- Jadgschloss Hubertusstock
Im Werbelliner Forst zeigen die Hohenzollern ihren Gästen "was hohe Jagd in den Marken sei", schreibt Fontane. Eine Besonderheit: die Wanderhirsche, die von weither zum Werbellinsee kommen.
Aus: Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg - Teil II "Das Oderland"
Als Waldgrund mag er innerhalb unsrer Marken überflügelt werden, als Jagdgrund steht er einzig da. Ein Teil des Forstes, die sogenannte Schürf- oder Schorfheide, die sich eine halbe Meile lang am Nordwestufer des Sees entlangzieht, dient eigens dem Zwecke, das Wild zu pflegen, also den Rest des Forstes in einen desto reicheren und besseren Jagdgrund zu verwandeln. Der nahe See mit seinem kostbar klaren Wasser (eine Folge seiner Kalk- und Tongründigkeit) eignet sich zur Tränke, während außerdem Brunnen in den Wald gegraben sind und überall ausgebreitete Heu- und Moosbetten über die Gefahren und Beschwerden des Winters hinweghelfen. Und das alles nur sehr ausnahmsweise mit der hinterlistigen Absicht, den heute noch gehegten und gepflegten Hirsch bei nächster Gelegenheit ins Blatt zu treffen. Denn der Wildstand hier entspricht einer Paradetruppe. Letzlingen, so heißt es, ist für den Gebrauch, Werbellin und Grimnitz aber sind für die Repräsentation. Dort jagen die Hohenzollern um des Jagens willen; im Werbellin jagen sie nur an Fest- und Galatagen, um ihren Gästen zu zeigen, was hohe Jagd in den Marken sei.
Letzlingen nichtsdestoweniger ist ein Rival, und in dieser und jener Branche sogar ein siegreicher. Aber an Rotwild bleibt Werbellin à la tête. Seine Forsten umschließen 3000 Hirsche, die größte Zahl, die, soweit die Kenntnis davon reicht, an irgendeinem Punkte der Welt, innerhalb eines abgegrenzten Reviers gehalten wird. Hier war denn auch, wie selbstverständlich, der Platz, wo sich die Zahl der getöteten Hirsche (denn trotz des Prinzips der Schonung müssen die alten weggeschossen werden) auf eine Höhe bringen ließ, die selbst von den Taten des Cooperschen »Hirschtöters« schwerlich erreicht worden ist. Der jetzt im Potsdamer Wildpark angestellte Wildmeister Grußdorf war dreißig oder vierzig Jahre lang Förster im Werbelliner Forst, und die Leute versichern von ihm, daß er derjenige Jäger sei, der in seinem Leben die meisten Hirsche geschossen habe. Er kannte nicht nur alle, die überhaupt da waren, er fand auch alle, die er finden wollte, und traf alle, die er treffen wollte. Nur vom bayrischen Grafen Arco heißt es, daß er unsrem Grußdorf als »Hirschtöter« möglicherweise gleichgekommen sei.
Im Werbelliner Forst befinden sich 3000 Hirsche. Nur um die Brunstzeit, etwa von Mitte September bis Mitte Oktober, umschließt er noch 1000 mehr. Dann erscheinen die Wanderhirsche. Sie kommen aus den benachbarten Landesteilen, aus Mecklenburg, Pommern, Schlesien, selbst aus Polen und Ostpreußen, also bis 100 Meilen weit. Alle diese Gegenden, namentlich die nordöstlich gelegenen, haben weniger Weibchen in ihren Wäldern, und dieser Umstand treibt die männlichen Hirsche westwärts und speziell an das Seeufer des Werbellin. Hier ist dann Rendezvous, »Convivium«, wie es die Leute nennen. Weil der Weg weit und die Fährlichkeit der Reise groß ist, so machen sich nur die stärksten Tiere auf den Weg, wissen auch wohl, daß sie als Eindringlinge kommen und daß es ohne schwere Kämpfe, ohne den ganzen Zorn erwachter Eifersucht nicht abgehen wird. Diese Kämpfe finden denn auch jedesmal statt, aber überraschenderweise selten mit den eigentlichen Herren des Forsts, sondern gemeinhin unter den Herbeigekommenen selbst. Sie fechten Eindringling gegen Eindringling, etwa Pole gegen Ostpreuße oder Schlesier gegen Pommer, und das Resultat ihrer Streitigkeiten pflegt in den meisten Fällen das zu sein, daß, während die beiden fremdländischen Heroen miteinander kämpfen, auch wohl sich töten, der einheimische Märker den Liebespreis davonträgt. Die fremden Hirsche bleiben etwa vier Wochen. Dann kehren sie wieder heim.
Audio: "Literatur und Update - Mit Fontane nach Werbellin" gesendet bei rbbkultur 2019