- Molchow
Theodor Fontane interessierte sich für die kleinen Besonderheiten eines Ortes. Zum Beispiel für den Sprung in der Glocke des Molchower Glockenturmes.
Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Band I "Grafschaft Ruppin":
An jeder Stelle gleichen Reiz
Erschließt dir die Ruppiner Schweiz
aber doch mit der einen Einschränkung, daß wir uns in der Helvetia propria dieser Gegenden halten und es vermeiden, von dem westlichen Ufer des Rhin auf das östliche hinüberzutreten. Tuen wir diesen verhängnisvollen Schritt dennoch, so sind wir aus unserer eigentlichen Schweiz heraus und wandeln nur noch an ihrer Peripherie hin. Mit andern Worten: das östliche Rhinufer hat keinen andern Reiz mehr als den, welchen es seinem Gegenüber, dem westlichen Ufer, entnimmt.
Aber Ausnahmen auch hier, und unter diesen Ausnahmen in erster Reihe das alte Dorf Molchow, das wir, über eine Schmalung des gleichnamigen Sees hinweg, in diesem Augenblick erreichen. Eingesponnen in Gärten und Laub liegt es da, die Studentenblume blüht, der Kürbis hängt am Gezweig, und der Hahn begrüßt uns vom Zaun her und kräht in den lachenden Morgen hinein. Alles hell und licht, im rechten Gegensatze zu Molchow, das mit seinem finster anklingenden Namen an alle Schrecken des Schillerschen »Tauchers« mahnt.
Alles hell und licht, ausgenommen ein rondellartiger Grasplatz inmitten des Dorfs. Auf ihm wird begraben, mehr in Unkraut als in Blumen hinein, und aus der Mitte dieses Platzes wächst ein Turm auf, unheimlich und grotesk, als hab ihn ein Schilderhaus mit einer alten Windmühle gezeugt. Von beiden etwas. Und unheimlich wie der Turm, so auch die alte Glocke, die in ihm hängt. »Ave Maria, gratia plena« steht an dem obern Rande, die Glocke selbst aber ist geborsten, und ihre Inschrift war ihr kein Talisman. Zweihundert Jahre, da fanden sie die Molchower auf einer halb Heide gewordenen, halb waldbestandenen Feldmark zwischen zwei Bäumen aufgehängt. Es war die Glocke von Eggersdorf, eines Dorfes, das im Dreißigjährigen Kriege, wie hundert andere, wüst geworden war und es seitdem auch geblieben ist. Die Molchower aber erbarmten sich des Findlings und bauten ihm diesen Glockenturm. Eine Leiter führt hinauf, die glücklicherweise von denen, die dort oben regelmäßig wohnen, entbehrt werden kann, denn es sind nur Dohlen an dieser Stelle zu Haus. Immer wenn die geborstene Glocke gezogen wird, fliegen sie scharenweis auf, und einzelne von ihnen – wenn es wahr ist, was man sich von Raben und Krähen erzählt – mögen die Glocke noch von ihren Eggersdorfer Tagen her kennen und nun Betrachtungen anstellen zwischen damals und heut.
Video: Beitrag „Sprung in der Glocke "aus der Sendung „Brandenburg Aktuell“ vom 26.12.1994