere Poesie dieser Gegenden ist doch alte Nuthen-Poesie. Die Nuthe herrscht hier, die Nuthe gibt den Charakter und breitet ihren Einsamkeitszauber über die sie begleitenden, endlosen Wiesengründe, gleichviel nun, ob sie der Rotampfer sommerlang überblüht oder ob im November die Krähen mit naßschwerem Flügel drüber hinschweben. Hier, in den Kolken am Flusse hin, war bis vor kurzem noch der Biber zu Haus, und der Fischadler tat reichen Fang. Sagenhafte Gestalten, groß und hager und an Jahren weit über das Gedächtnis der ältesten Leute hinausragend, zogen mit ihrem Springstock über die tiefen Moore; wie Schatten schritten sie im Nebel, der Regenvogel pfiff in langen Pausen, und das dumpfe Gurgeln der Rohrdommel klang vom Flusse her.

So war das Nuthe-Tal, und so ist es bis diesen Tag.

 

Audio: Ausschnitt aus "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" gelesen von Hans Hildebrandt (Produktion des Berliner Rundfunk 1991)