Der Halensee in Berlin
picture alliance / Arco Images GmbH
Der Halensee in Berlin | Bild: picture alliance / Arco Images GmbH

- Berlin - Halensee

Was macht man, wenn man einer Romanze auf die Sprünge helfen will? Eine Landpartie. Die Wahl fällt in "Jenny Treibel" auf Halensee - damals noch weit vor der Stadt.

Theodor Fontane "Jenny Treibel:

Eine Stunde verging unter allerhand Plaudereien, und wer gerade schwieg, der versäumte nicht, das Bild auf sich wirken zu lassen, das sich um ihn her ausbreitete. Da stieg zunächst eine Terrasse nach dem See hinunter, von dessen anderm Ufer her man den schwachen Knall einiger Teschings hörte, mit denen in einer dort etablierten Schießbude nach der Scheibe geschossen wurde, während man aus verhältnismäßiger Nähe das Kugelrollen einer am diesseitigen Ufer sich hinziehenden Doppelkegelbahn und dazwischen die Rufe des Kegeljungen vernahm. Den See selbst aber sah man nicht recht, was die Felgentreu'schen Mädchen zuletzt ungeduldig machte. »Wir müssen doch den See sehen. Wir können doch nicht in Halensee gewesen sein, ohne den Halensee gesehen zu haben!« Und dabei schoben sie zwei Stühle mit den Lehnen zusammen und kletterten hinauf, um so den Wasserspiegel vielleicht entdecken zu können. »Ach, da ist er. Etwas klein.«

»Das ›Auge der Landschaft‹ muß klein sein,« sagte Treibel. »Ein Ozean ist kein Auge mehr.«

»Und wo nur die Schwäne sind?« fragte die ältere Felgentreu neugierig. »Ich sehe doch zwei Schwanenhäuser.«

»Ja, liebe Elfriede,« sagte Treibel. »Sie verlangen zu viel. Das ist immer so; wo Schwäne sind, sind keine Schwanenhäuser, und wo Schwanenhäuser sind, sind keine Schwäne. Der Eine hat den Beutel, der Andre hat das Geld. Diese Wahrnehmung, meine junge Freundin, werden Sie noch verschiedentlich im Leben machen. Lassen Sie mich annehmen, nicht zu sehr zu Ihrem Schaden.«

Elfriede sah ihn groß an. »Worauf bezog sich das und auf wen? Auf Leopold? oder auf den früheren Hauslehrer, mit dem sie sich noch schrieb, aber doch nur so, daß es nicht völlig einschlief. Oder auf den Pionierlieutenant? Es konnte sich auf alle Drei beziehen. Leopold hatte das Geld ... Hm.«

»Im Übrigen,« fuhr Treibel an die Gesamtheit gewendet fort, »ich habe 'mal wo gelesen, daß es immer das Geratenste sei, das Schönste nicht auszukosten, sondern mitten im Genusse dem Genuß Valet zu sagen. Und dieser Gedanke kommt mir auch jetzt wieder. Es ist kein Zweifel, daß dieser Fleck Erde mit zu dem Schönsten zählt, was die norddeutsche Tiefebene besitzt, durchaus angethan, durch Sang und Bild verherrlicht zu werden, wenn es nicht schon geschehen ist, – denn wir haben jetzt eine märkische Schule, vor der nichts sicher ist, Beleuchtungskünstler ersten Ranges, wobei Wort oder Farbe keinen Unterschied macht. Aber eben weil es so schön ist, gedenken wir jenes vorzitierten Satzes, der von einem letzten Auskosten nichts wissen will, mit andern Worten beschäftigen wir uns mit dem Gedanken an Aufbruch. Ich sage wohlüberlegt »Aufbruch«, nicht Rückfahrt, nicht vorzeitige Rückkehr in die alten Geleise, das sei ferne von mir; dieser Tag hat sein letztes Wort noch nicht gesprochen. Nur ein Scheiden speziell aus diesem Idyll, eh' es uns ganz umstrickt! Ich proponiere Waldpromenade bis Paulsborn oder, wenn dies zu kühn erscheinen sollte, bis Hundekehle. Die Prosa des Namens wird ausgeglichen durch die Poesie der größeren Nähe. Vielleicht, daß ich mir den besonderen Dank meiner Freundin Felgentreu durch diese Modifikation verdiene.«

 

Audio: Ausschnitt aus "Jenny Treibel“  gelesen von Gert Westphal (Produktion des NDR 1989)

Ach, da ist er. Etwas klein. "Das Auge der Landschaft muß klein sein," sagte Treibel. "Ein Ozean ist kein Auge mehr."

Theodor Fontane