- Berlin - "Fontane Apotheke" im Bethanien
Nach den politisch bewegten Monaten im Frühjahr 1848 beginnen für Fontane die "bethanischen Tage": Er soll zwei junge Schwestern zu Apothekerinnen ausbilden.
Theodor Fontane „Von Zwanzig bis Dreißig“:
Bethanien war eine Schöpfung Friedrich Wilhelms IV., der diesem Diakonissenhause, von Beginn seiner Regierung an, seine ganz besondere Liebe zugewandt hatte. 1845 wurde der Grundstein gelegt und 1847 die Anstalt eröffnet. An der Spitze stand, wie schon hervorgehoben, die Gräfin Rantzau. Hier ihres Amtes zu walten, war damals eine sehr schwierige Aufgabe, die viel Takt erheischte. Denn die Berliner Bevölkerung wollte von dem ganzen auf protestantischer und, wie mancher fürchtete, vielleicht sogar auf katholischer Kirchlichkeit aufgebauten Krankenhause nicht viel wissen. Der Gräfin lag es also, neben andrem, ob, die ziemlich widerwillige öffentliche Meinung mit Bethanien zu versöhnen. Sie vermied dementsprechend alle Friktionen, und wenn es mir auch gewiß ist, daß spätere Oberinnen ihr nicht nur an kirchlicher Dezidiertheit, sondern namentlich auch an Rührigkeit und Rüstigkeit – sie war von Anfang an sehr krank, starb auch früh – überlegen gewesen sind, so möcht' ich doch behaupten dürfen, daß sie die zu solcher Stellung wünschenswerten Eigenschaften in ganz besonders hohem Maße besessen habe. Der König, als er sie wählte, zeigte auch darin wieder seine feine Fühlung.
Soviel über die Gräfin. Ihr erster Minister war Pastor Schultz, einer der Bestgehaßten jener Zeit. Aber auch bei ihm durft' es heißen: »Viel Feind', viel Ehr'.« Er gehörte ganz in die Reihe der unter Friedrich Wilhelm IV. einflußreichen und oft maßgebenden Persönlichkeiten, und was von den Gerlachs, von Hengstenberg und zum Teil auch wohl von Büchsel – der freilich, im Gegensatz zu den andren, sich durch seinen Humor immer einer gewissen Volkstümlichkeit erfreute – galt, das galt auch von dem bethanischen Pastor Schultz. Er war herb und hart, herrschsüchtig, ehrgeizig und von der Anschauung durchdrungen, daß man die Welt mit Bibelkapiteln – unter allen Regierungsformen die furchtbarste – regieren könne, daneben aber doch auch von Eigenschaften, denen selbst der Feind den Respekt nicht versagen konnte. Das Leben war für ihn nicht zum Spaße da; Leben hieß kämpfen, und in ascetisch strenger Erfüllung seiner Pflichten jeden Kampf mutig aufnehmend, sei's mit den Rammarbeitern draußen am Kanal, sei's mit hohen Vorgesetzten, so hat er seine Tage verbracht und ist unter Schmerz und Qualen – unter denen auch Zweifel waren, die ich ihm besonders hoch anrechne – wie ein tapferer Streiter gestorben. Er war nicht mein Geschmack, aber ein Gegenstand meiner Hochachtung.
Was mir sein Wohlwollen eintrug, weiß ich nicht recht. Er war mit meiner Familie liiert und namentlich meiner Mutter, die große Stücke von ihm hielt, in besonderer Liebe zugetan. Aber solche Erbgefühle halten nie recht vor, und wenn man einem Menschen andauernd Liebe bezeigen soll, so muß noch etwas hinzukommen, was in der Person dieses Menschen liegt oder mit ihm zusammenhängt. Ich vermute, daß es, neben manchem Geringfügigeren, eine gewisse Beobachtungslust war, was mir des sonst so strengen Pastors sich immer gleichbleibende freundliche Gesinnungen eintrug. Er hatte sich meine Person ausgesucht, um an mir Studien über den natürlichen Menschen zu machen, etwa wie man gegnerische Bücher liest, nicht um sich zu bekehren, daran denkt niemand, sondern um Kenntnis zu nehmen. Die Naivität, mit der ich über Kirchliches und Politisches mich aussprach, amüsierte ihn zunächst, aber er ließ es, weil er meiner Ehrlichkeit traute, bei diesem Amüsement keineswegs bewenden, sondern sagte sich: »Ja, wenn der so spricht, so muß wohl ein Restchen von Richtigem drin sein.« Natürlich änderte das nichts an und in ihm. Aber er war gescheit genug, um jede aufrichtige Meinung, richtig oder falsch, klug oder dumm, der Betrachtung wert zu halten.
Video: „Fontanes Berlin - Gespräch mit Martin Düsphol" aus der Sendung „Heimatjournal“ vom 01.01.2011